Quelle-Insolvenz: Frust im Callcenter

Das Quelle-Callcenter in Kreuzberg war eine bunte neue Arbeitswelt mit Dumpinglöhnen. Jetzt warten dort die letzten "Call Agents" auf das Ende.

Wenn die letzten Pakete verschickt sind, gibt es auch für die Callcenter-Mitarbeiter keinen Job mehr. Bild: ap, Eckehard Schulz

Der Treppenaufgang zum Quelle-Callcenter in Kreuzberg ist mit fröhlichen Motiven besprüht: lachende Menschen mit Headset im Gesicht, bunte Telefone, die nette Nachrichten anzeigen: "Hi Mom, I am outside in the garden, call you back in 15 minutes, Tom".

Der Gegensatz zum Büro drinnen könnte größer nicht sein. Verloren in einer riesigen runden Halle sitzen ein paar Menschen mit Headsets vor Computermonitoren und telefonieren. Aber fröhlich sehen sie dabei nicht aus. Denn mit dem insolventen Mutterkonzern Karstadt-Quelle stirbt auch das Berliner Quelle-Callcenter, das erst 2007 auf dem DeTeWe-Gelände entstand und je nach Auftragslage zwischen 580 und 1.300 MitarbeiterInnen beschäftigte. Jetzt sind es noch 300, jeden Tag werden es weniger.

"Es ist ein langsames Sterben", sagt Regina Pfitzner*. Die 47-Jährige telefoniert seit 17 Jahren für Quelle. Von vielen langjährigen KollegInnen hat sie sich in letzter Zeit verabschiedet. Jetzt wird auch die frisch "Freigestellte" ihren Ausstand geben und sich die Papiere abholen, mit denen sie sich am nächsten Werktag beim Arbeitsamt melden muss. Pfitzner will raus aus der Branche, weg von der miserablen Bezahlung und den ständig wechselnden Arbeitszeiten, die ihr Familienleben strapazieren.

Holger Mandel hat schon lange genug. Noch sitzt der 43-jährige Kundenbetreuer an seinem Schreibtisch und nimmt Reklamationen und Nachfragen der Quelle-Kunden entgegen, wie seit sieben Jahren. Sein Arbeitsplatz ist großzügig, eine Blende mit schalldämpfendem rotem Gewebe dämpft die Stimmen der Nachbarn. Aus der Mitte der Halle wächst ein Baum zur Decke, die Teppiche sind blau, an den hellen Wänden hängen passende rote Gemälde. "Schönes Farbkonzept, was?," sagt Mandel sarkastisch.

Von der Oberfläche lässt er sich nicht täuschen. Mandel ist im Betriebsrat, er weiß, wie viele Kollegen nebenher "aufstocken" oder sich mit Zweitjobs abstrampeln müssen, weil der Lohn nicht reicht. Gerade 6,04 Euro die Stunde verdient ein "Call Agent" im ersten Level, der Kundenbestellungen entgegennimmt. Mandel, der zuvor im Quelle-Callcenter in Friedrichshain arbeitete, bekommt "seit dem Betriebsumzug 50 Cent weniger pro Stunde". Er sagt "Umzug", nicht Neugründung. Und meint: "Die Stadt hat sich von Quelle über den Tisch ziehen lassen."

Mit 1,3 Millionen Euro hatte der Senat das "neue" Kreuzberger Quelle-Callcenter gefördert, das laut dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit 1.000 Jobs in die Stadt bringen sollte. Am Ende waren es nur halb so viele, die meisten Mitarbeiter wurden aus "alten" Quelle-Callcentern in Friedrichshain, Leipzig und anderswo übernommen und neu eingestellt - zu schlechteren Konditionen.

"Die Bedingungen für Subventionen hat Quelle zu keinem Zeitpunkt erfüllt", sagt auch Jürgen Stahl von der Gewerkschaft Ver.di. "Die angebliche Neugründung war ein Betriebsübergang, um Dumpinglöhne einzuführen." Auch die Qualifizierung von Mitarbeitern, die der Senat mitbezahlt habe, sei nur mangelhaft durchgeführt worden. Die Verwaltung von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) bleibt dagegen auch nachträglich bei ihrer Einschätzung: "Die Förderung wurde nach sorgfältiger Prüfung des Antrages nach den zu dem Zeitpunkt geltenden Regularien gewährt" - auf Quelles Lohn-Tricksereien habe man mit einer Änderung der Förderrichtlinien reagiert.

Fest steht, dass die einstige Job-Hoffnung nun genauso dahin ist wie die Landesförderung. Dem Wirtschaftssenator bleibt nur, vom Insolvenzverwalter in Essen sein Geld zurückzufordern. Doch das dürfte angesichts der zu erwartenden geringen Insolvenzmasse aussichtslos sein. Man bemühe sich um Investoren für das Callcenter, heißt es aus der Wirtschaftsverwaltung. Um die Vermittlung der MitarbeiterInnen kümmerten sich Arbeitsamt und die landeseigene Berlin Partner GmbH vor Ort.

600 freie Callcenter-Stellen gibt es derzeit laut Wirtschaftsverwaltung in Berlin. Bei Quelle hängt die Glaswand des leeren Konferenzraums voller entsprechender Jobangebote. Regina Pfitzner hat sich die für alle Fälle mal angeschaut - falls es mit der Umschulung nichts wird.

Der Ring aus gläsernen Konferenzräumen, der sich um das Großraumbüro zieht, ist bereits halb leer. Auch die Managementebene ist ausgedünnt. Hinter einzelnen Scheiben feiern kleine Gruppen Abschied mit Kaffee und mitgebrachtem Kuchen. Silvia Berger* winkt überall hinein - und geht dann schnell weiter. "Für mich ist das Ende von Quelle sehr bitter", sagt sie. 19 Jahre ist sie schon dabei, hat Regina Pfitzner und viele andere eingelernt. Sie wird bis zuletzt bleiben und am 31. Januar 2010 das Büro besenrein an den Insolvenzverwalter übergeben. Es wird das vierte Büro sein, das sie auflöst - schneller Profit und schnelle Umstrukturierungen sind typisch für die Branche.

"Hier fällt mir der Abschied besonders schwer, weil das Büro so schön geworden ist", sagt Berger und zeigt die geschmackvoll eingerichtete Cafeteria mit den Snackautomaten, das Betriebsratsbüro und den Schulungsraum, den sie der Geschäftsleitung abgetrotzt haben, den "Chillraum" mit Sofas und Kuschelkissen und den "Schrillraum", wo ein Kicker und zwei Spielkonsolen vor allem männlichen Mitarbeitern zum Stressabbau dienten. Die Konsolen sind schon weg, kickern mag gerade auch niemand.

Seit 1. Dezember ist der Abverkauf der letzten Quelle-Waren zu Ende. Wer jetzt noch bleibt, wickelt still und effizient Reklamationen, Logistikanfragen oder Aufträge der Quelle-Tochter Home Shopping Europe (HSE) ab. Manchmal, sagt Berger, rufen Kunden an und sagen, dass sie sich ein Deutschland ohne Quelle gar nicht vorstellen könnten.

Es ist ein leiser Abschied, ohne Knall, ohne Aufstand. Vielleicht findet sich noch ein Investor, dann werden hier bald andere telefonieren. Immerhin nicht für noch weniger Geld: Ende September verkündeten Harald Wolf und Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, künftig nur noch Jobs mit mindestens 10 Euro Stundenlohn zu fördern.

* Name von der Redaktion geändert

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