Nazi-Aussteiger im Gespräch: "Gegen das Scheißsystem"

Auf der Haut prangen noch die SS-Runen. Doch die Einstellung hat sich geändert: Mike P. ist aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Nun ist er in der linken Szene aktiv.

Möchte sich menschlich weiterentwickeln: Aussteiger Mike P. Bild: Miguel Ferraz

taz: Sie sagen heute vor dem Amtsgericht Hamburg-Barmbek gegen Ex-Kameraden aus, die Sie nach Ihrem Ausstieg aus der rechten Szene bedroht und einen Freund von Ihnen verprügelt haben. Hat sich die Situation seitdem weiter verschärft?

Mike P.: Zu dem Prozess gehe ich nicht ohne Schutz. Ich kenne die Hamburger Szene nur zu gut. Sie schlägt schnell zu. In der NPD und dem Kameradschaftsnetzwerk sind es die militanteren Kräfte um Jan-Steffen Holthusen, die bestimmen. Mit ihm habe ich zusammen gearbeitet. Mein Ausstieg ist für sie eine Provokation.

Weil sie so aktiv in der Szene waren, so viel über sie wissen?

Ja. Als ich 17 war, wendete ich mich der NPD zu. In einer Jugendwohnung hatte ich einen aus der Szene kennengelernt. Seitdem galt für mich nur noch eins: Politik machen gegen das Scheißsystem. Freizeit, Freundin - dafür, so sagte ich damals, hätte ich keine Zeit. Und da ich arbeitslos war, kümmerte ich mich 24 Stunden um die Sache. Die wissen, dass ich weiß, wo sie ihre Politik planen.

Jugendwohnung, arbeitslos. Wollen Sie eine schwere Kindheit als Rechtfertigung heranziehen?

Ich will mich nicht rausreden. Meinen Eltern habe ich es echt schwer gemacht. Um Politik ging es da aber nicht - falls Sie das gleich fragen wollten. Ich will jetzt auch nicht vorschieben, Freundschaft gesucht zu haben. Mich zogen die Inhalte an: gegen Ausländer und Juden, gegen Kapitalismus und Bundesrepublik.

Und dann sind Sie von rechts gleich nach links gewechselt?

Nee, so einfach lief das nicht. In der rechten Szene begann mich mehr und mehr diese offene Verherrlichung des Nationalsozialismus und ständige Hetze gegen Ausländer zu stören.

Kann man rechtsextremes Denken einfach ablegen?

Vorher habe ich das irgendwie weggeblendet. Und als ich mich mehr als Autonomer Nationalist verstand, sah ich, dass dieser beliebte Hitlerismus die nationale Bewegung wenig nach vorne bringt.

Links ist das aber noch immer noch nicht. Wann kam der Bruch?

Beim 1. Mai-Marsch in Hamburg. Damals gab es ja diese massiven Übergriffe von meinen Ex-Kameraden. Fünfzehn gingen da auf einen Demonstranten los. Das hat mich echt geschockt.

Sie fordern einen fairen Kampf?

Ich weiß: Das hätte ich auch als Rechter sagen können, aber so meine ich das nicht. Mir wurde klar, wie wenig wir politisch wirklich als Alternative zu dem Bestehenden anbieten. Nämlich gar nichts. Auch der Autonome Nationalismus bietet nichts an. In der NPD und bei den Autonomen Nationalisten wird das Soziale ethnisiert. Doch einzelne Ethnien sind nicht Schuld am Kapitalismus, der mit seiner Globalisierung weltweit Mensch und Tier ausraubt und vernichtet.

Für die Linke klingt das jetzt politisch korrekt.

Ich bemerke die Skepsis. Nach meinem Ausstieg bin ich nicht gleich zur linken Szene gegangen. Ich fiel da erst einmal in ein Loch. Später kam ich ins Gespräch mit linken Leuten. Die waren sehr vorsichtig. Zu recht. Und manche sind es immer noch.

Sie waren ein Kader, haben bei "nationalen Netzradios" moderiert, haben für die NPD gewirkt und für die Autonomen Nationalisten. Nun wollen Sie links sein und denken?

Schon vorher habe ich linke Klassiker gelesen. Von Karl Marx das "Kommunistische Manifest" und so. Mir wurde langsam klar, wie wenig Gehalt die rechten Schriften wie die "Protokolle der Weisen von Zion" haben. Ich hatte in der Szene einfach aufgehört nachzudenken. Als ich dann total kaputt war, ausgebrannt, mich völlig kraftlos fühlte, emotionslos, wie eine Maschine, begann ich mein Leben zu hinterfragen. Mir fiel auf, dass die links-alternativen Ansätze gar nicht so verkehrt sind.

Von einem Extrem ins andere: Manche Anhänger der Totalitarismustheorie dürften ihre Entwicklung so verstehen.

Wenn man einmal angefangen hat, sich gegen die herrschenden Begebenheiten zu wehren, kann man doch nicht aufhören politisch zu sein, weil man zuvor nicht die richtige Alternativen angestrebt hat. Ich möchte mich aber jetzt menschlich weiterentwickeln, mit mir selbst weiter ins Reine kommen. Vielleicht ist für mich privat ja noch nicht alles verloren.

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