Wenn das Netz sein Gedächtnis verliert: Geocities abgeschaltet

Der Internet-Riese Yahoo hat den traditionsreichen Homepage-Dienst Geocities abgeschaltet, den er vor 10 Jahren übernommen hatte. Im Netz ist man erbost, wie schnell das ging.

Seit Dienstagnachmittag sind auch die letzten Angebote von geocities abgeschaltet. Bild: screenshot yahoo

Es gab eine Zeit, da bloggte die Netzavantgarde nicht, sondern betrieb eine ganz einfache Homepage. Die enthielt Texte, ein paar Bilder, wenn es hoch kam einige Briefmarken-Videos - und war ansonsten wenig interaktiv. Eventuell gab es ein Gästebuch, in dem sich die Besucher verewigen konnten, Kommentare dagegen waren noch unbekannt. Da das Betreiben eines eigenen Servers noch sehr teuer war, bedienten sich viele User so genannter Homepage-Dienstleister: Internet-Anbieter, die das kostenfreie Einstellen von Inhalten erlaubten, wenn man ihnen gleichzeitig das Recht gab, parallel dazu bezahlte Bannerwerbung zu setzen.

Der wohl berühmteste Homepage-Dienstleister jener Jahre war Geocities - und der feierte seine Hochzeit bereits vor dem Millennium. 1997 verzeichnete die US-Firma bereits eine Million Nutzer, im August 1998 ging sie an die Börse und steigerte ihren Kurswert innerhalb kürzester Zeit um nahezu das Sechsfache. In der heißen Phase des Dotcom-Booms, 1999, ging das immer noch nicht profitable Geocities schließlich an den Internet-Riesen Yahoo - für heute unglaublich klingende 3,57 Milliarden Dollar. Und in dieser Woche, etwas mehr als 10 Jahre nach dieser Akquisition, machte Yahoo, das zwischenzeitlich selbst mehrere Krisen durchlitten hatte, Geocities endgültig dicht. Seit Dienstagnachmittag sind auch die letzten Angebote abgeschaltet.

Nun kann man fragen, was an einem in den letzten Jahren massiv im Niedergang befindlichen (und vor allem inzwischen völlig veralteten) Angebot so wertvoll gewesen sein soll, dass es hätte erhalten werden müssen. Die Antwort: Die vielen nutzergenerierten Inhalte, die in den einzelnen "Städten", wie Geocities seine verschiedenen Themengebiete von "Hollywood" (für Unterhaltung) über "CapitolHill" (für Politisches) bis hin zu "CollegePark" (für Universitäres) nannte, einsortiert waren. Darunter befand sich natürlich allerlei Triviales, aber auch erstaunlich viel Interessantes - Geschichtliches, Künstlerisches und vor allem die ein oder andere Zeitschatulle, weil manche User schlicht vergessen hatten, was sie dereinst bei Geocities einstellten. Zugriffsbereit blieben diese Informationen stets über Suchmaschinen wie Google, so lange sie auf Yahoos Servern lagen. Doch die Abschaltung geschah nun sehr abrupt.

In Internet-Experten-Kreisen sorgte das für viel Kritik. Besonders sauer ist Jason Scott. Der Netzhistoriker, der unter anderem die in IT-Szenekreisen viel beachtete Mailbox-Dokumentation "BBS: The Documentary" produzierte, versuchte mit seinem "Archive Team" ein Projekt aufzusetzen, nachdem er erfahren hatte, dass Yahoo im Zuge seines Konzernumbaus auch Geocities abdrehen wollte. Das "Geocities Project" sollte versuchen, möglichst viele der Inhalte vor der Abschaltung zu speichern und auf einem eigenen Server bereitzustellen. Und nicht nur Scott bemühte sich darum, Yahoo zur Mitarbeit zu bewegen: Auch das "Internet Archive", das wohl wichtigste historische Archiv von Netzinhalten, setzte ein entsprechendes Vorhaben auf und startete eine Sammelseite.

Yahoo scheint dabei nicht besonders hilfreich gewesen zu sein. Scott zufolge gab der Internet-Riese dem Geocities Project nicht einmal Informationen darüber, wie viele Prozent der alten Inhalte sie in den letzten Wochen vor der Schließung noch hatten abspeichern können. "Niemand will uns das sagen, weil das eine so genannte Verletzung der Privatsphäre sein soll." Dabei hätte schon eine grobe Statistik ausgereicht, so Scott, der nach eigenen Angaben in den letzten Monaten kaum Schlaf bekommen hat. Hunderte Gigabyte Geocities kamen so zusammen.

Die Geocities-Community selbst, die in den letzten Jahren stark dezimiert wurde, weil immer mehr User schlicht ein viel einfacher zu bedienendes Blog betreiben, blieb zur Abschaltung verhältnismäßig ruhig. Das war nicht immer so: Als Yahoo den Homepage-Dienstleister 1999 übernahm und seinen Nutzern neue, schlechtere Bedingungen aufs Auge zu drücken versuchte, "streikten" die User. Auch Hinweise auf dieses geschichtliche Netzereignis sind nun getilgt, falls sie sich nicht ins Internet Archive oder ins Geocities Project gerettet haben.

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