Volkes Stimme pfeift

Beim „1. Stop-Tag“ demonstrierte eine merkwürdige Union aus einstigen Montagsdemonstranten und Zwischennutzern gegen das Palast-Ende

VON NINA APIN

Frau Liesert ist schon lange auf keiner Demo mehr gewesen. Um genau zu sein: nicht mehr seit den Montagsdemonstrationen, auf denen sie mit einem „Wir sind das Volk“-Pappschild ein wenig zum Ende der DDR beitrug. Seit der Wiedervereinigung, der „neuen Zeit“, wie sie es nennt, hat die 67-jährige Rentnerin nichts mehr auf die Straße gebracht. Doch heute ist sie zum Alexanderplatz gekommen, trotz der Kälte. Sogar eine Freundin hat sie mobilisiert. „Seit 1990 haben wir stillgehalten, aber jetzt reicht’s. Man kann uns doch nicht alles wegnehmen“, schimpft Frau Liesert und drückt ihrer Freundin das andere Ende eines Stoffbanners in die Hand. „Den Palast für das Volk erhalten!“ steht in sorgfältiger Schreibschrift darauf.

Viele wie Frau Liesert sind dem Aufruf des Bündnisses für den Palast zum „1. Stop-Tag“ gefolgt und demonstrieren gegen den Abriss. Sie tragen Schiffermützen und lila Damenwinterjacken und schreiten ernst hinter dem Großtransparent „Dem Palast eine Perspektive“ einher. Sie wehren sich nicht nur gegen den Abriss eines Gebäudes, sondern auch gegen die Tilgung der DDR-Vergangenheit aus dem Stadtbild. „Wer sagt, der Palast der Republik sei ein Schandfleck, der meint, die DDR-Geschichte ist ein Schandfleck!“, ruft Mitveranstalter Christoph Wagner aus dem Lautsprecherwagen und spricht den Ostberlinern aus der Seele – just als die Demonstranten am Kaufhof vorbeiziehen, der gerade endgültig von seiner DDR-Fassade befreit wird.

Die WASG nutzt die Gelegenheit, um für ein BVG-Sozialticket zu werben, ein Herr sammelt im Gehen Unterschriften gegen die Schließung des Fernbahnhofs Zoo. Die meisten der etwa 1.000 Demonstranten aber sind wirklich wegen des Palasts da. Nicht nur betagte Ostberliner, auch junge Hauptstädter und Touristen. Dem Palastbündnis ist es gelungen, die verschiedensten Fraktionen zu vereinen: Anhänger der kulturellen Nutzung marschieren mit wie Fans der sozialistischen Moderne, die ein architektonisches Unikum in neuem Glanz restauriert sehen wollen. Sogar ein paar Berliner, die sich dem Humboldtforum mit Schlossfassade zugetan fühlen, sind da. Sie alle wollen einen übereilten Abriss ohne realisierbare Baupläne und damit eine Brachfläche im Herzen der Stadt verhindern. Aus dem Lautsprecherwagen schallt als trotzige Hymne das Helden-Lied „Wir sind gekommen, um zu bleiben“.

Ulli vom Palastbündnis überprüft die Länge des Demonstrationszuges. „So viele Leute“, freut er sich. „Wir haben heute schon über 3.000 Unterschriften bekommen.“ Der Künstler engagiert sich schon lange für das Gebäude, zuerst bei den „Palastrettern“, jetzt beim „Bündnis“. Nicht aus Nostalgie – der jetzige Rohbau sei hässlich, räumt er ein. Ihm geht es um ökonomische Vernunft: „Berlin kann es sich nicht leisten, ein nutzbares Gebäude zu zerstören.“

Im Lustgarten vor dem Dom, in Sichtweite des Palasts, wird der Zug von einer Sambagruppe empfangen, die der schneidenden Kälte etwas brasilianische Hitze eintrommelt. Junge Leute tummeln sich vor der Bühne und erwerben grüne Mützen mit „Rettet den Palast!“-Aufdruck. Siri aus Finnland studiert Architektur, die Neuberlinerin hat den Palast als coole Konzert- und Kunsthalle schätzen gelernt. „Dieses Haus ist einzigartig, alle Berliner sollten stolz darauf sein“, sagt sie und kauft sich ein knallrotes Sweatshirt mit dem Slogan „Dein Palast braucht Dich!“.

Petra Pau von der PDS erklimmt die Bühne und wettert gegen ein „dümmliches Schleifen“ eines der letzten ehemaligen Volkshäuser. Der Architekt Phillip Oswalt erklärt geduldig den trockenen Inhalt der Machbarkeitsstudie, die dem Stadtschloss explodierende Baukosten bei eingeschränkter öffentlicher Nutzbarkeit attestiert. Für seine Feststellung, die DDR sei eine Diktatur gewesen, kassiert er Buhrufe und Pfiffe aus der Richtung des „Neuen Deutschland“-Infostands. Ein Moment der Irritation – Oswalt stockt, viele Jüngere vor der Bühne tauschen erschrockene Blicke aus.

Vor dem Palasteingang drängen sich derweil Besucher, die mit der zu Ende gehenden „Fraktale“-Ausstellung noch einen letzten Blick in das Gebäude werfen wollen – sicher ist sicher. Denn es ist fraglich, ob ein noch so breites Bündnis den für Januar angesetzten Abriss noch stoppen kann. Doch das tut den basisdemokratischen Vibes am Lustgarten keinen Abbruch. Es gibt Glühwein und Bratwurst gegen die Kälte, und der vom Parteitag herbeigeeilte Grüne Hans-Christian Ströbele ruft munter zum Kampf gegen das politische Establishment und sein Stadtschloss auf: „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie!“

Als zwei Rapper auf die Bühne steigen, treten Frau Liesert und ihre Freundin den Heimweg nach Lichtenberg an. Sie sind durchgefroren, aber glänzender Laune – nicht nur wegen des Glühweins. „Das war eine richtig schöne Bürgerdemonstration – Volkes Stimme. Da müssen die im Bundestag doch zur Vernunft kommen.“