Hegemann auf Buchpreis-Shortlist: "Die junge Frau ist extrem begabt"

Trotz Plagiatsvorwürfen steht die Autorin Helene Hegemann auf der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse. Ohne sie wäre die Liste aber auch ganz schön überraschungsarm.

Talentierte Collage: Helene Hegemann, umstrittene Autorin des Romans "Axolotl Roadkill". Bild: dpa

Helene Hegemann bleibt also für den publicityträchtigsten Literaturpreis dieses Frühjahres nominiert. Nachdem in den vergangenen Tagen durchgesickert (und zuerst in der FAZ auch ausgeplaudert) worden war, dass die 17-Jährige auf der Shortlist für den Preis der diesjährigen Leipziger Buchmesse steht, hatte es Spekulationen darüber gegeben, ob die Jury auf die Plagiatsvorwürfe reagieren und Hegemann wieder streichen würde. Sie hat es, wie sich der gestern offiziell verkündeten Liste entnehmen lässt, nicht getan.

Der offizielle Nominierungstext liest sich inzwischen nicht nur genretypisch beflissen, sondern auch naiv: "Helene Hegemann erzählt vom Leben in einer Welt, die sich von allen Konventionen befreit hat. […] Sie nimmt Drogen, verweigert die Schule und hat einen ausgeprägten Hang zu Realitätsflucht und Selbstzerstörung. All das registriert und reflektiert sie sensibel und sucht nach einer Ausdrucksform." Das wirkt wie noch vor aller Aufregung geschrieben. Dass Helene Hegemann, wie man inzwischen weiß, in Wahrheit eine eindrucksvolle literarische Collage gemixt hat, ist in den Begründungstext nicht eingeflossen.

Stattdessen hat die - übrigens jeglichen Pop-Hypes sehr unverdächtige - Juryvorsitzende Verena Auffermann gegenüber Presseagenturen die Sprachregelung hinzugefügt: "Diese junge Frau ist unserer Auffassung nach extrem begabt"; außerdem habe Hegemanns Verlag der Jury bestätigt, dass im Urheberrechtsstreit "alles einen ordentlichen Weg geht". Die Jury besteht aus den Kritikern Jens Bisky, Ina Hartwig, Elmar Krekeler, Kristina Maidt-Zinke, Adam Soboczynski und Volker Weidermann; niemand von ihnen hatte sich zuvor an den Jubelartikeln über "Axolotl Roadkill" beteiligt.

Belletristik: Jan Faktor, "Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag" (Kiepenheuer & Witsch); Helene Hegemann, "Axolotl Roadkill" (Ullstein); Georg Klein, "Roman unserer Kindheit" (Rowohlt); Lutz Seiler, "Die Zeitwaage" (Suhrkamp); Anne Weber, "Luft und Liebe" (Fischer)

Sachbuch: Michael Hampe, "Das vollkommene Leben" (Hanser); Steffen Martus, "Die Brüder Grimm" (Rowohlt Berlin); Ulrich Raulff, "Kreis ohne Meister" (C.H. Beck); Frank Schirrmacher, "Payback" (Blessing); Wolfgang Ullrich, "Raffinierte Kunst" (Wagenbach)

Übersetzung: Ulrich Blumenbach für "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace (Kiepenheuer & Witsch); Christian Hansen für "2666" von Roberto Bolano (Hanser); Grete Osterwald für "Waltenberg" von Hedi Kaddour (Eichborn); Rosemarie Tietze für "Anna Karenina" von Lew Tolstoi (Hanser); Hubert Witt für "Wilner Ghetto" von Abraham Sutzkever

Die Jury konnte gar nicht anders, als bei ihrer vor Wochen getroffenen Entscheidung zu bleiben. Alles andere hätte ihr Image beschädigt. Damit aber bleibt dem Literaturbetrieb der Fall Hegemann bis zum 18. März erhalten, an diesem Tag wird der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen (wobei aber davon auszugehen ist, dass Hegemann ihn keinesfalls erhalten wird). Man darf jetzt bereits feststellen, dass die Debatte bislang eigentlich ganz heilsam war. In ihr mendelt sich inzwischen einiges heraus.

Erstens: Der Roman selbst ist gut und lesenswert, aber er war in den ersten euphorischen Besprechungen heillos überbewertet worden, was inzwischen korrigiert wird. Eine talentierte Collage ist etwas anderes als ein authentischer Erfahrungsbericht.

Zweitens: Selbstverständlich darf in der Literatur zitiert und collagiert werden, aber es kommt immer noch darauf an, wie man das tut; und hier mit Thomas Manns Technik des "höheren Abschreibens" zu argumentieren ist, so altehrwürdig dieses Vorgehen unter Germanisten ist, im Fall Hegemann reichlich unangemessen. Helene Hegemann hat sich im Umgang mit ihren Quellen nicht okay verhalten, was sie inzwischen auch selbst so sieht und wofür sie sich entschuldigt hat. Das muss man nicht zu verbrämen versuchen, weder mit Anti-Urheberrechts-Posen noch mit modernen Ästhetiktheorien.

Drittens: Dass die Öffentlichkeit sehr sensibel und mit hoher Hinterfragungsbereitschaft auf Hypes reagiert, kann man eigentlich ganz befriedigt zur Kenntnis nehmen. Die hohen Wellen, die nun die Plagiatsvorwürfe gegen diese Autorin schlagen, sind nur ein Reflex auf die Vehemenz, mit der sie zuvor als Autorin mit den ganz großen Erzählungen des Generationenromans und sogar des Geniekults gepusht werden sollte. Es war wirklich arg stark aufgetragen worden. Das muss man bedauern, nicht nur weil die Literaturkritik da nun etwas großkotzig dasteht, sondern auch im Sinne von Helene Hegemann selbst: Ein sorgfältiger Aufbau einer Autorin sieht anders aus.

Die übrigen Nominierungen im Bereich Belletristik wurden übrigens mit viel Willen zu Literaturbetriebssolidität getroffen, fast schon, als wollte man da nun wirklich jedem möglichen Hype aus dem Weg gehen. Jan Faktor, Georg Klein, Lutz Seiler, Anne Weber - die Überraschung liegt hier vor allem darin, dass diese Auswahl so überraschungsarm ist. Ohne Hegemann hätte sie sich schon sehr wie auf Nummer sicher gegangen ausgenommen.

Und unter den Nominierungen im Bereich Sachbuch findet sich eine, die eh noch um einiges seltsamer ist als die von Helene Hegemann: Frank Schirrmacher steht mit seinem Essay "Payback" auf der Liste, so schmalbrüstig er sich gegenüber den anderen Nominierten auch ausnimmt. Das muss einem die Jury echt mal erklären.

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