Die Kathedrale im Herzen des Islam: Der Bischof von Arabien

Der Kapuziner Paul Hinder steht auf der Arabischen Halbinsel dem größten und wahrscheinlich schwierigsten Bistum der Welt vor. Von dem Schweizer Minarettverbot hält er gar nichts.

Bischof Paul Hinder vor einer Moschee in Abu Dhabi. Bild: ap

ABU DHABI taz | Es ist eine unglaubliche Momentaufnahme. Der Bischof von Arabien tritt aus seiner Kathedrale im kleinen Emirat Abu Dhabi am Golf, während der Muezzin vom benachbarten Minarett die Muslime zum Gebet ruft. Dieser Augenblick fasst alles zusammen, was in den letzten Wochen in Europa über Minarettverbote diskutiert wurde - unter Verweis auf die schwierige Lage der Christen auf der Arabischen Halbinsel. Und der Bischof, der 67 Jahre alte Kapuziner Paul Hinder, der seit fünf Jahren das Bistum der Arabischen Halbinsel leitet, ist auch noch ausgerechnet Schweizer.

Es gibt sie also, die Kathedrale mitten im Herzen des Islam. Sie ist nur etwas schwer zu finden, denn sie hat keinen Kirchturm. Wenn man über die breiten Straßenzüge Abu Dhabis kreuzt, sind zwar zahllose Minarette zu sehen, aber kein einziger Kirchturm. Selbst am Eingang zur Kathedrale findet sich kein Kreuz, das darauf hinweisen würde, dass sich hinter den Mauern das katholische Zentrum der gesamten Halbinsel befindet.

Der Deal ist einfach: In den Vereinigten Arabischen Emiraten dürfen Christen innerhalb der Kirche und des Kirchhofes frei ihre Feiern abhalten und ihre Riten ausüben, aber nichtislamische religiöse Zeichen nach außen sind untersagt. "Wir werden toleriert, sind aber nicht unbedingt beliebt", fasst Bischof Hinder das schwierige Verhältnis zusammen. Die Kirche selbst gleicht eher einer Mehrzweckhalle. "Das ist unsere Kathedrale, auch wenn sie mit dem Kölner Dom kaum Ähnlichkeit hat", entschuldigt sich der Bischoff humorvoll.

Fatwa: "Araber und Muslime dürfen keine Weihnachtsfeste mehr erlauben!" Mit diesen Worten zitiert Spiegel online gestern den einflussreichen Scheich Jussuf al-Kardawi aus dem Golfemirat Katar. Der 83-jährige Gelehrte, der in Doha ein islamisches Forschungszentrum leitet, wettere in einer Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, dass das Weihnachtsfest gegen den Islam verstoße und in den islamischen Ländern verboten werden müsse. Der erzkonservative Scheich, der viele Anhänger hat, sagte weiter, er könne sich angesichts des Weihnachtstreibens in Doha fast fragen, in welcher Art von Gesellschaft er lebe - einer islamischen oder einer christlichen? Al-Kardawi ist bekannt für seine Attacken gegen das Christentum. Seine Tirade begründete der Scheich in einem YouTube-Video auch mit dem Verbot von Minaretten in Europa. Inzwischen distanzieren sich gemäßigte Gelehrte von dem Scheich. In den arabischen Ländern leben nach Schätzungen 20 Millionen Christen.

Er steht nicht nur dem wahrscheinlich schwierigsten, sondern auch dem größten Bistum der Welt vor. "Mein apostolisches Vikariat umfasst einen halben Kontinent mit fast drei Millionen Quadratkilometer Fläche", beschreibt er sein kirchliches Herrschaftsgebiet. Sechs Länder zählen dazu, neben den Vereinigten Arabischen Emiraten Oman, Bahrain, Katar, der Jemen und sein größtes Sorgenkind - Saudi Arabien. Insgesamt leben dort nach seiner Schätzung mindestens zwei Millionen Katholiken. Alle kommen aus dem Ausland zum Arbeiten in diese Länder, vor allem Katholiken aus Indien, den Philippinen, aber auch Europäer und Amerikaner und einige katholische Araber, die von außerhalb des Golfes stammen.

"An manchen Tagen frühstücke ich in Abu Dhabi, esse im Emirat Katar zu Mittag, um dann abends im Sultanat Oman zu sein", beschreibt der offen wirkende Priester einen Arbeitstag. Er ist vieles in einem: Vorsteher seines Bistums, Seelsorger, aber auch Diplomat, wenn es darum geht, mit Emiren, Sultanen und Königen weitere Spielräume für seine Gemeinden auszuhandeln. Auf dem riesigen Gebiet seines Bistums gibt es gerade einmal 17 Kirchen, im größten Land, in Saudi Arabien, keine einzige.

"An den meisten Orten beschränkt sich unsere Tätigkeit auf die Orte, die uns von den Staatenlenkern dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurden", erläutert Bischof Hinder. "Wir leben in muslimischen Staaten, in der die öffentliche Ordnung sicht- und hörbar von der vorherrschenden Religion geregelt ist. Damit müssen wir zurechtkommen, sagt der Bischof. Um zu erläutern, wie er das macht, benutzt er immer wieder das englische Wort "low-profile" oder wie er es noch formuliert: "Je leiser wir sind, umso mehr können wir machen".

Das gilt vor allem für Saudi Arabien, über das er ungern spricht. Andere Kirchenmitglieder berichten von privat abgehaltenen Messen und von Priestern, die gelegentlich zur Unterstützung geschickt werden, ohne das an die große Glocke zu hängen. Bischof Hinder gibt sich positiv. Für den privat ausgeübten Glauben sei in Saudi Arabien schon lange niemand mehr verhaftet worden, diese Möglichkeit habe selbst der saudische König Abdullah in mehreren Reden garantiert. Auch dass der König vor kurzem den Vatikan besucht hat, sei ein positiver Schritt. Es gebe bescheidene Signale, die man wahrnehmen müsse. So zum Beispiel, wenn in einer saudischen Zeitung erstmals das Bild des Papstes gedruckt wird - und zwar mit Kreuz. "Das heißt aber nicht, dass wir am nächsten Tag eine Kirche in Riad eröffnen können", sagte der Bischof dazu in einem anderen Interview.

Segen am Flughafen

An seinem Amtssitz in Abu Dhabi sind die Dinge um einiges einfacher. Er gehe oft in seinem weißen Bischofsgewand auf die Straße - mit Römerkragen, aber ohne die Halskette mit dem Kreuz, schränkt er ein. "Da falle ich kaum auf, weil mein Gewand den weißen Gewändern der Einheimischen sehr ähnelt", witzelt er. Erkannt wird er trotzdem oft, vor allem in den Geschäften, wo viele Inder und Philippinos arbeiten, die ihn als Bischof grüßen. Da passiert es gelegentlich auch, dass beim Check-in am Flughafen einer der Arbeiter in aller Öffentlichkeit den Bischof um den Segen bittet.

Um seine Sicherheit macht Hinder sich keine Sorgen. Nur einmal sei er während einer Messe tätlich angegriffen worden - von einem Christen. Gefragt nach seiner größten Herausforderung, redet der Bischof übrigens nicht sofort über den schwierigen Status der Christen in der Region, sondern spricht von den immensen Sorgen seiner Gemeindemitglieder. "Viele der asiatischen Arbeiter leben getrennt von ihren Familien mit all den Problemen, die das mit sich bringt", beschreibt er. Die meisten könnten ihre Heimat und ihre Familien nur einmal im Jahr besuchen, manche gar nur alle zwei Jahre.

Mit der Wirtschaftskrise ist nun auch noch die Angst um den Arbeitsplatz dazugekommen, besonders im verschuldeten Dubai. Der Verlust der Arbeit bedeutet am Golf auch immer den Verlust der Aufenthaltsgenehmigung. "Wir könne den meisten nicht helfen, auch wenn sie oft glauben, ich hätte eine Macht wie der Emir von Abu Dhabi, der gerade mit 10 Milliarden Dollar dem verschuldeten Dubai ausgeholfen hat. Da muss ich leider passen", lacht der Bischoff. Manchmal hilft er den Arbeitern, ein Ticket in die Heimat zu finanzieren, oder er gibt ihnen etwas Geld, um eine Notlage zu überbrücken.

An diesem Abend ist seine Kathedrale voll mit Filipinos. Für europäischen Geschmack ist es eine sehr intensive Messe. Eine Frau rutscht auf den Knien von ganz hinten bis vor zum Altar. Draußen, im Kirchhof, haben sich die Kinder vor dem blinkenden Weihnachtsbaum versammelt. Auf dem kleinen Weihnachtsbasar, auf dem es Kruzifixe und ein paar hölzerne Weihnachtskrippen zu kaufen gibt, sehen sich die meisten nur die Exponate an. Das Geld ist knapp. Für viele war schon die Fahrt zur Kirche eine große Ausgabe. "Manche kommen bis zu 200 Kilometer zur Messe angereist. Das ist vor allem für diejenigen aus den Arbeitscamps in den Emiraten oft unerschwinglich", sagt der Bischof. Trotzdem: Zur Mitternachts-Christmette kommen jedes Jahr um die 4.000 Gläubige. Am 25. Dezember werden in der Kathedrale 20 Gottesdienste in 13 Sprachen abgehalten, an denen über 20.000 Menschen teilnehmen. "In Europa machen sie sich Sorgen über leere Kirchen, das ist wahrlich nicht mein Problem", lächelt Bischof Hinder.

Das leidige Minarettverbot

Und dann kommt das Gespräch mit dem Bischof von Arabien doch noch auf sein Heimatland und auf seinen Ärger, dass ausgerechnet die Situation in seinem Bistum als Argument für das Minarettverbot in der Schweiz herhalten musste. "Diese Logik geht überhaupt nicht auf", beginnt der gebürtige Thurgauer. Man könne einen demokratischen Staat wie die Schweiz mit einer entsprechenden Grundordnung nicht mit der hiesigen Situation vergleichen. Natürlich gebe es in seinem Bereich nur eine eingeschränkte Religions- und Kulturfreiheit. "Wegen des Minarettverbots in der Schweiz werden die Saudis morgen noch lange keine Kirchtürme erlauben", gibt er zu bedenken. Abgesehen davon würden von dem Ganzen nur die Fanatiker profitieren.

Er hätte seine Freude gehabt, hätten die Schweizer anders entschieden: "Dann hätte ich hier auf der Arabischen Halbinsel sagen können: Schaut meine Schweiz, die bejaht grundsätzlich eine offene Gesellschaft - nehmt euch doch ein Beispiel."

Inzwischen dämmert es. Der Bischof von Arabien geht eine Runde und sieht auf dem Vorhof seiner bescheidenen Kathedrale ein letztes Mal an diesem Tag nach dem Rechten. Der Muezzin ruft zum Gebet.

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