Jelinek im Hebbel am Ufer: Der Kollaps unserer Tage

Der niederländische Regisseur Johan Simons inszeniert Jelineks "Kontrakte des Kaufmanns" und erinnert daran, dass die Finanzkrise von Menschen gemacht ist.

Szene aus "Underground" im Hebbel am Ufer. Bild: Phile Deprez

In der Finanzkrisensaison 2009/2010 sind die deutschen Bühnen heilfroh um dieses Stück. Ganze sieben haben Elfriede Jelineks "Kontrakte des Kaufmanns" auf ihre Spielpläne gehievt. Ist ihnen damit doch eine zeitgenössische Alternative zu Bert Brechts ebenfalls in einer Weltwirtschaftskrise verfasster "Heiliger Johanna der Schlachthöfe" an die Hand gegeben, um den Kollaps unserer Tage zu verhandeln.

Dabei hatte die hellsichtige Nobelpreisträgerin ihr Stück - ausgehend von dem Skandal um den österreichischen Meinl-Konzern - bereits niedergeschrieben, als Lehman & Co. in Übersee pleitegingen. Im April 2009 hatte der Jelinek-Regieexperte Nicolas Stemann mit seiner hochenergetischen Uraufführung in Köln die Inszenierungsmesslatte denkbar hoch gelegt.

Bei ihm redeten sich die Banker-Chöre im Crescendo heiß oder verfielen in hysterisches Lachen, gab es Lehman-Slapstick und Flipchart-Action-Painting. Das Kölner Publikum wirkte am Ende der vier Stunden geradezu elektrisiert. Im Berliner Hebbel am Ufer ist dieser Tage die "Underground" betitelte Version des niederländischen Regisseurs Johan Simons zu sehen, der im Herbst die Intendanz der Münchner Kammerspiele übernimmt und derzeit noch das NT Gent leitet. Mit seiner Genter Crew führt er anderes im Schilde als Stemann - doch auch das funktioniert. Während Letzterer in Köln große Teile des Jelinek-Textes performen ließ und die noch abzuarbeitenden Seiten per Digitalanzeige herunterzählen ließ, wühlt Simons im Sprachschuttberg der Jelinek, schiebt ganze Kalauerhaufen beiseite, sortiert geschätzte 80 Prozent des Textes aus - und findet: Menschen.

Wo Stemann auf die Maschinerie eines überschnappenden Systems schaut, zoomt Simons auf dessen menschliche Zahnräder, birgt das Einzelschicksal aus den Endlossatzflächen. Er negiert nicht, dass der Fehler im System liegt, beharrt aber darauf, dass dieses von Menschen gemacht ist.

Steht bei Jelinek der Klagegesang des Kleinanlegerchors den dreisten Rechtfertigungstiraden der Banker in aufeinanderfolgenden Textmassiven gegenüber, nimmt sie gegen Ende die real grundierte Geschichte eines Betriebsleiters auf, dessen Unternehmen Konkurs zu gehen drohte und der seine gesamte Familie mit einer Axt erschlug, um ihr die Schmach des Bankrotts zu ersparen. Diese Figur gerinnt bei Simons zur Zentralgestalt: An ihm zeigt sich, was die kapitalistische Ideologie aus den Menschen zu machen imstande ist - ein menschenverachtendes System gebiert seine Ungeheuer. Der Mörder sitzt am Ende zusammengekauert als Sündenbock inmitten einer genüsslich mit dem Finger auf ihn zeigenden Neureichen-Party-Gesellschaft.

Das durchweg glänzend aufgelegte Genter Ensemble spielt die sich zu blutrünstigen Vampiren entwickelnden Normalo-Menschen als changierende Individuenskizzen, die sowohl Empörung als auch unverschämtes Gewinnergrinsen eindrücklich direkt über Rampe schicken. Dabei lässt Simons, zwischen Banktresorraumwürfel und Swimmingpool, einige von Jelineks Wortspielperlen ganz plastisch glänzen, indem er die von ihr hin und her gewendeten Sprachbilder wörtlich nimmt.

"Wir können doch nichts dafür, aber wir müssen es trotzdem ausbaden", klagen die Kleinanleger etwa - und die Schauspieler gehen im Bühnenpool baden. Und wenn die Banker ihren gelackmeierten Kunden beruhigend zusprechen, zeigt einer seine Armmuskeln her und erläutert mit angespanntem Fitnessstudiogesicht: "Während Sie Ihr Schläfchen hielten, hat Ihr Geld trainiert und abgenommen, das können Sie uns ruhig abnehmen!" Wers immer noch glaubt, wird nimmer selig.

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