Neue Identitäten: Islam ist pop

Eine wachsende Jugendkultur deutscher Muslime lebt durch Internet und Popkultur ein neues Lebensgefühl. Statt Unterschiede werden Gemeinsamkeiten mit Deutschen betont.

Im Pop-Islam werden statt Unterschiede die Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen betont. Bild: dpa

Als wildfremde Menschen ihn in der Londoner U-Bahn auf sein T-Shirt ansprachen, war Melih Kesmen für einen Moment wie verzaubert. Noch heute ist der Designer begeistert, dass "etwas so Simples" einen Dialog auslösen kann. Der Schriftzug auf dem T-Shirt war: "I love my Prophet". Wie es zur Gründung seines Modelabels Styleislam kam, ist für Kesmen allerdings weniger erfreulich: Es waren die Reaktionen auf die "Mohammed-Karikaturen" vor vier Jahren - von muslimischer wie auch von nichtmuslimischer Seite. "Das hat mich auf gut Deutsch tierisch angekotzt", sagt Kesmen. Auf der einen Seite diese "Fahnenverbrennereien", die nach seinem "islamischen Empfinden" völlig unpassend gewesen seien. Auf der anderen Seite Großteile der deutschen Presse mit ihrem Standpunkt: "Das ist eben Pressefreiheit, wir machen das jetzt, ganz egal ob es jemanden verletzt." In dieser Situation merkte Kesmen, dass er zwischen diesen Positionen steht. Und habe dann als "Kreativer" und Designer einfach ein positives Statement auf die Straßen tragen wollen.

Mittlerweile gibt es außer zahlreichen T-Shirts bei Styleislam.com auch Accessoires (den Schlüsselanhänger "Amina" oder Buttons mit der Aufschrift "Hijab - My Right, My Choice, My Life") und seit neuestem Wandbilder. Den Stil beschreibt der ehemalige Graffiti-Künstler Kesmen als "Islamic Streetart". Einer der Slogans lautet: "Terrorism has no religion", ein anderes Motiv zeigt eine Figur, die im Fastenmonat Ramadan das eigene "Ego" in den Mülleimer wirft. Für den Slogan "Jesus & Muhammad. Brothers in Faith", also Brüder im Glauben, bekam Kesmen Drohanrufe aus Bayern. "Was ihm überhaupt einfalle, ,Jesus' auf ein T-Shirt zu schreiben!"

Styleislam ist mittlerweile einer der ersten Namen, der fällt, wenn es um das Thema Pop-Islam geht. Den Begriff hat die Islamwissenschaftlerin Julia Gerlach für eine islamische Jugendkultur geprägt, deren Vertreter einerseits sehr religiös sind, andererseits aber auch gerne Symbole aus der Popkultur verwenden. Der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch vom Internetportal ufuq.de sagt: "Es ist eine sehr bildungsorientierte, hippe, muslimische Szene, die sich ausdrücklich als deutsch definiert." Die Seite Styleislam stehe repräsentativ für diese Strömung, ebenso das soziale Netzwerk myumma.de und die Muslimische Jugend in Deutschland. Dazu kämen Foren wie muslimaaktiv.de, die "Islamische Denkfabrik" und zum Teil waymo.de vom Zentralrat der Muslime.

Im Pop-Islam herrscht große Offenheit

Inzwischen nehme auch die Zahl der muslimischen Blogger und Bloggerinnen zu. Diese Szene müsse strikt von anderen Strömungen, wie den Salafiten, unterschieden werden, erklärt Nordbruch. Salafiten etwa würden sich stark von Nichtmuslimen abgrenzen und zwischen "wahrem" und "falschem" Glauben unterscheiden. Im sogenannten Pop-Islam herrsche dagegen große Offenheit. Statt Unterschieden würden Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Nichtmuslimen betont.

Kübra Yücel ist eine der Bloggerinnen. Die 21-jährige Studentin hat ihren Blog "Fremdwörterbuch" begonnen, weil sie Erfahrungen mit Diskriminierung machen musste. "Ich hatte davor in so einer kleinen Blase gelebt, wo alle tolerant und offen für andere Kulturen sind." Doch dann wurde sie recht kurz hintereinander auf der Straße wegen ihres Kopftuchs als "Schleiereule" beschimpft und Zeugin einer Nazi-Demo. "Ich dachte mir, dass irgendetwas nicht stimmt in unserer Gesellschaft. Dass es wahrscheinlich zu wenig Kontakt gibt zwischen den verschiedenen Gruppen in der Bevölkerung", sagt Yücel. Ein Blog erschien ihr als die beste Möglichkeit, Vorurteile abzubauen. "Ich wollte einen Einblick in das Leben eines muslimischen Mädchens in Deutschland geben."

Über ihren Alltag schreibt auch Fatma Camur in ihrem Blog "Habseligkeiten". "Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nicht darüber nachdenke, wer es liest", sagt die 20-jährige Studentin, "aber natürlich finde ich es cool, wenn auch Nichtmuslime mitlesen." Ihr Blog soll zeigen, dass es eigentlich keinen so großen Unterschied zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Jugendlichen gibt. Etwa darin, wie man über Musik und Filme schreibt. Camur ist über den Blogwettbewerb des sozialen Netzwerks myumma.de zum Schreiben gekommen. "Ich steckte damals mitten im Abitur und es war wie ein Ventil für mich. Durch das Schreiben konnte ich abschalten."

Auch viele nichtmuslimische Jugendliche bloggen und mögen Popkultur. Warum ist es überhaupt bemerkenswert, wenn junge MuslimInnen sich dafür interessieren? "Es ist einfach ein neuer Lifestyle, in dem es keinen Konflikt dazwischen gibt, Muslim zu sein und in der deutschen Gesellschaft aktiv zu sein", sagt Bloggerin Yücel. Popkultur habe dafür eine "immense" Bedeutung. "Denn sie hat etwas Sorgenfreies." Yücel hat die Erfahrung gemacht, dass dieses Lebensgefühl auch bei Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten ankommt. Das Internet sei für junge Muslime in Deutschland ebenfalls sehr wichtig, um ein "selbstbewusstes Lebensgefühl" entwickeln zu können.

Auch Designer Kesmen hofft, mit seinen Produkten jüngeren Muslimen ein stärkeres Selbstbewusstsein zu geben. "Es ist ja ein großes Problem, wenn sie zwischen zwei Welten hängen und nicht wissen, wo sie genau hingehören", sagt der 34-Jährige. Für ihn persönlich ist diese Frage seit langem geklärt. "Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets, bin mit deutschen Kindern aufgewachsen, bin hier selbstständiger Unternehmer und zahle hier meine Steuern", sagt Kesmen. Den Begriff "Integration" könne er nicht mehr hören. "Ich will nicht darüber reden, ob ich hier reinpasse." Über die vorhandenen Probleme müsse allerdings konstruktiv geredet werden.

Ganz wichtig sei, dass es sich bei dieser islamischen Jugendkultur um ein "deutsches Phänomen" handele, sagt Islamwissenschaftler Nordbruch. Die Jugendlichen verarbeiteten ihren Alltag in Deutschland und die Lage von Muslimen hier. Diskussionsthemen seien etwa der Mord an Marwa El Sherbini in Dresden, das Minarettverbot in der Schweiz, aber auch weniger politische, sondern ganz persönliche Dinge wie etwa eine möglicherweise problematische Situation in der Schule. Ab und zu gebe es Bezüge zu Irak, Afghanistan oder Palästina, sagt Nordbruch. Doch insgesamt sei der Fokus: "Wir sind Bürger, wir haben hier Rechte, wir wollen in Deutschland unsere Zukunft gestalten und außerdem wollen wir Spaß haben." Mit einer sinkenden Religiosität gehe das nicht einher. Viele Studien, unter anderem die des Zentrums für Türkeistudien, würden zeigen, dass etwa immer mehr muslimische Jugendliche im Ramadan fasten und fünfmal am Tag beten. In dieser Hinsicht seien die 15- bis 29-Jährigen religiöser als die 29- bis 35-Jährigen. "Das lässt darauf schließen, dass sich die islamische Jugendszene daraus speist", sagt Nordbruch.

Auch Kesmen betet und fastet. Er versuche den Islam, so gut es gehe, authentisch zu leben. "Aber bei alldem muss ich meinen Geist freihalten, damit ich kreativ sein kann." Er sehe sich als "islamischer Freidenker", der trotzdem nach konservativen Werten lebt. Die Bloggerinnen Yücel und Camur können mit den Kategorien "liberal" oder "konservativ" nicht so viel anfangen. "In manchen Dingen wäre ich wohl konservativ - es gilt ja auch als konservativ, heiraten zu wollen -, in anderen wiederum liberal", sagt Yücel. Und Camak findet, diese Kategorien klingen, als wolle man angeben, zu wie viel Prozent man Muslim sei.

Aus der Negativ-Energie etwas Positives schaffen

"Wir müssen es schaffen, einen gesellschaftlichen Frieden zu erreichen", sagt Yücel. Ihr Ziel sei die "Entdämonisierung des Islam". Sie wolle den Menschen zeigen: "Ich bin Muslimin und entspreche nicht dem Bild, das in den Medien die ganze Zeit gezeichnet wird." In vielerlei Hinsicht sei sie keine Ausnahme. "Es gibt viele muslimische Mädchen, die sich akademisch weiterbilden." Dass die meisten nicht so öffentlich präsent seien, liege auch daran, dass es "unglaublich viel Kraft" koste, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Kesmen sagt: "Wir müssen Ängste abbauen, Vertrauen schaffen und vor allem miteinander statt übereinander reden." Das Minarettverbot in der Schweiz, das er als "Kasperletheater" bezeichnet, sei "einfach nur total ätzend". "Was gibt mir das wieder für ein Bild? Wie unerwünscht bin ich?" Doch mit seiner Kunst hat er sein Ventil gefunden: "Ich bin echt bemüht, aus dieser Negativ-Energie etwas Positives zu schaffen.

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