Montagsinterview mit Andreas Büsching: "Baugruppen haben einen ähnlichen Effekt wie früher die besetzten Häuser"

Wenn Andreas Büsching morgens zu seinem Arbeitsplatz geht, klettert er zunächst über einen Zaun. Auf dem Grundstück dahinter, nahe dem S-Bahnhof Treptower Park, entsteht das aktuelle Bauprojekt des ehemaligen Hausbesetzers: vier Häuser, geplant und gebaut mit einer Baugruppe.

"Die Verwaltung ist nur noch ein Papiertiger", kritisiert Büsching die Stadtentwicklungspolitik. Bild: Wolfgang Borrs

taz: Herr Büsching, Sie organisieren eine Baugruppe in Treptow. Haben Sie manchmal Angst, morgens zu Ihrer Baustelle zu kommen und Farbbeutelspuren an den Wänden oder verbrannte Bauteile zu finden?

Andreas Büsching: Angst? Nein, Angst habe ich nicht. Aber mir ist bewusst, dass so etwas passieren kann.

Der Besetzer: Mit 21 Jahren kommt Andreas Büsching aus dem nordrhein-westfälischen Vlotho nach Berlin. Zuvor hatte er eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten gemacht. Was er dabei gelernt hat? "Ich weiß, wie Beamte ticken. Das ist gut für Verhandlungen." In Berlin zieht er in das besetzte Haus in der Manteuffelstraße 42 ein. Er gehört zu denen, die Legalisierung und langfristige Nutzung befürworten.

Der Planer I: Er arbeitet in der Projektsteuerung bei Stattbau, gründet Baugenossenschaften mit, entwickelt Baukonzepte und kümmert sich um die Bauleitung vor Ort. Büsching setzt sich für eine schrittweise Sanierung in Kooperation mit den Bewohnern ein.

Der Eigentümer: 2004 gründet der heute 51-Jährige seine erste Baugruppe. In der Puschkinallee saniert er gemeinsam mit sechs weiteren Familien ein 1884 errichtetes Gebäude und zieht mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern ein. Büsching ist Initiator, Projektleiter und Bauleiter.

Der Planer II: Bei seinem zweiten Baugruppenprojekt, das seit letztem Jahr läuft, ist Büsching vom Grundstückskauf bis zum Einzug für alles verantwortlich. Dazu gehört die Suche nach Beteiligten für die Baugruppe genauso wie die Moderation der Debatte über das Dämmmaterial. Vor einem Jahr gründete er dafür mit dem Architekten Steffen Keinert ein Büro.

Sie wären also nicht überrascht?

Man weiß ja von anderen Baugruppen, dass so etwas schon passiert ist. Aber man darf das nicht so ernst nehmen: In einem Moment, in dem man etwas verändert, wird es immer Leute geben, die etwas gegen diese Veränderung haben.

Wie würden Sie reagieren?

Formal. Polizei, Versicherung anrufen und so weiter. Die Leute, die gegen Baugruppen arbeiten, sind nur eine ganz kleine Minderheit innerhalb der linken Szene. Zumindest ist das die Einschätzung von Leuten aus dem Spektrum, die ich kenne.

Immerhin sieht auch der Soziologe Andrej Holm Baugruppen kritisch. Er sagt, sie würden vor allem in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt entstehen.

In vielen Städten gibt es Baugruppen schon viel länger als in Berlin. Und es ist so, dass sie in anderen Städten bewusst eingesetzt wurden, um eine Aufwertung eines Gebiets zu erzielen. Aber in Berlin sehe ich das nicht.

Welchen Effekt haben denn Baugruppen Ihrer Ansicht nach in Berlin?

Baugruppen haben einen ähnlichen Effekt wie ihre Vorläufer, die besetzten Häuser. In diesen Häusern war eine Szene drin, und diese Szene mischte sich im Kiez ein. Sie hat Kneipen aufgemacht oder Cafés, hat versucht, Stadtteilpolitik mitzugestalten. Ohne diese Leute passierte in einem Stadtteil sehr wenig. Baugruppen können das Gleiche leisten.

Baugruppen sind also die Hausbesetzer von heute?

Ja, das kann man so sehen. Denn die Gesellschaft hat sich natürlich gewandelt. Es gibt nicht diese Aufbruchstimmung bei den 20-Jährigen: Das sehe ich bei meiner Tochter und ihren Freundinnen. Es gibt derzeit einfach keine starke politische Szene unter den jungen Leuten.

Woran liegt das?

Ich denke, dass die Feindbilder fehlen. Es gibt keinen kalten Krieg, keine Pershing-II-Raketen, und man diskutiert mit CDUlern über die Abwicklung von Atomkraftwerken. Auch im Lokalen hat sich viel verändert. In Berlin sollten damals die Altbauten plattgemacht werden. Da musste man natürlich radikal gegen kämpfen. Ich habe zwar nie Steine in die Hand genommen, aber ich hatte unglaublich viel Sympathie für die Leute, die es gemacht haben. Es war damals wichtig, Gewalt anzuwenden, um zu zeigen: Das geht nicht.

Heute ist keine Sympathie mehr da?

Teilweise. Es war eine ziemlich einfache Weltsicht. Die Motivation war oft Hass auf die Gesellschaft, und das kann ich heute nicht mehr nachvollziehen.

Hat nicht die damalige Gewalt mit der heutigen gegen Baugruppen gemein, dass dahinter die Angst steht, etwas zu verlieren, das einem wichtig ist?

Ich denke, dass die Angst, dass Baugruppen zur Verdrängung führen, unberechtigt ist. Ich gebe mal ein Beispiel. An der Ecke Karl-Kunger-Straße in Treptow gibt es einen Fahrradladen. Der hat mit Sicherheit genauso viel Auswirkung auf die Kiezstruktur, wie es die Baugruppen am anderen Ende der Straße haben. Früher hat man die Kieze nach der Anzahl der Weinläden bewertet, heute könnte man das vielleicht nach der Anzahl der Bioläden tun. Das zeigt auch: Stadtentwicklung ist immer ein Kreislauf. Es gibt Kieze, die heute oben sind und in ein paar Jahrzehnten wieder unten. Das ist normal und nichts, wovor man Angst haben müsste.

Wer ist denn der typische Mensch, der sich an einer Baugruppe beteiligt?

Es sind fast alles Leute aus einer eher linken Szene, zwischen 30 und 40 Jahre alt, und zumindest einer der Partner hat ein geregeltes Einkommen. 80 Prozent ziehen mit Kindern ein.

Sie wohnen ja selbst in einem Baugruppengebäude. Sind Sie typisch?

Als ich das vor fünf Jahren gemacht habe, war ich sicher typisch. Jetzt bin ich zu alt. Wobei das Alter natürlich ausfranst. Wir haben in unserem aktuellen Projekt Leute zwischen Mitte 20 und Mitte 60 dabei. Daher finde ich es auch albern, extra Wert auf generationenübergreifendes Bauen zu legen. Das muss genauso selbstverständlich sein wie zum Beispiel ökologisches Bauen.

Ist auch eine Hausbesetzervergangenheit, wie bei Ihnen, typisch?

Vor allem bei den Initiatoren von Baugruppen waren viele früher bei den Hausbesetzungen dabei oder haben damit sympathisiert. Insofern sind die Baugruppen eine logische Folge.

Wie kam es dazu, dass Sie in ein besetztes Haus gezogen sind?

Ich musste Ende der 70er raus aus der Kleinstadt. Ich hatte nichts, was mich da hielt, kein tolles Projekt, kein tolles Mädel, was mich gebunden hätte, war auch nicht Mittelstürmer beim Fußballverein. So etwas hätte mich vielleicht dort gehalten. Ich bin dann in Berlin sehr schnell in die linke Szene reingerutscht. Bin bei tausend Latscherdemos mitgegangen, wenn eines von diesen Häusern wieder geräumt wurde. Irgendwann habe ich gemerkt, dieses Demonstrieren, das wird auf Dauer langweilig.

Und dann?

Eine alte Freundin wohnte damals in der Manteuffelstraße 42, die habe ich besucht. Ich habe schnell gemerkt, dass es dort um etwas ging: um die Erhaltung eines Lebensraums.

Es ging Ihnen also nicht nur um günstigen Wohnraum.

Wir waren natürlich nicht alle politisch. Es gab auch solche, die sich einfach verweigert haben. Die wollten meist nur billig abhängen, oder sie gehörten zu denen, die mit Politikern aus Prinzip nicht reden wollten. Mir selbst ging es nicht nur um günstigen Wohnraum. Damals, Anfang der 80er-Jahre, begannen auch schon die ersten Verhandlungen zur Legalisierung. Es war spannend, dabei mitzuwirken.

Sie gehörten also zu den Verhandlern?

Ja, ich habe mich an der Vertretung nach außen, dem Blockrat, beteiligt. Dort ging es darum, ob die Leute, die drin wohnen, die Häuser behalten können. Ich habe auch das Besetzen von Häusern immer so verstanden, dass es um ein Instandbesetzen geht. Es ging also darum, konstruktive Lösungen zu finden und bei einer Legalisierung auch Verantwortung zu übernehmen. Und daher war ich sofort das Verhandlerschwein.

Wer hat das gesagt?

Das fiel in unserer Besetzerkneipe zum Elefanten oder auch im Blockrat. Da musste man sich auch manchmal beschimpfen lassen. Vor allem von den Leuten, die nach dem siebten Joint und dritten Bier der Meinung waren, sie müssten mir jetzt mal die Meinung geigen. Das waren übrigens dieselben, die später trotzdem von alldem, was wir erreicht haben, profitiert haben.

Wovon haben Sie profitiert?

Zum Beispiel von der Kohle, die dann im Kiez geflossen ist. Die Jobs bei der Selbsthilfe, mit der viele Bewohner die Häuser selbst instand gesetzt haben, bedeuteten leicht verdientes Geld. Es gab Tätigkeiten, die vielleicht mit heutigen Ein-Euro-Jobs vergleichbar wären, nur weitaus besser bezahlt.

In welchem Zustand war das Haus damals?

Es war ungefähr das kaputteste, das man sich vorstellen kann. Die Manteuffel 42 wurde aus Versehen mitbesetzt. Daher hat zwei Jahre niemand drin gewohnt. Erst als ein paar Leute woanders geräumt wurden, sind welche dort eingezogen. Überwiegend waren noch Fenster drin. Oben hat es reingeregnet, und unten ist es versickert. Es gab immerhin zwei Klos für das ganze Haus und eine Stromzuleitung aus dem Nachbarhaus. Und eine Trinkwasserzuleitung und eine Küche. An einer Stelle konnte man von ganz oben bis nach ganz unten durchgucken. Dort waren die Holzbalken vermodert.

Wie lange hat die Instandsetzung gedauert?

Das hat sich sehr lang hingezogen. Grausige Diskussionen der Hausgemeinschaft, wo es nur um Planungsfragen ging. 1983 wurde es legalisiert, drei Jahre später kann man sagen, dass es halbwegs bewohnbar war.

Das heißt?

Das Dach war dicht, und überall waren Fenster drin. Wir wollten ganz viel selber machen und haben uns damit furchtbar übernommen. Erst 1990 waren wir fertig. Die Besetzerszene ist ziemlich auseinandergedriftet damals. Es gab diejenigen, die ihren Weg in der Gesellschaft gesucht haben, die wie ich zum Beispiel im Baubereich hängen geblieben sind. Andere haben etwas zu Ende studiert und ganz normales vernünftiges Geld verdient. Und manche andere sind in der Verweigerung hängen geblieben und leben heute von Staatsknete.

Hausbesetzer kann man nicht ein Leben lang sein?

Nicht sein ganzes Leben sein sollte! Es muss ja eine Entwicklung geben. Klar, wenn man jung ist, sollte man ein paar radikale Sachen ausleben. Aber dafür kann man später etwas abgeklärter sein. Und man muss auch nicht ständig das Gleiche machen, dafür ist das Leben zu schade.

Sie sind seit damals zumindest in der gleichen Branche geblieben, in der Baubranche. Einen Diplomingenieur oder so etwas haben Sie aber nicht.

Ich hatte Glück. Ich bin in einen Bereich reingerutscht, in den man normalerweise nur reinkommt, wenn man vorher fünf Jahre lang studiert hat.

Aber heute ist es ein Nachteil?

Ja, ohne ein Diplom kann ich mich nicht bewerben, ich kann als Projekt- und Bauleiter nur selbständig arbeiten. Vor einem Jahr habe ich daher zusammen mit einem Architekten eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, wir ergänzen uns sehr gut.

Sie klingen nicht so, aus würde Ihnen die Selbständigkeit etwas ausmachen.

Vielleicht schon, wenn ich stärkeren ökonomischen Druck hätte. Aber meine Frau geht regelmäßig arbeiten, und so konnten wir mal drei Jahre lang finanziellen Leerlauf überbrücken. In solchen Zeiten kommt man natürlich schon ins Grübeln.

Wer heute nach Berlin zieht, kann sich nicht in einem besetzten Haus niederlassen wie Sie damals. Die Bewohner letzter ehemals besetzter Häuser fürchten täglich die Räumung.

Na ja, es gibt immer noch sehr günstigen Wohnraum in Berlin. Von den hundert Mark, die wir damals gezahlt haben, kann man natürlich nur noch träumen.

Ist das etwas, was Berlin immer mehr fehlt?

Ja, definitiv. Es war eine große Stärke von Berlin, dass man hier hinziehen und low budget leben konnte. Und wenn das ganz verschwindet, dann wird Berlin genauso langweilig werden wie Rom oder Paris, wo man unter 500 Euro keine Butze mehr kriegt. Es wäre eine Aufgabe der Stadtentwicklungspolitik, darauf zu achten, dass es weiterhin günstigen Wohnraum gibt. Man muss nicht alles durchsanieren.

In einigen Ecken ist da nicht mehr viel zu retten.

Klar, es gibt auch übersättigte Gebiete wie Prenzlauer Berg.

Wie ließe sich dort eine Entsättigung erreichen?

Wenn es noch viele Freiflächen gäbe, könnte man die für sozialen Wohnungsbau nutzen. Aber Prenzlauer Berg ist sehr dicht.

Und was ist dann die Lösung?

Zeit heilt alle Wunden. Anders ist das nicht mehr hinzukriegen. Der Bezirk wird wahnsinnig stark altern. In 30 Jahren gibt es da eine ganz homogene Szene aus 60- bis 70jährigen. Dann will keiner mehr dahin. Dieser Kreislauf ist aber kein Ergebnis von bewusster Stadtentwicklungspolitik, sondern von Zufälligkeiten.

Sie meinen, man könnte sich Stadtentwicklungspolitik, wie sie derzeit in Berlin aussieht, komplett sparen?

Eigentlich schon. Nach der Wende wurde unheimlich viel gemacht, weil die Stadtentwicklungsverwaltung einen milliardenschweren Topf hatte. Aber heute ist kein Geld mehr da, die Verwaltung ist nur noch ein Papiertiger. Wenn man nur die Hälfte der Beamten entlassen und mit dem Geld Projekte fördern würde, dann hätte man Stadtentwicklungspolitik.

Zum Beispiel?

Etwa Projekte, um Gegenden, in denen heute nur Rentner wohnen, für junge Menschen attraktiv zu machen. Ich finde, es ist wichtig, ein Gleichgewicht zu erreichen. Ziel soll schließlich nicht eine Aufwertung, sondern eine Durchmischung sein. Das macht eine Stadt lebenswert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.