Kabinettsklausur in Meseberg: Schein und Sein im Barockschloss

Das Bundeskabinett redet in Mesberg über Schulden - und sagt nichts.

Ein vergleichsweise neues Mittel der deutschen Politik: Kabinettsklausuren. Bild: dpa

Nichts ist echt in diesem "Empfangssalon West" des Barockschlosses zu Meseberg. Nicht die helle Holzdielung auf dem Fußboden, nicht die Vertäfelung an den Wänden, nicht der Kronleuchter an der Decke. Das Gebäude, 1738 errichtet und später für einen Liebhaber des preußischen Prinzen Heinrich prunkvoll ausgestattet, diente zu DDR-Zeiten als Laden und Gaststätte. Eine private Stiftung ließ die Innenausstattung nach der Wende rekonstruieren, bevor sie das Schloss als Gästehaus an die Bundesregierung verpachtete.

Echt sind nur Wolfgang Schäuble und Rainer Brüderle, die beiden Bundesminister, die nach einer Weile durch eine Seitentür hereinkommen, um den wartenden Journalisten Harmonie vorzuspielen. Auftraggeber sind Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle, die mit dem Rest der Regierung im benachbarten Gartensaal verbleiben. Dort, wo sie schon seit zwölf Uhr mittags ihre erste Kabinettsklausur zelebrieren, nur drei Wochen nach Amtsantritt.

"Ich freue mich sehr", sagt Brüderle, "dass Herr Schäuble und ich ganz dicht beieinanderstehen, auch wenn ich jetzt stehen muss und er sitzen kann."

Brüderle "muss", Schäuble "kann": ein kleiner Scherz, für den Schäuble selbst die Vorlage geliefert hat. Eigentlich harmlos. Würden bei dieser Regierung die Sprache des Koalitionsvertrags und die Wirklichkeit des Koalitionsvertrags nicht so weit auseinanderklaffen. Würde Brüderle an diesem Dienstagabend nicht so ausdauernd lächeln, mit dem Gesichtsausdruck dessen, der zuerst lacht.

Schäuble, die Sphinx. Ernst schaut er, wenn Brüderle redet. Mehr als drei Wochen lang hat er in Interviews erklärt, warum es eine große Steuerreform im nächsten Jahr nicht geben kann. Zum Jahreswechsel in sechs Wochen sinken die Steuern um 20 Milliarden Euro, rechnet er vor, größtenteils noch mit der SPD beschlossen. 2011 sollen es noch einmal "etwa 20 Milliarden Euro" sein, sagt Schäuble. "Das stößt auf völlige Übereinstimmung."

Ein paar Minuten später redet Brüderle. Im nächsten Jahre werde "ein zusätzlicher Impuls in Höhe von 24 Milliarden Euro" gesetzt. "Es hat - gerade zwischen uns beiden - überhaupt nie einen Zweifel daran gegeben." Mit keiner Silbe geht er darauf ein, dass ihm Schäuble gerade schon die ersten 4 Milliarden weggenommen hat. Stattdessen fügt er an: "Ob das manche da draußen als große, mittlere oder halbgroße Steuerreform bezeichnen, ist völlig unwichtig." Das zielt auf Schäubles Interviews. Die Frage, ob es am Ende eine große Steuerreform ist, scheint sich der Wirtschaftsminister an diesem Abend nicht zu stellen.

Während Brüderle noch redet, meldet eine Zeitung neue Interna aus einem Gespräch zur Opel-Rettung vor zwei Wochen. Der neue Wirtschaftsminister habe "endlos schwadroniert", heißt es aus Kreisen der beteiligten Ministerpräsidenten. Seine "Dampfplaudereien" über die Grundzüge der Marktwirtschaft erweckten nicht den Eindruck, dass er die Materie fachlich schon beherrsche.

Über die Haushaltslage haben sie lange gesprochen am Nachmittag im Meseberger Gartensaal mit seinem dezenten Grau, den Rokokoöfen und dem Stuck im Empirestil. Der Blick reichte hinaus auf den lang gestreckten Huwenowsee. Mit 86,1 Milliarden Euro will sich der Bund im kommenden Jahr neu verschulden, rechnete Schäuble vor. Das ist die Zahl, mit der schon der sozialdemokratische Vorgänger Peer Steinbrück plante, ohne die zusätzlichen Steuernachlässe. Im Jahr 2010 dürfen es nur noch 70 Milliarden sein, sechs Jahre später nur noch 10. Das sagen die Regeln der deutschen Schuldenbremse und des Europäischen Stabilitätspakts.

10 Milliarden pro Jahr müssen also weg, weitere Steuersenkungen nicht eingerechnet. Wie? Darauf gab es auch in Meseberg keine Antwort. Wie auf alle Fragen, die der Koalitionsvertrag schon offenließ. Gesundheit? Da will Schwarz-Gelb eine Kommission einsetzen. Die Causa Steinbach? Darüber habe man gar nicht gesprochen, sagt Merkel am Mittwochmittag, schließlich gebe es keine Entscheidung der Vertriebenen (siehe unten).

Kabinettsklausuren außerhalb der Regierungszentrale sind ein vergleichsweise neues Mittel der deutschen Politik, ersonnen von Gerhard Schröder im Jahr seiner Agendakrise. Im Schloss des preußischen Reformkanzlers Karl August von Hardenberg wollte er sich als würdiger Nachfolger inszenieren. Das rot-grüne Kabinett traf sich insgesamt dreimal, das schwarz-grüne zweimal außerhalb des Kanzleramts. Stets unter dem Spott der FDP, die mit parlamentarischen Anfragen nach den Kosten forschte.

Jetzt sind die Leute von der FDP dabei, und es ist rührend, wie sie sich nach drei Wochen noch darüber freuen können. Nicht nur Rainer Brüderle strahlt. Auch der neue Minister für Entwicklungshilfe, Dirk Niebel, ist stolz. So stolz, dass er am Dienstag gleich als Erster kommt. Am allermeisten aber freut sich der Parteichef selbst. "Na, das ist ja eindrucksvoll", sagt er bei seiner Ankunft angesichts des Schlosses. "Hier sitzen Partner an einem Tisch, die miteinander regieren wollen", sagt er dann draußen im Park.

Angela Merkel steht ausdruckslos daneben, bildet mit ihren Händen das Viereck vom Wahlplakat, ein Markenzeichen wie Hans-Dietrich Genschers gelber Pulli oder Franz Münteferings roter Schal.

Nicht nur bei Steuer und Gesundheit scheint es so, als traue sich die Regierung an ihre eigenen Vorhaben nicht recht heran. Die Anti-Atom-Demonstranten, die Schwarz-Gelb schon seit den Koalitionsverhandlungen im Berliner Botschaftsviertel auf Schritt und Tritt verfolgen, sind auch in Meseberg dabei und vermelden mit lauten Trillerpfeifen die Ankunft jedes Ministers. Im Vorfeld wollte weder das Umwelt- noch das Wirtschaftsministerium die Federführung bei der Aufkündigung des Atomkonsenses übernehmen. Er habe keine Lust auf tägliche Demos vor der Haustür, wurde Brüderle zitiert. Jetzt werden beide gemeinsam ein "Energiekonzept für Deutschland" erarbeiten, wurde in Meseberg beschlossen.

Die Bühne der Klimapolitik reserviert Merkel für sich selbst. An diesem Donnerstag fährt sie nach Brüssel, um mit dem Franzosen Nicolas Sarkozy und dem dänischen Gastgeber über den bevorstehenden Gipfel in Kopenhagen zu sprechen. Lange hatte sie gezögert, ob sie ihren Namen mit einem möglichen Misserfolg verbinden soll. Nun scheint sie halbwegs sicher, zumindest einen Teilerfolg zu erreichen.

Der erste Weg aber führte Merkel von Meseberg wieder ins Kanzleramt. Dort traf sie am Mittwochabend die Spitzen der deutschen Gewerkschaften zum Abendessen, ganz so, als wollte sie sich medial vom Ruch der FDP befreien.

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