Shared Space St. Georg: Geteilter Raum ist halber Raum

Insgesamt sieben Gemeinschaftsstraßen will der Hamburger Senat in der Stadt einrichten. Im bunten Viertel St. Georg nahe dem Hauptbahnhof regt sich nun erster Widerstand gegen das grüne Verkehrsprojekt

Im "sich selbst erklärenden Straßenraum" nicht mehr nötig: Verkehrsschilder macht Shared Space überflüssig. Bild: dpa

Er sei "durchaus einverstanden mit vielen grünen Gedanken zur Verkehrspolitik", sagt Michael Joho, aber eine Gemeinschaftsstraße, die "wollen wir hier nicht". Auch Helmut Voigland signalisiert Zustimmung zur Einrichtung von Tempo 30, nicht aber zu "Erziehungsmaßnahmen der Stadt". Voigtland steht dem rund 130 Jahre alten "Bürgerverein zu St. Georg" im bunten Viertel hinterm Hamburger Hauptbahnhof. Joho ist Vorsitzender des alternativen Einwohnervereins, gegründet 1987 - auch als Gegenpol zu Voigtlands Club.

Jetzt geben die beiden erstmals eine gemeinsame Pressekonferenz, weil sie sich in einem Punkt einig sind: "Die Gemeinschaftsstraße findet hier keine Akzeptanz." Als prominente Unterstützerin haben sie die Autorin, Filmemacherin und langjährige Gerichtsreporterin Peggy Parnass gewonnen, die seit langem in St. Georg lebt. Die 75-Jährige glaubt nicht, "dass irgendjemand vorsichtiger fährt, um andere zu schonen" - "Dann werden wir nur langsamer überfahren."

Einig sind sich die Drei in ihrer Abneigung gegen das Verkehrsprojekt Shared Space, das in Hamburg Gemeinschaftsstraße heißt. Sieben solcher Straßen will der schwarz-grüne Senat in der Stadt einrichten lassen, und eine davon ist die Lange Reihe, die Durchgangsstraße für das Quartier, dessen Image sich aus einer Mischung aus Alternativem, Kleinbürgerlichem, Multikulti, Schwulenszene und Prostitution speist.

Hamburg wäre die erste deutsche Metropole, die Shared Space ausprobieren würde. Ziel ist es, ein Miteinander zu schaffen, bei dem alle Verkehrsteilnehmer einander im Blick haben und aufeinander Rücksicht nehmen - und das gerade nicht vom Auto dominiert wird. Das Prinzip des "sich selbst erklärenden Straßenraums" bedeutet, dass alle Bürgersteige und Verkehrsschilder wegkommen, es weniger Parkplätze gibt und stattdessen eine Fahrbahngestaltung, die nicht mehr als 20 oder 30 Stundenkilometer zulässt.

Das zuständige Bezirksparlament habe bewusst die Lange Reihe vorgeschlagen, sagt der grüne Bezirksfraktionschef Michael Osterburg, wegen des großen Potenzials: "Die Mischung aus Autos, Fußgängern und Radfahren sowie dem Lieferverkehr macht das zu einer Herausforderung." Voigtland hingegen vertrete "nur eigene Interessen und die der SPD", so Osterburg, und "Joho die der Linken".

Das Shared Space Konzept stammt aus den Niederlanden. Dort und in Belgien haben es mehrere Städte und Gemeinden eingeführt.

In Norddeutschland hat die Gemeinde Bohmte bei Osnabrück die Regelungen im Mai 2008 eingeführt - bislang ohne nennenswerte Probleme. Mehrere norddeutsche Städte debattieren darüber, ob sie dem nacheifern wollen.

In den sieben Hamburger Bezirken soll je eine Straße zur "Gemeinschaftsstraße" umgewandelt werden. Dazu zählen mit der Langen Reihe im Stadtteil St. Georg und der Osterstraße in Eimsbüttel zwei größere Durchgangs- und Einkaufsstraßen.

Die Idee der Gemeinschaftstraße "lebt von Akzeptanz", das hatte Hamburgs grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk eingeräumt, als sie das Programm vor einer Woche vorstellte. Genau daran hapert es hier in St. Georg, wo sich der Widerstand als erstes formiert. Andere könnten folgen, so zum Beispiel rund um die Osterstraße im Stadtteil Eimsbüttel, einer der größten Einkaufsmeilen Hamburgs. Vor allem Handel und Gewerbe nämlich fürchten, weniger Autos bedeuteten weniger Käufer und also weniger Umsatz.

Zum Beispiel Frank Gräsel vom Kaufhaus "Lagerhaus": Sollte die Lange Reihe auf ein paar hundert Metern Länge für 2,2 Millionen Euro zur Gemeinschaftsstraße umgebaut werden, sagt er, "waren 15 Jahre Arbeit umsonst. Dann kann ich einpacken." Eine Gemeinschaftsstraße "nur 200 Meter hinterm Hauptbahnhof in einer Metropole", glaubt der Geschäftsmann, "geht gar nicht".

Da hat er sich mit Joho schlecht abgesprochen: Der nämlich empfiehlt "als Alternative" den Steindamm, das ist die Parallelstraße, in der aber ganz andere ihr Gewerbe treiben: der Straßenstrich.

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