Negri-Auftritte in Berlin: Bildet Sowjets der Banken!

Antonio Negri agitiert Berlin im Sinne des Operaismus. Der linke Theoretiker fordert die Gründung von "Sowjets der Banken" und unterstützt die Studierenden in ihren Protesten.

Antonio Negri bei seiner Rückkehr nach Italien 1997 aus dem französischen Exil. Bild: rtr

So passioniert und enthusiastisch wie Antonio Negri redet wohl kaum jemand von Mehrwert, vom gesellschaftlichen Arbeiter und den Grenzen der kapitalistischen Produktion. Überall, wo der Autor von "Empire" am Wochenende Vorträge in Berlin hielt, war es restlos überfüllt.

Der Politikwissenschaftler und Theoretiker der linken italienischen Strömung des Operaismus wurde 1984 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Er sollte, so wurde damals konstruiert, als Kopf der italienischen Autonomia zugleich auch Chef der bewaffnet agierenden Roten Brigaden sein, deren Strategie die Autonomia tatsächlich aber erbittert kritisierte. Negri floh ins französische Exil, kehrte 1997 nach Italien zurück und war dort bis 2003 inhaftiert. Im September dieses Jahres kam in den USA "Commonwealth", Negris drittes gemeinsam mit dem US-amerikanischen Literaturtheoretiker Michael Hardt geschriebenes Buch heraus.

Der Protest der Studenten in Deutschland erschien quasi gleichzeitig auf der politischen Bühne, und so absolvierte der berühmte Theoretiker der "Multitude" seinen ersten Auftritt in Berlin am Freitag vor der Humboldt-Universität. Dort hatten sich Studenten versammelt, um gegen das "Führungstreffen Wirtschaft 2009" im Hotel Adlon zu protestieren. Negri bescheinigte den Studenten, hier und jetzt die "Bewegung für die Freiheit" zu konstituieren.

Ein paar Stunden später sprach er im Kreuzberger "Monarch" über "Rebellion und Krise" und die Thesen aus seinem Interviewband "Goodbye Mr. Socialism" (Edition Tiamat, 2009). Das Zentrum, das es heute anzugreifen gelte, so Negri, sei das Finanzkapital. Dieses sei jedoch nicht getrennt vom produktiven Kapital. Rendite und Profit seien ein und dasselbe. Es gelte daher, "Sowjets der Banken zu gründen", um mit der Macht über das Geld auch jene über die Assoziation der Arbeit zu erobern. Das soziale Kapital, auf dem der derzeitige "kognitive Kapitalismus" gründe, sei die "immaterielle Arbeit". Die protestierenden Studenten träfen deshalb den Kapitalismus, indem sie sich gegen die Ausbeutung des von ihnen produzierten Werts, des Wissens, wehren würden.

Dass sich viele Studenten in diesen Tagen eher gegen antikapitalistische Parolen wehren, scheint Negri weniger wichtig. Seiner Meinung nach tun sie das Richtige, um den an "seine Grenzen gekommenen Kapitalismus" weiter in die Ecke zu drängen. Die Krise sei keine vorübergehende, sondern der permanente Zustand des Kapitalismus, da es ihm immer weniger gelinge, die "Multitude", jenes nach Negri und Hardt neue "Netzwerk der Singularitäten", zu kontrollieren.

Der "Massenarbeiter", der die Multitude bilde und den der postoperaistische Ansatz von Negri/Hardt in Unterscheidung vom Facharbeiter und von der klassischen Arbeiterbewegung ausmache, habe keinen einheitlichen Willen. Wie die Krise das Leben dieser Massenarbeiter bestimme, sei noch nicht begriffen worden. Wie sich diese politisch organisieren müssten, lasse sich nicht vorab beantworten. An dieser Frage laboriere auch er schließlich seit 1968.

Damit verwies Negri auf die Kritik und die organisatorischen Ansätze des Operaismus. Die militante Arbeiterbewegung im Italien der 1960er-Jahre stellte sich gegen die Bevormundung durch politische Parteien und Gewerkschaften und wandte eigene, selbstbestimmte Formen des Fabrikkampfes an.

Über den Operaismus sprach Negri am darauffolgenden Abend in der Volksbühne im Prater, im Rahmen der "Marx-Herbst-Schule", die unter anderem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert wird. Der Operaismus, den Negri als Häresie bezeichnete, sei der Versuch gewesen, die italienische Arbeiterbewegung radikal zu erneuern. Technischer Fortschritt habe nicht länger als Schritt hin zum Sozialismus begriffen werden können. Die Rolle, die Technologie und Arbeitsorganisation bei der Unterwerfung der Arbeitskraft spielen, habe der Operaismus direkt in den Werkshallen, bei und mit den Arbeitern untersucht. Ziel sei gewesen, die geeignete politische Organisationsform zu finden, um sich die Produktion anzueignen und sie umzugestalten. Der Staat sollte zugunsten von Organen der Selbstverwaltung verschwinden.

Negris Betrachtung über die Grenzen des Kapitalismus und seine Forderungen nach "Sowjets der Banken" lassen sich gewiss leicht belächeln. Doch sein Vortrag zeigte, dass eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen in der Tradition des Operaismus aufschlussreich sein könnte, um etwa die Rolle digitaler Technologie innerhalb kapitalistischer Ausbeutung zu bestimmen. Das wäre jedenfalls aufschlussreicher als Frank Schirrmachers Lamento über den Verlust des eigenständigen Denkens im digitalen Zeitalter.

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