Argentinien öffnet die Archive: Aufarbeitung der Militärdiktatur

Die argentinische Präsidentin Kirchner ordnet die Freigabe von Dokumenten aus der Zeit der Militärdikatur an. Doch viele Beweise sind wohl längst vernichtet.

Ehemalige Offiziere der Militärdiktatur auf der Anklagebank. Die geöffneten Akten könnten die Aufklärung der Verbrechen beschleunigen. Bild: reuters

BUENOS AIRES taz | In Argentinien ist die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen während der letzten Militärdiktatur einen weiteren Schritt vorangekommen. Präsidentin Cristina Kirchner hat die Freigabe der bisher unter anderem als "Staatsgeheimnis" klassifizierten Dokumente der Streitkräfte aus der Zeit von 1976 bis 1983 angeordnet. Während der Militärdiktatur verschwanden rund 30.000 Menschen spurlos oder wurden nachweislich ermordet.

Per Dekret hob Präsidentin Kirchner die Geheimhaltung "all jener Information und Dokumentationen in Verbindung mit dem Agieren der Streitkräfte während des gesamten Zeitraum zwischen 1976 und 1983" auf. Ausgenommen sind Information und Dokumente in Verbindung mit dem Malwinen/Falkland-Krieg von 1982 und Dokumente, die Informationen über Konflikte mit anderen Staaten beinhalten.

Die Maßnahme wurde ohne große Ankündigung und durch die simple Veröffentlichung im staatlichen Gesetzesblatt in Kraft gesetzt. "25 Jahre nach der Wiederherstellung des demokratischen Staates ist es nicht länger möglich, die Unzugänglichkeit solcher Informationen und Dokumente mit dem Argument des 'Staatsgeheimnis' oder jeglicher anderen Sicherheitsklassifizierung zu erlauben, die das Wissen über die jüngsten Geschichte und das Recht der Gesellschaft ihre Vergangenheit zu kennen beschneiden," heißt es etwas gewunden in der Begründung.

Die Präsidentin reagierte damit auf die Forderung eines Bundesgerichts in der Stadt La Plata nach dem Zugang zu Informationen über ein geheimes Gefangenenlagers in der Provinz Buenos Aires. Als Begründung werden aber auch die gegenwärtig laufenden Prozesse gegen Angehörige der Streitkräfte wegen Menschenrechtsverbrechen während der letzten Militärdiktatur genannt. Prominester Prozess ist das gegenwärtig laufende Verfahren gegen ehemalige Angehörige der Mechanikerschule der Marine ESMA. Die Mechanikerschule war das größte geheime Haft- und Folterzentrum in der Hauptstadt Buenos Aires. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass dort mehr als 5.000 Menschen gefoltert wurden und verschwanden.

Eduardo Luis Duhalde, Staatssekretär für Menschenrechte, begrüßte die Verfügung von Präsidentin Cristina Kirchner. "Die Maßnahme erleichtert in erster Linie der Justiz den Zugang zu den nötigen Informationen," sagte Duhalde im Hinblick auf die gerichtlichen Verfahren. Menschenrechtsanwalt Rodolfo Yanzón gab sich in einer ersten Stellungnahme jedoch skeptisch. Man müsse jetzt abwarten, inwieweit die Militär wirklich bereit sind zu kooperieren und Dokumente herauszugeben, so Yanzón.

Luis Alén, Duhaldes Unterstaatssekretär für Menschenrechte gab sich ebenfalls vorsichtig. "Das sind nicht die Archive auf die alle Welt gewartet hat," sagte er der Zeitung Página/12. Bei dem Material handele es ich nicht um Listen mit den Namen der Verschwundenen und den Angaben, wohin möglicherweise ihre Körper verbracht wurden. Man muss annehmen, dass diese Unterlagen von den Militärs vernichtet wurden, bevor sie die Macht abgaben. Dagegen ist jetzt der Zugang zu den Informationen möglich, die belegen, welcher Militärangehörige zum welchem Zeitpunkt an welchen Ort aktiv war und so in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein könnte, so Alén.

In ihrem Jahresbericht 2008 hatte die Menschenrechtsorganisation CELS aufgelistet, dass gegen rund 1300 Personen ermittelt oder die Gerichtsverfahren bereits eingeleitet wurden. 400 der Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft. Die Verfahren wurden möglich nachdem im August 2003 das Parlament die Amnestieregelungen aufgehoben hatte, die auf Druck der Militärs 1986 und 1987 ergangen waren und ihnen weitgehende Straflosigkeit für den staatlichen Terror garantierten. Der Oberste Gerichtshof hatte die Annullierung der Amnestiegesetze im Juni 2005 bestätigt.

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