Anti-Gentrifizierungs-Demo: Steineschmeißer in Neukölln

Am vergangenen Samstag demonstrierten nur ein paar hundert Menschen in Neukölln gegen Gentrifizierung. Dabei betrifft diese eigentlich alle dort lebenden Bewohner.

Noch nicht aufgeadelt. Bild: photocase hugo333

Nicht nur die Umwelt war dunkel und kalt, als die Demo sich am Halloween-Abend zu formieren begann. Auffallend uniform und düster erschien auch die Mehrheit der Teilnehmenden. Die schwarzen Kapuzenpullis, die Blechimplantate, die spazieren geführten politischen Symbole und Ikonen.

Dabei ging es thematisch bei der Demo um etwas, das die AnwohnerInnen Neuköllns unmittelbar angeht, nämlich gegen ihre Vertreibung und Bevormundung. Aber sie waren nicht anwesend, die Ansässigen mit den verschiedenen kulturellen Hintergründen, die Ausgebeuteten, die Hartz IV Empfangenden, die perspektivlosen Jugendlichen, das Prekariat. Dagegen stark vertreten waren junge politisch engagierte Menschen, die auf das alte Phänomen mit neuem Namen aufmerksam geworden sind: die Gentrifizierung.

Teilweise sind auch sie selbst mit ihren bedrohten alternativen Haus- und Wohnprojekten davon betroffen. Aber sie stellen bei Weitem nicht die Mehrheit der Betroffenen dar. Das behaupten sie auch nicht. Aber sie gehen strategisch unklug vor. Unklug, wenn das Ziel tatsächlich darin bestehen sollte, einen Zustand der massenhaften Mobilisation der Betroffenen zu schaffen, um dann auch legitim und kollektiv politisch etwas zu bewirken.

Aber das Bild, das die Anwohner von der Demo bekamen, war das einer uniformierten unzugänglichen Gruppe, die an ihnen vorbeihuschte, sich nicht zu erkennen gab und abstrakte Parolen rief. Sehr beliebt: "A - Anti - Anticapitalista" und "Li - Li - Libertad - Anarquia total" und auch "Feuer und Flamme der Repression". Aus dem Lautsprecher punkte es "Ich bin Steineschmeißer, voller Wut. Steine schmeißen, das tut gut". So werden die Anliegen aber in kontraproduktiver Art vermittelt. In einer Phase, wo es um schnelle und massenhafte Aufklärung und Bewusstmachung gehen muss, wird hier die Chance vertan, konkrete Inhalte zu vermitteln und Sympathien zu gewinnen. Die meisten Menschen verbinden mit Phrasen wie "totale Anarchie" nun mal Negatives. Durch lauten Zuruf werden sie das nicht revidieren. Im besten Fall wird man ihnen noch ein zustimmendes, aber folgenloses Nicken abgewinnen, im Regelfall ein verwundertes Fragezeichen auslösen oder auch einfach Gelächter über das merkwürdige Gehabe. Ein schlechtes Zeugnis für eine Bewegung mit einem so wichtigen Thema auf der Agenda. Die inhaltlich richtigen und klugen Redebeiträge wurden teilweise so leise übertragen, dass man sie noch im 5-Meter Umfeld des Lautsprechers kaum verstehen konnte. Auch die vielen komplizierten Formulierungen haben den sprachlich weniger versierten Menschen sicher nicht beim Verstehen geholfen. Eigentlich wäre die Vermittlung des Themas einfach, schließlich geht es um einen einleuchtenden moralischen Anspruch, nämlich um den Erhalt des eigenen historisch entstandenen Lebensraums und -umfelds, zumindest um die kollektive Selbstbestimmung über die Form seiner Gestaltung und Veränderung.

Mindestens in dem Bereich müssen andere Regeln gelten als auf dem freien Markt mit seinem Recht des Stärkeren. Das Wohnrecht wird sogar juristisch traditionell nicht rein auf Kapital- und Eigentumsbasis begründet. Mit ihrem Anspruch stehen radikale AnarchistInnen also nicht allein.

Diese Idee kann, wenn richtig vermittelt, Mehrheiten überzeugen, alles Weiterreichende kann erst aus diesem Nenner erwachsen. Um die angemessene Breite der Bewegung zu erreichen, muss man sich aber von Demo-Codes verabschieden und endlich wagen, einen Schritt auf die Noch-Nicht-Politisierten zuzugehen, so anders sie sein mögen. Es gilt, zunächst die Argumente zu vermitteln.

Wenn der Adressat aber mit der (akademischen) deutschen Sprache nicht vertraut ist, müssen die Argumente eben in seiner Sprache vermittelt werden. Kurze prägnante Redebeiträge (zur Not von Band) auf Türkisch, Arabisch, Kurdisch u. a. m. wären ein entsprechender Schritt. Multilinguale Flugblätter, die am Rande verteilt und in Briefkästen gesteckt werden, sind unerlässlich. Auch gibt es tatsächlich außer Punk durchaus politische Musik in verschiedenen Stilen und Sprachen. Den Neuköllner Jugendlichen einreden zu wollen, Punk-Rock sei cooler als HipHop und R n B, ist kulturimperialistisch und ignorant, vor allem aber kontraproduktiv.

bewegung.taz.de/termine/suesses-sonst-gibts-saures

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