Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat: Schwarz-Gelb verschiebt Geld
Ab Januar werden Familien, Erben, Unternehmer entlastet – der Bundesrat stimmt Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu. Länder und Städte fürchten Einnahmeausfälle.
BERLIN taz | Die Geschichte über das erste große Projekt der schwarz-gelben Regierung - das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" - hätte leicht zu einer werden können über fehlende Loyalität in der eigenen Partei. Lang haben die CDU-regierten Länder Schleswig-Holstein und Sachsen rebelliert - und einen Preis für ihre Zustimmung gefordert. Am Freitag zeigten sie sich dann zufrieden: Der Bundesrat stimmte dem Steuersenkungspaket zu. Ab Januar werden Familien, Erben, Unternehmer entlastet.
Den Staat werden diese Steuererleichterungen pro Jahr 8,5 Milliarden Euro kosten. Den Ländern und den Kommunen fehlt Geld - für Kindergärten, für Schwimmbäder, für Schauspielhäuser. Deswegen hatten nicht nur SPD-Politiker angekündigt, das Gesetz abzulehnen. Allen CDU-Länderchefs voran hatte der schleswig-holsteinische Peter Harry Carstensen sein Ja von einem Ausgleich durch den Bund abhängig gemacht. CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte das unter Druck.
Ab Januar 2010 gibt es mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Steuerentlastungen für:
Familien: Der jährliche steuerliche Kinderfreibetrag wird von 6.024 Euro auf 7.008 Euro angehoben. Das monatliche Kindergeld steigt um jeweils 20 Euro. Eltern bekommen also für das erste und zweite Kind jeweils 184 Euro, für das dritte 190 und für alle weiteren Kinder 215 Euro im Monat.
Erben: Geschwister, Nichten und Neffen sollen bei einer Erbschaft künftig Geld sparen, die Sätze bei der Erbschaftsteuer sinken. Je nach Vermögen betragen sie zwischen 15 und 43 Prozent. Bisher sind es 30 bis 50 Prozent. Für Firmenerben wird derweil die Arbeitsplatzauflage für eine Steuerbefreiung gelockert.
Hoteliers: Für Hotelübernachtungen sinkt der Mehrwertsteuersatz von 19 auf sieben Prozent. Inwieweit die Hotels die Ersparnis an ihre Gäste weitergeben, ist offen.
Unternehmer: Zur Entlastung von international tätigen Konzernen, aber auch von Mittelständlern wird die Unternehmensteuerreform von 2008 korrigiert. So wird die Möglichkeit für Firmen vereinfacht, Verluste steuermindernd geltend zu machen. Auch die Bestimmungen zum Abzug von Zinsaufwendungen ("Zinsschranke") werden gelockert. (HG)
Die allein von der Union oder zusammen mit der FDP regierten Länder sichern im Bundesrat die knappe Mehrheit. Gemeinsam haben sie 37 der 69 Stimmen. Zieht eins der Länder nicht mit, ist Merkels Koalition blockiert. Also ließ die Kanzlerin prüfen, wie sie den Ländern entgegenkommen könnte.
Dann sagte sie ihnen Milliarden für die Bildung zu. Sie stellte in Aussicht, dass sich der Bund stärker als vorgesehen an der Finanzierung der Jobcenter und den Wohnungskosten für Langzeitarbeitslose beteiligt. Auch will sie im nächsten Jahr darüber reden, wie die Steuereinnahmen besser zugunsten der Länder verteilt werden. Bei einem Kamingespräch am Donnerstagabend in Berlin willigten die Protestler dann ein.
Die nicht allein von Schwarz-Gelb regierten Länder verreißen derweil das Steuerpaket: "Klientel-Begünstigungsgesetz" (der parteilose Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum.) "Mehr als zweifelhaft", dass es Wachstumsimpulse gibt, die Fachwelt glaube auch nicht daran (der rheinland-pfälzische SPD Ministerpräsident Kurt Beck). "Das Gesetz ist schlecht, die Verschuldung der Länder und Städte steigt" (der Bremer SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen).
Böhrnsens Kollegen denken sich bereits neue Einnahmequellen aus. Die SPD in Köln rechnet wegen des neuen Gesetzes mit Steuerausfällen von 12 bis 15 Millionen Euro pro Jahr. Ab Mitte 2010 will sie darum eine neue Steuer einführen. Für Touristen, die in einem Hotel übernachten, soll eine Fünf-Prozent-Abgabe auf den Zimmerpreis fällig werden. Das Geld soll in die Kultur fließen.
Leser*innenkommentare
Amos
Gast
Es kamen die Wähler gelaufen
Die erbärmlichen Haufen
sie wählten den, der sie quält.
Jetzt haben sie nicht Brot und nicht Butter
Sie haben nicht Mantel noch Futter,
Sie haben FDP gewählt
Ullrich F.J. Mies
Gast
Dummheitsbeschleunigungs-Gesetz
Die schamlose, dreiste und beinharte Frechheit der angestellten Politmarinetten in Diensten der herrschenden Finanzaristokratie und der Reichennetzwerke zeigt sich wieder einmal an ihren Steuersenkungsorgien. Das Hauptziel der neokonservativen Ideologen ist die Zerschlagung der sozialstaatlich verfassten Demokratie. Diese wollen sie um jeden Preis abräumen. Das ist ihre Obsession. Mit der Steuerschraube strangulieren sie die Demokratie. Ihre implizite Verfassungsfeindlichkeit wird deutlich, wenn man sich anschaut, welche Namen sie sich für ihren Gesetzesschund einfallen lassen müssen. Da gibt die „Wachstumsbeschleunigung“ dem neuesten Machwerk seinen Namen, dessen korrekte Bezeichnungen wäre:
Reichtumsumverteilungsbeschleunigungs-Gesetz,
Staatsverarmungs- und Privatisierungsbeschleunigungs-Gesetz,
Mehrheitsverarmungsbeschleunigungs-Gesetz,
Infrastrukturruinierungsbeschleunigungs-Gesetz.
Finanzkapitalakkumulationsbeschleunigungs-Gesetz, Schuldenakkumulationsbeschleunigungs-Gesetz,
Sozialstaats- und Demokratie-Ensorgungsbeschleunigungs-Gesetz.
Der Kampfcharakter dieses Regimes gegen die breite Bevölkerung, gegen Anstand und Gerechtigkeit konnte deutlicher nicht zum Ausdruck kommen. Die Neoliberalen haben der breiten Bevölkerung den Kampf angesagt, soviel steht fest. Sie verhalten sich wie Besessene, denen der Vatikan die Teufelsaustreibung verordnen sollte, dabei auch noch so hirnverbrannt, dass sie glauben, die von ihnen angerichteten Verheerungen fielen nicht irgendwann auf sie selbst zurück.
Man muss sich fragen, was erschütternder ist: die freche Dreistigkeit oder die gnadenlose Dämlichkeit.
Volker Rockel
Gast
Das ist alles nur noch Realsatire...
aquarius2
Gast
Was schert ihn sein Geschwätz von gestern.
tazitus
Gast
Schuldenwachstumsbeschleunigungsgesetz.
Brechreiz
Gast
Ehrlich gesagt, auch wenn das sehr emotional ist: Ich kann diesen Grinse-Peter aus Schleswig-Holstein nicht mehr sehen!!!
Amos
Gast
So ist die Politik: Gesocks zerschlägt sich, Gesocks
verträgt sich. Was machen eigentlich die Gewerkschaften. Wann schlagen sie sich endlich auf
die Seite der Linken? Oder sind die auch schon zu satt?
manni
Gast
Ist der Kuhhandel eigentlich verfassungskonform?
Klaus Keller
Gast
Schuldenbergwachstumsbeschleunigungsgestz.
Steinmeier hat der neuen Koalition vorgeworfen klientelpolitik zu betreiben.
Ich verstehe den Vorwurf nicht.
Es ist Aufgabe von Politikern eben dies zu tun, sonst bräuchte es die Wahlen nicht.
Steinmeier hat mit der SPD jahrelang politik gegen deren bisherige Klientel betrieben und die Partei wurde abgestraft.
Warum sollten sich CDU,CSU,FDP genauso verhalten.
PS Der Schuldenberg ist im internationalen vergleich gar nicht so groß, da ist noch viel Luft nach oben.
klua keller hanau
Bodo Bender
Gast
Carstensen: "Das Kämpfen und der Widerstand der letzten Tage hat sich gelohnt." Ja, so spricht einer, der mit großem Gebrüll einen Sprung als Tiger ansetzte - und als kleinlauter platter Bettvorleger endete, schwarz-gelb eben.
Gerhard
Gast
Hat irgendjemand ernsthaft daran geglaubt, dass der teuer bezahlte Ex-Berufsschullehrer Carstensen (in Kiel an die Macht geschlichen) genug Schneid hätte, Deutschland vor weiterer Überschuldung zu bewahren?! Hauptsache die Lobbyisten werden bedient. Schon die Vergrößerung des S-H-Landtages (3 Millionen Mehrkosten pro Jahr) zeigt doch, wie egal das alles den sogenannten Volksvertretern ist – sie sind ja mehr als gut versorgt.
Ach ja, die fehlenden Milliarden holt man sich nach der nächsten Landtagswahl in Deutschland wieder: Anhebung der Mehrwertsteuer, kommt garantiert!
Westberliner
Gast
Ich kann gar nicht soviel fressen, wie ich kotzen muss, wenn ich die regierenden Parteien CDU/CSU/FDP und ihre Spielchen sehe.
Das ist nicht mehr mein Land und schon gar nicht mehr meine Regierung.
axel
Gast
Umverteilungsbeschleunigungsgesetz
wie Dietmar Bartsch von Die Linke dieses Gesetz treffenderweise bezeichnet:
"Die Entlastung von Konzernen, Groß-Erben und Besserverdienern sowie von Hotels wird finanziert durch eine massive Belastung der Haushalte von Ländern und Kommunen."
http://die-linke.de/nc/presse/presseerklaerungen/detail/zurueck/presseerklaerungen/artikel/umverteilungsbeschleunigungsgesetz-sollte-es-heissen/
Kai Engel
Gast
Und wir haben einen neuen Superstar am Politikhimmel: Peter Harry Carstensen.
Ein kalkuliertes NEIN, eine Rücktrittsdrohung und am Ende geplant einknicken.
Ähnlichkeiten mit einem gewissen Karl Theodor zu Guttenberg sind vollkommen beabsichtigt!
Eine Schmierenkomödie vom Anfang bis zum Ende. Es hat doch wohl wirklich niemand auch nur einen Moment geglaubt, dass Herr Carstensen es durchzieht.
Dafür hat er doch schon im Sommer seinen Koalitionsbruch geplant, um eine Mehrheit im Bundesrat zu bekommen. Diese setzt man doch dann jetzt nicht aus.
Jens Schlegel
Gast
"haben ihren Widerstand gegen das Gesetz aufgegeben." So heisst das also...