Pro & Contra Sexualstraftäter: Schüren die Medien die Hysterie?

Der Umgang von Fernsehen und Zeitungen mit dem Fall des Sexualstraftäters Karl D. ist fragwürdig: Schürt die Berichterstattung die Hysterie, über die sie berichtet?

Die "Sau" wird durchs Dorf getrieben - und hinaus. Bild: dpa

Ja!, sagt Christoph Gurk

Klar, man kann die Menschen verstehen, die in Randerath leben, die besorgten Mütter mit den Transparenten, die eingeschüchterten Kinder und die wütenden Familienväter. Niemand will gerne neben einem mehrfach verurteilten und rückfallgefährdeten Sexualstraftäter wohnen. Und klar ist auch, dass die Medien darüber berichten mussten.

Doch den meisten Fernsehsendern und Klatschblättern ging es dabei nicht um die Frage, wie eine Gesellschaft mit Karl D. umgehen sollte oder wie ein Rechtsstaat den Fall behandeln müsste, sondern es ging um Emotionen - die kann man nämlich besser verkaufen als sperrige gesellschaftliche Fragen. Die Sender und Zeitungen wollten nicht den 1.400 Bewohnern von Randerath helfen, sondern vor allem sich selbst. Das Ergebnis war eine immer hysterischere Berichterstattung, die vieles nur noch schlimmer machte.

Bezeichnend ist zum Beispiel, dass in Randerath, so meint man, nur junge Mütter und mehrfache Familienväter wohnen, allesamt verständlicherweise enorm besorgt um ihre kleinen Kinder. Ältere Menschen oder Alleinstehende bekam man dagegen nie zu sehen. Nicht, weil Randerath eine demografische Anomalie ist und es dort nur junge Familien gibt. Der Rest der 1.400 Einwohner kam nur einfach nie ins Bild, denn mal ehrlich: Eine Mutter mit Tränen in den Augen, ein Vater, der sich Sorgen um seine Kinder macht - das sind große Gefühle! Die haben einen riesigen Identifikationsfaktor! Differenziertere Stimmen fanden daneben einfach keinen Platz.

Das Problem ist, dass die extreme Emotionalisierung die sachliche Diskussion beeinflusste. Wenn ein Rechtsexperte die Situation erklärte, hörte man im Hinterkopf noch leise die weinende Mutter, die "Die armen Kinder!" rief. Geholfen hat das den Menschen in Randerath nicht. Im Gegenteil. Schlimm genug, mit einem Mann Tür an Tür zu wohnen, der nachweislich drei Mädchen vergewaltigt hat und dem Ärzte attestieren, dass er es vielleicht wieder tun wird.

Seine Nachbarin weinend im Fernsehen zu sehen, beruhigt aber nicht unbedingt die Lage. Dass die Bewohner von Randerath ihre Kinder nicht mehr alleine hinauslassen wollen, dass sie Angst haben, das kann man verstehen. Ihre Schuld ist es jedenfalls nicht.

Nein, meint Arno Frank

Schlimm, dieses Pack, wie es geifernd in der Provinz sich die Füße platt tritt, um Bilder zu schießen und Filme zu drehen vom heiligen Zorn echauffierter Erziehungsberechtigter! Großaufnahmen von der Ader, die auf der Stirn der Mutter pocht, und von den weißen Knöcheln der Faust, die der Vater ballt. Schlimm genug, wie Volkes Groll sich Bahn bricht. Schlimmer noch, wie "die Medien" diesen Groll vor Ort einfangen, landesweit verbreiten und ihm damit ein Gewicht geben, den er ohne die Medien nie hätte. Oder?

Ist eine Berichterstattung an sich schon hysterisch, nur weil ihr Gegenstand die Hysterie ist? Und wie könnte eine redlich-professionelle Distanzierung von Bildern aussehen, deren einzige Ursache und zugleich einzige Wirkung der Aufruhr ist, die emotionale Aufwallung? Es mag ein Dilemma sein, aber bei einer Demonstration handelt es sich nun einmal um ein grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Meinungsäußerung. Aufgabe der Medien schließlich ist es, die Allgemeinheit über diese partikulare Meinungsäußerung zu unterrichten - umso intensiver, je größer und berechtigter das öffentliche Interesse daran ist. Dass diese Öffentlichkeit von den Medien erst hergestellt wird, ist den Medien also nicht anzukreiden. Die Herstellung von Öffentlichkeit ist ihre Aufgabe.

So geht es im Fall des Sexualstraftäters von Randerath um durchaus gesellschaftspolitische Fragen. Es geht um den Widerspruch von Recht und "gesundem Menschenverstand", von Rehabilitation und Opferschutz - und um die Frage, ob der Staat die subjektive Sicherheit seiner Bürger auch dann noch gewährleisten muss, wenn deren Bedürfnis danach "nur" irrealen Ängsten entspringt.

Trotzdem: Machen sich die Medien mit dem Mob gemein, wenn sie den Mob zeigen und seinen Forderungen ein Forum geben? Gegenfrage: Wäre die Lage in Randerath für alle Beteiligten entspannter, wenn keine Kameras vor Ort wären? Wohl kaum. Ohne das Ventil der Publizität wäre aus dem Mob womöglich längst ein Lynchmob geworden.

Die Bilder zeigen sogar, wer genau dazu in der Lage wäre: Eltern, die ihre Kinder zur Menschenjagd mitnehmen und ermuntern, ein Schild mit der Aufschrift "Raus du Sau" in die Kameras zu halten. Missbrauch hat viele Gesichter. Dies ist ein besonders perfides.

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