Diskussion über linke Aktionen: "Ich nenne es Terror"

Bei einer Podiumsdiskussion über "Grillanzünder, Extremismustheorie, Repression und Rechtstaat" redet die Antifa über alles, nur nicht über Grillanzünder, mit denen Autos in Brand gesetzt werden.

Noch eine offene Frage: Was haben Opelfeuerzeuge mit Antifa zu tun? Bild: ap

"Eigentlich könnte man sich fast bedanken für den Mobilisierungseffekt", sagt Michael Kronawitter. Am Dienstag hatte die Polizei in Berlin das "Red Stuff", den Laden der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), durchsucht und Plakate zur Gegendemo zum Nazi-Aufmarsch am 13. Februar in Dresden beschlagnahmt. Einen Abend später sitzt Kronawitter von der ALB auf einem Podium in der Ladengalerie der Zeitung junge Welt und die Stühle reichen nicht für das herein drängende Publikum. Um drei Minuten vor sieben werden Bierbänke ausgeklappt, um fünf nach setzen sich die ersten auf Heizungen und Tische, um zehn nach müssen die letzten an der Tür stehen. Über 100 Zuhörer sind es am Ende.

Neben der ZDF-Kamera, die auf das Podium gerichtet ist, riecht es nach Grillanzündern. Jeweils ein Quader weißer Brandbeschleuniger klebt mit auf jedem Flyer zur Veranstaltung, die dort auf dem Info-Tisch liegen. "Feueralarm!" steht auf dem Zettel, und: "Was haben Grillanzünder mit Extremismustheorie, Repression und Rechtstaat zu tun?" Auf dem Podium sitzen neben Kronawitter die Linken-Bundestagsabgeordnete Inge Höger und Kirill Jermak (Linke). Der Politiker sitzt für seine Partei in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Lichtenberg. Und war im letzten Jahr Anmelder der "Revolutionären 1.Mai-Demonstration" in Kreuzberg.

In Berlin wurden im vergangenen Jahr laut Polizei weit über 200 Autos bei vermutlich politisch motivierten Anschlägen in Brand gesetzt. Zumeist mit Grillanzündern. "Ich nenne es Terror", sagt Kronawitter. Aber er meint nicht das Abfackeln von Autos. Er spricht von Repression. Ungepixelte Bider von Verdächtigen in der Boulevardpresse, Politikerworte von "Kieztaliban" und "rotlackierten Faschisten", Polizeidurchsuchungen, zählt er auf.

Das zweite Thema des Abends ist Solidarität, die raue Stimmung schweißt zusammen. Die Grillanzünder auf den Flyern haben die gleiche Funktion wie Kronawitters Einstiegsgeschichte. Das Gefühl zu vermitteln: Wir sind alle Verdächtige. Kronawitter sagt, er habe einige Zeit vor Beginn der Veranstaltung eine junge Frau gesehen, die mit einem Beutel im Raum umher gegangen sei. Mit einem Block Kohleanzünder habe sie über die Stuhlflächen gestreift, gefragt, wo die Presse sitzt, und dort besonders kräftig gerieben. Sie habe gesagt, nur weil sie in Friedrichhain wohne und noch einen Kohleofen habe, wolle sie nicht die einzige sein, die verdächtige Spuren an ihrer Kleidung hat.

Im Raum, in dem viele junge ALB-Leute sitzen, einige ältere, wird heute nicht über die Gewaltfrage geredet werden, das ist schnell klar. Auch wenn es darüber vermutlich verschiedene Meinungen gibt - die Diskussion um Protestmethoden, um Militanz, wird in internen Plena geführt. Man will sich nicht einlassen auf den Druck zur Distanzierung, der nur das Ziel habe, zu spalten. So sind vor der ZDF-Kamera alle der gleichen Meinung, auf dem Podium, im Publikum. Es gibt nichts zu streiten, der Moderator gibt sorgsam eine Frage nach der nächsten reihum. Kronawitter erzählt Geschichten, überschlägt sich, zu jedem Satz fällt ihm noch einer ein. Er rechnet vor, wie lange ein Hartz-IV-Empfänger seine Mobilitätspauschale sparen muss, um sich einen Porsche Cayenne leisten zu können: 760 Jahre. Die Leute lachen. "Polemisch und sarkastisch, aber super", sagt ein Zuschauer.

Jermak und Höger verblassen daneben. Jermak klagt über die "rechte Presse", die nur nach härteren Strafen rufe. Das zeige doch wie angespannt das soziale Klima ist. Die einzige kritische Anmerkung zum Umgang mit Gewalt kommt von Höger - als beiläufigen Nebensatz schieb sie ein: "Auch wenn ich der Ansicht bin, dass brennende Autos nichts ändern werden".

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