Demjanjuk-Prozess: Gutachter belastet Angeklagten

Historiker im Demjanjuk-Prozess bescheinigt SS-Helfern in Vernichtungslagern Beteiligung am Holocaust. Bei Flucht drohte den ausländischen Tatbeteiligten die Todesstrafe.

Prozess-Ordner zum Fall Demjanjuk. Bild: ap

BERLIN taz | Im Mordprozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John (Iwan) Demjanjuk hat ein Gutachter am Mittwoch über das Verhalten der ausländischen SS-Helfer ausgesagt. Dieter Pohl vom Münchner Institut für Zeitgeschichte sagte, dass diese Helfer durchgängig am Massenmord an den Juden beteiligt waren. "Alle Wachmänner kamen dran bei der Bewachung des Lagers und bei der Vernichtung von Menschen", zitierte Pohl einen damals in Sobibor eingesetzten SS-Mann. Das Lager wurde laut dem Historiker nur von etwa 25 bis 30 SS-Männern betrieben. Hinzu kamen die gut 100 ausländischen Helfer.

Pohls Gutachten hat deshalb eine große Bedeutung für das Verfahren vor dem Landgericht München, weil es keine lebenden Zeugen gibt, die sich an eine individuelle Schuld Demjanjuks erinnern können. Der heute 89-jährige ehemalige Ukrainer ist angeklagt, 1943 im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen am Mord von mindestens 27.900 Juden mitgewirkt zu haben. Demjanjuk habe die mit Güterzügen nach Sobibor verbrachten Juden wie die anderen SS-Helfer auch in die dortigen Gaskammern gezwungen.

Die Anklage wirft Demjanjuk auch vor, nicht die Chance zur Flucht vor den Nazis ergriffen zu haben. Dazu erklärte Pohl, die im SS-Lager Trawniki ausgebildeten ausländischen Wachmänner - die deshalb auch Trawnikis genannt wurden - hätten im Fall der Flucht mit der Todesstrafe rechnen müssen. Allerdings seien manche der Ergriffenen auch nur mit Arrest oder KZ-Haft bestraft worden. Es habe immer wieder ausländische SS-Helfer gegeben, die geflohen seien. Ein Fall von Befehlsverweigerung sei ihm nicht bekannt, sagte der Experte: "Allerdings gibt es Hinweise auf Unzuverlässigkeiten mit Versetzung ins Stammlager."

Über das Verhalten der Trawniki-Männer sei nur sehr wenig bekannt, erklärte der Gutachter. Insgesamt seien etwa 4.000 bis 5.000 Osteuropäer in Trawniki ausgebildet worden. In einem Fall habe es einen gemeinsamen Fluchtversuch von zwei Trawnikis und fünf Gefangenen gegeben - ein Gefangener und beide Trawnikis wurden von den Nazis gefasst und getötet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.