Stimmungsmache gegen Hartz IV-Bezieher : Beschwerde über "Bild"-Zeitung

Der paritätische Wohlfahrtsverband wirft der "Bild"-Zeitung Falschinformation durch irreführende Berechnungen vor. Eine gerichtliche Entscheidung zu Regelsätzen kommt am 9. Februar.

"Bild" kam zu dem Schluss: "Für viele lohnt sich Arbeiten kaum noch!" Bild: dpa

BERLIN apn/epd/taz Die Hartz-IV-Debatte geht weiter: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bezeichnete die Gewährung des Existenzminimums für Arbeitslose in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Freitag als "Perversion des Sozialstaatsgedankens". Bild verglich in einem Artikel unter dem Titel "Macht Hartz IV faul?" die Einkünfte von Arbeitnehmerfamilien mit den Hartz-IV-Sätzen für erwerbslose Familien. Das trägt dem Blatt jetzt eine Beschwerde beim Deutschen Presserat ein.

Die von der Zeitung veröffentlichten Vergleichsrechnungen seien "allesamt falsch und in der deutlichen Absicht manipuliert, Stimmung gegen Hartz-IV-Bezieher zu machen", erklärte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Deswegen habe er den Deutschen Presserat angerufen.

Bild stellte die Einkommen von verschiedenen Arbeitnehmern mit Kindern den staatlichen Bezügen von Langzeitarbeitslosen mit Nachwuchs gegenüber und kam zu dem Schluss: "Für viele lohnt sich Arbeiten kaum noch!" Die Zeitung habe wichtige Einkommensquellen systematisch unterschlagen, rügte der Paritätische Wohlfahrtsverband. Das Wohngeld und der Kinderzuschlag seien in allen Fällen ignoriert worden, obwohl sie den Arbeitnehmerfamilien zustünden. "Je nach der von Bild aufgeführten Beispielfamilie summieren sich die unterschlagenen Leistungen auf über 700 Euro", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider.

"In der aktuell aufgeheizten Debatte wird mit solchen Falschinformationen Politik gemacht", so Schneider. "Bild muss deshalb eine Richtigstellung vornehmen."

In ein ähnliches Horn wie das Boulevardblatt hatte der hessische Ministerpräsident Koch in der FAZ getutet. "Wenn Millionen von Bürgern, die jeden Tag hart arbeiten, sehen, dass sie ohne jede eigene Anstrengung folgenlos annähernd das gleiche Einkommen erhalten könnten wie diejenigen, die sich nicht anstrengen und das System ausnutzen, dann ist das nichts anderes als die Perversion des Sozialstaatsgedankens", schrieb Koch in einem Eigenbeitrag für das Blatt.

Koch bemängelte unter anderem, dass sich viele Leistungsempfänger darin eingerichtet hätten, nur wenige Stunden im Monat zu arbeiten und dazu aufstockende Leistungen aus Hartz IV zu beziehen.

Die Debatte bekommt Brisanz, weil im Koalitionsvertrag von Union und FDP festgeschrieben ist, dass die Hinzuverdienstgrenzen für Langzeitarbeitslose erhöht werden sollen. Eine Kommission dazu soll sich im Sommer zusammenfinden. Folgte man nun den Gedanken Kochs, dann bekämen Vorstöße aus dem Arbeitgeberlager Rückenwind. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hatte bereits verlangt, dass die ersten 200 Euro Hinzuverdienst künftig vollständig angerechnet werden sollen und erst darüber hinaus die Freigrenzen erhöht werden sollen. Bislang sind die ersten 100 Euro anrechnungsfrei.

Der Streit über die Regelsätze wird demnächst durch eine Gerichtsentscheidung vorangetrieben. Das Bundesverfassungsgericht teilte am Freitag mit, dass es am 9. Februar sein Urteil über die Hartz-IV-Sätze verkünden werde. Die Sozialgerichte hatten Zweifel angemeldet, ob insbesondere die Berechnung der Sätze für Kinder mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diese Sätze werden ohne eigene Bedarfsberechnung von den Sätzen der Erwachsenen abgeleitet.

Eine Veränderung der Regelsätze nach Neuberechnungen könnte aber erst im Jahr 2011 kommen, hatte es im Bundesarbeitsministerium geheißen.

BARBARA DRIBBUSCH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.