Klamottentauschpartys: Die öffentliche Umkleidekabine

Privat gab es sie schon lange, nun drängen die Klamottentauschpartys in Cafés und Kneipen. Für die einen sind die Veranstaltungen die Billigvariante, an Mode zu kommen. Andere setzen auf Öko. Zwei Ortsbesichtigungen.

Auch das würden manche wohl auf eine Klamottentauschparty mitnehmen. Bild: dpa

Bis auf ihr Alter und die Tatsache, dass sie beide den gleichen Trend vertreten, haben Andreja und Ingrid wenig gemeinsam. Andreja Zahnen ist 33, sieht sich als "verhinderte Studentin und Jobberin", hat wenig Geld, aber einen guten Geschmack. Ingrid Gokeler ist 31, arbeitet bei einem Biogroßhandel für Tee und Kaffee, war schon als Kind Naturschützerin und hat seit über 15 Jahren kein Kleidungsstück mehr gekauft, das nicht öko ist. Andreja und Ingrid haben sich nicht besonders viel zu sagen, aber sie sind die beiden Frauen, die die einzigen regelmäßigen Klamottentauschpartys in Berlin etabliert haben.

Die Idee ist alt: Jeder hat Kleidung, die loch- und flecklos ist, aber trotzdem nicht getragen wird. Fehlkäufe, Sachen, die nicht richtig passen oder von denen man irgendwann genug hat. Beim Klamottentausch kann jeder solche Kleidung mitbringen und die von anderen wieder mit nach Hause nehmen. In privatem Rahmen gibt es das auch in Berlin schon lange, als Freunderunde mit großen Wäschekörben oder als Verkupplungsversion, bei der jeder die Kleidung trägt, die er tauschen will. Seit letztem Jahr fangen Einzelne an, die Idee in Cafés, Clubs und Kneipen zu tragen. Wenn auch auf ganz verschiedene Art und mit unterschiedlichen Beweggründen.

Wenn Andreja einen Klamottentausch organisiert, hört man solche Sätze: "This is our last song, then you can search for some nice clothes." Die das sagt, heißt Frida, tragt einen kurzen silbernen Paillettenrock über der schwarzen Strumpfhose und hat in der letzten Stunde zusammen mit ihrer Freundin Tove Folkpopmusik mit Akkordeon und Gitarre gespielt. Das schwedische Duo ist das Vorprogramm zum Klamottentausch in der Neuköllner Kneipe "Gelegenheiten". Durch den Raum sind Wäscheleinen gespannt, über denen Blusen, Pullover und ein Samtbüstenhalter hängen. Im Hinterzimmer der ehemaligen Fleischerei steht ein Spiegel, auf der Coach liegen Jeans. Dazu gibt es Bier, Rotwein aus Ein-Liter-Flaschen und Club Mate.

"Das hier sind zu 80 Prozent Leute, die keine Kohle haben und sonst vielleicht in Secondhandläden gehen würden", sagt Andreja Zahnen. Aber Leute, die sich für Mode interessieren. Eine Partybesucherin tragt einen roten Ganzkörperoverall, dessen tiefer Rückenausschnitt von Bändern zusammengehalten wird. Andreja traf sich früher öfter privat mit Freundinnen zum Klamottentausch. "Aber in einer Kneipe mit mehr Leuten und Musik ist es lustiger", sagt sie. Geld verdient sie damit nicht, das Gelegenheiten in Neukölln ist ein Verein. Vor 10 Monaten organisierte sie hier die Party, es kamen über 40 Menschen, seitdem gibt es sie alle zwei Monate, das nächste Mal am 26. März. Politische und ökologische Gründe, Klamotten zu tauschen, habe hier fast niemand, sagt Andreja.

Außer Ingrid Gockeler. Die sitzt neben Andreja Zahnen und hat einen roten Rollkragenpullover und einen Baumwollschal zum Tauschen aufgehängt. Ingrid Gockeler kommt gern zum Klamottentausch ins Gelegenheiten. "Es hat hier so eine Selbstverständlichkeit", sagt sie.

Ingrid ist möglicherweise die Berlinerin, die sich am besten auskennt, wenn es um Kleidertausch geht, regelmäßig verfolgt sie klamottentausch.net, einen bundesweiten Blog. Am Sonntag organisiert sie ihren zweiten Kleidertausch in der Kreuzberger Kollage in der Yorkstraße, beim ersten Mal im Dezember waren im Laufe des Nachmittags knapp 100 Menschen da.

Der erste öffentliche Klamottentausch, zu dem Ingrid Gockeler ging, war im vergangenen Jahr auf der Ökomodemesse thekeyto. Sie brachte ein rotes T-Shirt mit, bei dem "One boyfriend is never enough" auf der Brust stand und das sie sich nie zu tragen traute. Dafür nahm sie eine Bluse mit. Ingrid Gockeler hat schon Ökomode gekauft, lange bevor es dafür eine Messe gab - bei Marken wie Hess Natur und Waschbär. Sie ist froh, über den Aufschwung der Green Fashion und darüber, dass sie "nicht mehr ökig aussieht".

"Aber auch in grüner Mode steckt ein enormer Ressourcenverbrauch - auch Biobaumwolle braucht viel Wasser", sagt Ingrid Gockeler. Klamottentausch ist für sie ein Element bewussten Konsums. Das ist ihr Thema, sie hat Politikwissenschaften studiert und träumt davon, eines Tages einen Grüne-Mode-Laden aufzumachen, in dem es eine Kleidertausch-Ecke gibt. Zu tauschen bedeutet für sie, Kleidung länger zu nutzen, ohne zwanzig Jahre dasselbe tragen zu müssen.

"Mir schwebt mehr eine Umsonst-Ökonomie vor", sagt sie. Bei ihren Partys solle sich nicht der Umrechnungszwang entwickeln, dass man etwas, das man mitbringt, gegen etwas Gleichwertiges eintauschen muss. Auch an diesem Sonntag wird sie wieder das Poster neben die Kleiderständer an die Wand hängen: "Bringt so viel ihr habt, nehmt so viel ihr braucht."

Der Hedonismus der sich unter den Tauschenden im Laufe der Stunden entwickelt, ist allerdings hier wie dort der gleiche. Im gekachelten Hinterzimmer des Gelegenheiten sammelt sich ein Grüppchen vorher Fremder vor dem Spiegel zur Modeberatung. "Mir steht es nicht, vielleicht dir?", sagt eine Frau und gibt ein braun-beige gestreiftes T-Shirt weiter. Ein schlaksiger Mann läuft in Boxershorts durch den Raum und nimmt eine Jeans vom Kleiderständer. Vom Sofa aus wird er beobachtet. "Wenn sie ihm passt, werde ich sauer - das ist meine Hose, und mir passt sie nicht mehr", flüstert die Frau auf der Couch. Beim Zuschauen hält sie ihre Jacke im Arm. Sie ist zum ersten Mal da, aber vor dem einen Anfängerfehler hat sie eine Freundin gewarnt: Sie solle nie die eigene Jacke zwischen den anderen Sachen liegen lassen. Denn es läuft wahrscheinlich jemand vorbei, dem sie gefällt.

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