Kommentar Frankreichs Stromversorgung: Atomare Flucht nach vorn

Der Plan, die Pannenreaktoren durch EPR zu ersetzen, erinnert an den Pyramidenbetrüger Madoff.

Eine Reihe von Pannen in Reaktoren haben genügt, um den Mythos nuklearer Selbstversorgung Frankreichs mit angeblich billiger, sauberer und schier unerschöpflicher Elektrizität zu erschüttern. Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaft teilten bisher in Frankreich diesen unbeirrbaren Glauben an die Atomkraft, die fast 80 Prozent der Elektrizität liefert. Noch heute wird ein Drittel der Haushalte elektrisch geheizt. Und gerade das erweist sich nun als Achillesferse dieser sonst so selbstsicher auftretenden Industrie. Sie muss zugeben, dass Frankreich in diesem Winter nicht genügend Strom produzieren wird und auf teure Importe aus deutschen Kohlekraftwerken angewiesen ist.

Statt den Energieverbrauch zu reduzieren und die Versorgung zu diversifizieren, hat Frankreich ganz auf die Kernenergie gesetzt. Und da die Altersgebrechen der existierenden 58 Reaktoren nicht mehr zu verheimlichen sind, verlegt sich die Atomindustrie nun auf die Taktik der Flucht nach vorn. Mit Unterstützung der Staatsführung präsentiert sie als einzige Lösung der Versorgung mit Elektrizität die "neue Generation" des Druckwasserreaktors (EPR). Der Energiekonzern EDF ist zynisch genug, um die derzeitigen Produktionsengpässe sogar als Argument für einen beschleunigten Ersatz der alten AKW durch EPR zu verkaufen. Nicht zuletzt geht es Frankreich auch darum, seine weltweit führende Stellung in der "zivilen" Kerntechnologie zu verteidigen.

Wohin solche technologischen Überholmanöver einer für Warnsignale blinden Lobby führen, hat man in Frankreich bereits mit dem schnellen Brüter von Creys-Malville erlebt. Noch heute bezahlen die Franzosen für diesen Mythos des sich quasi regenerierenden Plutonium-Reaktors. Der Plan, die Pannenreaktoren durch EPR zu ersetzen, erinnert ein wenig an den Pyramidenbetrüger Madoff: Statt auftauchende Probleme zu lösen, werden sie durch neu geschaffene vertuscht.

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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