Karstadt-Schließung: Endlich Abschied vom Koloss

Mitten im Herzen von Kiel schließt ein Karstadt-Warenhaus. Aber die anderen Gewerbetreibenden und die Stadtplaner sind gar nicht so unglücklich: Sie hoffen auf ein neues Shopping Center mit bis zu 25.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, das den Kern der Altstadt wiederbeleben soll.

Noch profitiert Karstadt im Weihnachtsgeschäft von der anheimelnden Nachbarschaft der Nikolai-Kirche. Bild: dpa

Der lange, gläserne Tresen, der sich in einem Bogen durch den Raum zieht, strahlt und funkelt vor lauter Brillanten. Um Nina Doll leuchten Colliers und silberne Uhren in Vitrinen. Sie, blauer Hosenanzug, rotes Halstuch, blonde Haare, steht gerade, lächelt. Vor fünf Monaten wurde die 22-Jährige Leiterin dieses Juweliergeschäfts an Kiels Altem Markt, eine alteingesessene Christ-Filiale. Im Januar macht Christ dicht. Nina Doll sagt: "Man geht davon aus, dass die Ecke stirbt."

Denn seit Jahren läuft es in der Altstadt immer schlechter, auch nebenan, beim Herrenausstatter. Filialleiter Gerd Twisselmann, 57, blickt aus seiner Ladentür auf die hohe, schmutzig-weiße Fassade des Warenhauses Karstadt. Schon lange mit Sorge. "Alle haben darauf gewartet, dass Karstadt geht", sagt er. Am 31. März 2010 wird der insolvente Arcandor-Konzern nun dieses Haus schließen, rund 150 Mitarbeiter werden in Kiel ihren Job verlieren. "Ich bin heilfroh, dass es jetzt ein Ende gefunden hat", sagt Twisselmann trotzdem.

Der große Komplex, der auf vier Etagen ein Karstadt-Vollsortiment ausbreitet, hatte lange Magnetwirkung für die Straßen rund um den kleinen, kreisrunden Markt in Kiels Altstadt, wenn man davon in der kriegszerstörten Stadt überhaupt sprechen kann. Vom Haupteingang, gegenüber der mächtig aufragenden, gotischen Nikolaikirche, zieht sich der graue Kasten in einem riesigen Dreieck eine ganze Einkaufsstraße entlang - bis runter zum Bootshafen, direkt an der Förde. Hier ist das Zentrum der Stadt, Karstadt der Mittelpunkt. Eigentlich. In den letzten Jahren wurde Karstadt aber immer mehr zum Relikt.

Komplettabriss und Neubau des Karstadt-Leik-Komplexes wäre die beste Lösung für Bürgermeister Todeskino. Investitionsvolumen für ein neues Shopping Center: rund 150 Millionen Euro.

Das Karstadt-Gebäude gehört dem Highstreet-Konsortium, bestehend unter anderem aus Pirelli, Deutscher Bank und der Investmentbank Goldman Sachs.

Sowohl am Karstadt- als auch am Leik-Grundstück interessiert sind die Unternehmen Multi Development und Management für Immoblilien AG (MFI).

Selbst großes Interesse an Karstadt hat die Leik-Besitzerin Centrum Grundstücksgesellschaft aus Düsseldorf, so ein Insider.

Das Leik-Grundstück ganz aussparen würden Sonae Sierra und ECE aus Hamburg. ECE-Sprecher Christian Stamerjohanns spricht davon, dass Leik "nicht einmal auf dem Markt" ist.

Für ein weiteres Shopping Center in der Kieler Innenstadt, die Rathausgalerie, gibt es schon einen Investor, die Pläne hat die Stadt bis Juni auf Eis gelegt. Sollte es bis dahin keine Lösung für die Altstadt geben, wird wohl erst einmal dort gebaut. KLU

Früher kamen im Sommer viele Kreuzfahrttouristen direkt vom Hafen in die Altstadt. Heute werden sie mit Bussen zum Citti-Park gebracht, einem 2006 eröffneten Shopping Center an der Autobahn. "Seit dem Bau des Citti-Parks hat die ganze Innenstadt an Attraktivität verloren", sagt Twisselmann. Ihr Schwerpunkt hat sich zudem ans andere Ende der Einkaufsstraße verlagert: In die überdachte Passage Sophienhof, mit einem weiteren Karstadthaus.

"Woran es auch immer liegt", sagt Peter Todeskino (Grüne), Bürgermeister und Dezernent für Stadtentwicklung: "Jammern nützt alles nichts." Schon Anfang Februar hat er gemeinsam mit Experten und Politikern einen Rahmenplan für die Innenstadt entwickelt. Rezept gegen die Verödung: Mindestens zwei neue Shopping Center, eins davon möglichst auf dem Gelände des alten Karstadt-Gebäudes.

"Für die Beschäftigten und für die gesamte Struktur der Stadt ist die Schließung von Karstadt eine Katastrophe", sagt Ver.di-Sprecher Frank Schischefsky. "Diese Entwicklung, die hier niemand will, eröffnet neue Möglichkeiten", sagt dagegen der Pressesprecher der Stadt, Tim Holborn.

Ein Shopping Center zwischen Bootshafen und Altem Markt könnte rund 25.000 Quadratmeter Verkaufsfläche bieten und so nicht nur Karstadt, sondern auch das kleine, beinahe leerstehende Einkaufszentrum Leik an der unteren Ecke des grauen Kolosses ersetzen. Im Erdgeschoss dieses halbrunden Glasbaus haben sich zu günstigen Mieten noch ein 1-Euro-Shop und kleine Kosmetik- und Textilläden gehalten. Dann ist erst die dritte Etage wieder von einer Spielzeugkette belegt. Dazwischen leere Ladenlokale, hinter deren dunklen Schaufenstern Kabel und Steckdosen von der Decke hängen.

Das relativ neue Einkaufszentrum sei seit Jahren wegen seiner niedrigen Geschosshöhen unattraktiv, sagt ein Architekt. Er meint aber auch: "Mehr als 20.000 Quadratmeter zusätzliche Verkaufsfläche kann Kiel kaum verkraften. Wir sind ja keine Großstadt."

Bei direktem Planungs- und Baubeginn nach der Schließung von Karstadt wäre die optimistischste Prognose für die Eröffnung eines neuen Centers gegen Ende 2013. Aber: "Wir sind alle Realisten und wissen, dass das nicht so schnell geht", sagt der Sprecher von MFI, einem der interessierten Investoren: "Alle taktieren ordentlich."

Das Herrenbekleidungsgeschäft von Gerd Twisselmann hat seinen Mietvertrag gerade verlängert. Er legt ein graues Sakko auf einen Kleiderständer und sagt: "Jetzt kommt eine längere Durststrecke und dann geht es hoffentlich wieder bergauf. Wir haben uns zum Standort bekannt, auch wenn 2013 ein ganz schön langer Zeitraum ist."

Es wäre fatal, wenn im März bei Karstadt die Bretter vor die Fenster kommen, sorgt sich Todeskino - aber er hat kein Druckmittel gegen die Karstadt-Besitzer.

Ob der Citti-Park ein Fehler war? "Nein", sagt der Bürgermeister. Sinn des Parks sei vielmehr eine Botschaft an die Innenstadt gewesen: "Liebe Kaufleute, jetzt müsst ihr euch mal bewegen."

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