Studie zur Jugendgewalt: Mehr Mädchen werden angezeigt

In Polizeistatistiken zu Jugendgewalt nimmt der Unterschied zwischen den Geschlechtern ab. Ein Institut sagt jetzt: Mädchen werden nur häufiger angezeigt als früher.

Atsch! Würden Sie sie anzeigen? Bild: steeldrum/photocase

BERLIN taz | Für Dirk Baier war 2009 ein gutes Jahr. Der Soziologe beschäftigt sich seit zehn Jahren mit Geschlechterrollen und Jugendgewalt. Seit fünf Jahren arbeitet er dazu am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Das Institut wiederholt seit Jahren beharrlich sein Untersuchungsergebnis: Jugendgewalt nimmt ab. Dennoch folgte jahrelang auf jede Präsentation von Polizeizahlen die Meldung: Jugendgewalt nimmt zu. Erstmals sank in der aktuellsten Auswertung jedoch die Zahl der Fälle auch in der Kriminalstatistik. Baier wusste, dass das kommen musste. Er beobachtet seit Jahren die Dunkelziffer.

"Besonders bei Gewalt von Mädchen werden heute wesentlich mehr Taten angezeigt als früher", sagt Baier. Für eine aktuelle Auswertung hat er Befragungen von SchülerInnen mit Polizeistatistiken verglichen. Laut amtlicher Statistik stiegen die Gewalttaten von Mädchen besonders 2007 deutlich. Das Kriminologische Forschungsinstitut führte zwischen 1998 und 2008 Befragungen von insgesamt über 60.000 Jugendlichen in neunten Klassen durch. Jüngst untersuchte Baier die Ergebnisse mit Hinblick auf Geschlechterunterschiede. "Entgegen den Nachrichten gehen die Gewalttaten von Mädchen zurück, wenn auch etwas weniger deutlich als die von Jungen", sagt Baier.

Den etwa 15-jährigen Schülerinnen und Schülern wurden Fragen gestellt wie zum Beispiel: "Hast du schon einmal jemanden absichtlich so geschlagen, dass er verletzt war?" Der Anteil der Jungen, die darauf mit Ja antworten, sei in zehn Jahren von 27 auf 23 Prozent, der der Mädchen von etwa 10 auf etwa 8 Prozent gesunken.

Diese Zahlen sind eine Annäherung an die Dunkelziffer. "Eine Polizeistatistik erfasst nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden, und wird daher davon beeinflusst, wie groß die Anzeigebereitschaft ist", sagt Baier. "Die Toleranz gegenüber Gewalt von Mädchen hat abgenommen." Das habe die Zahl der registrierten Fälle steigen lassen. Insgesamt ergab eine deutschlandweite Dunkelfeldbefragung, dass drei Viertel der Taten unangezeigt bleiben. Das seien aber nicht automatisch die weniger schweren. "Ein Deutscher, der Opfer einer Gewalttat wurde, zeigt diese statistisch häufiger an, wenn sie von einem Nichtdeutschen begangen wurde."

Die Entwicklung in diesem Jahr sieht Baier als Indiz, dass die Anzeigebereitschaft nun ihren Höhepunkt erreicht haben könnte. Die von ihm registrierte Entwicklung im Dunkelfeld schlage sich demnach auch im polizeilich registrierten Hellfeld nieder. "Dann müsste es wieder einen leichten Rückgang geben", sagt Baier. Anfang kommenden Jahres werden die Statistiken für 2009 vorgestellt. Die Debatten um einzelne Fälle von Gewalt in diesem Jahr könnten aber auch zu einer noch höheren Sensibilität geführt haben. "Es ist eine positive Entwicklung, wenn es weniger versteckte Gewalt gibt", sagt Baier.

Dass die in der Tendenz abnehmende Jugendgewalt stabil ist, davon ist der 33-Jährige überzeugt. "Das schlussfolgern wir nicht nur aus unseren, sondern auch aus ähnlichen Untersuchungen." Baier hofft, spätestens in zwei Jahren wieder eine große Studie dazu durchführen zu können - wenn etwa das Innenministerium sein Institut dabei finanziell unterstützte.

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