Gedenken: Ein KZ mitten in Hamburg

Das Konzentrationslager in der Hamburger Spaldingstraße war lange Zeit vergessen. Gestern wurde eine Gedenktafel angebracht.

Kann man auch mal schnell übersehen: Gedenktafel in der Spaldingstraße. Bild: Miguel Ferraz

Die Gebäude Spaldingstraße 152-162 im Hamburger Stadtteil Hammerbrook gehören heute der IVG. Im Haus mit der Nummer 152 ist ein Hotel, ein günstiges, für junge Leute. In Nummer 160 ist ein Büroeinrichter, Motorradbekleidung gibt es hier auch. Ach, da passt so eine Tafel, die an KZ-Häftlinge erinnert, nicht gut hin.

Die IVG, die unter dem Namen "Industrieverwaltungsgesellschaft" ein bundeseigenes Unternehmen war, wurde 1993 durch den Gang an die Börse privatisiert. Die IVG wehrte sich lange gegen die von Barbara Brix, inzwischen pensionierte Geschichtslehrerin des Gymnasiums Klosterschule, und der Gedenkstätte Neuengamme geforderte Tafel. Die hätte die Mieter und ihre Kunden verstört, das wollte die IVG nicht. Bis die Hamburger Morgenpost das Thema in einem Artikel aufgriff.

Barbara Brix war mit ihren Schülern auf Spurensuche gegangen und hatte Kontakt zu ehemaligen KZ-Häftlingen aufgenommen. Irgendwann wäre der IVG die Weigerung teurer zu stehen gekommen, was das Renommee anbelangt, als die Zulassung der Tafel.

Nun erinnert seit gestern eine Tafel an das Konzentrationslager in der Spaldingstraße 158. Eine KZ-Außenstelle mitten in Hamburg, zwei Steinwürfe vom Hauptbahnhof entfernt. Wer das 1944/45 nicht mitbekommen hat, der musste schon sehr, sehr schlechte Augen haben.

Die Außenstelle des KZ Neuengamme wurde im November 1944 in den Räumen einer ehemaligen Tabakfabrik errichtet, weil die "Georgsburg", wie der Komplex hieß, die Bombardierungen durch die Alliierten ziemlich unbeschadet überstanden hatte. Anders als die umliegenden Viertel Hammerbrook und Rothenburgsort. Der SS gefiel das Gebäude auch, weil der Zugang von der Spaldingstraße aus gut zu bewachen war.

Ins teilweise eingestürzte Vorderhaus ließ die SS eine Küche einbauen, in jedes Stockwerk Waschräume und Toiletten, die kein Wasser hatten. Es gab Probleme mit der Wasserversorgung, weil die Leitungen durch die Bombenangriffe zerstört waren. Die einzige Wasserquelle war eine Badewanne, in der auch die Pinkelbecken gereinigt wurden. Krankheiten waren die Folge.

Die Fenster des Gebäudes wurden zugemauert. Im Hinterhaus waren Wachdienste und Kommandantur untergebracht. Dort saß ab Dezember SS-Sturmbannführer Arnold Strippel, der alle Nebenlager von Neuengamme beaufsichtigte und unter anderem den Mord an den Kindern vom Bullenhuser Damm befahl.

Im KZ Spaldingstraße waren 1.500 bis 2.000 Häftlinge: Russen, Polen, Franzosen, Belgier, Dänen, Tschechen, Deutsche. Sie schliefen in den Stockwerken zwei bis fünf auf engstem Raum. In der sechsten Etage gab es ein Krankenrevier.

In Hamburg fehlten Arbeitskräfte, weil die Männer an der Front waren, deshalb wurden KZ-Häftlinge eingesetzt. Mit der Herstellung von 20 Millionen Klinkern jährlich, dem ursprünglichen Grund für die Gründung des KZ Neuengamme 1938, um Hamburg nach den Plänen des Hitler-Architekten Konstanty Gutschow herauszuputzen, waren die Häftlinge nun nicht mehr beschäftigt.

Wecken war um 4.30 Uhr oder früher. Dann Betteninspektion, zum Frühstück Eichelkaffee. Anschließend wurden im Hof der Spaldingstraße die Arbeitskommandos eingeteilt.

Die meisten Kommandos erreichten ihre Arbeitsstellen zu Fuß, andere mit der Straßen- oder S-Bahn. "Die Hauptbeschäftigung bestand im Schutt-Wegräumen zerstörter, kriegswichtiger Gebäude, im Hin- und Herschaffen von Sand, Baumaterialien und sonstigen schweren Lasten", erinnert sich Häftling Manfredis Zichmanis. Es gab "gute" Kommandos, wie die Billbrauerei oder das Telegrafenamt, weil die Häftlinge dort ein Dach über dem Kopf hatten, der Kapo nicht grausam war und es zum Mittag einen Teller Suppe gab. Es gab gefährliche Kommandos: Minen suchen und Blindgänger entschärfen. Und es es gab "schlechte": die Reichsbahn in Rothenburgsort, wo bei Wind und Kälte im Freien gearbeitet wurde und es nichts zu essen gab.

Der Hunger der Häftlinge war so groß, dass sie Mülltonnen durchsuchten. Und "wenn auf der Straße manchmal ein Auto einen Hund überfahren hatte, griffen wir nach dem toten Tier und aßen es", berichtet Stanislaw Sterkowicz, der die durchschnittliche Lebenserwartung der Häftlinge auf drei Monate schätzt.

Von allen Außenlagern des KZ Neuengamme war die Spaldingstraße das mit der höchsten Zahl an Opfern: 500 Tote sind nachgewiesen, tatsächlich waren es wohl 800 in sieben Monaten. Allein im Dezember starben 300.

"Der Rückweg ins Lager war normal mit Leichentragen verbunden", erinnert sich Sterkowicz, "es waren Erschlagene oder Tote aus totaler Erschöpfung und in den letzten Zügen. Am Eingang mussten sich die Häftlinge mit abgelegten Mützen dem Rapportführer zum Rapport melden und vor ihm defilieren." Die Leichen wurden in einem Raum im Erdgeschoss niedergelegt, die in den letzten Zügen dem Arzt im Revier überlassen. "Jede Woche transportierte man die Leichen zum Stammlager Neuengamme, wo sie im Krematorium verbrannt wurden."

Anfang April 1945 begann die Räumung. Häftlingstransporte verließen die Spaldingstraße zu Fuß oder mit Lastwagen in Richtung KZ Sandbostel bei Bremen, wo viele an Krankheiten oder Entkräftung starben, auch nach der Befreiung durch die Engländer am 29. April noch. In Hamburg, diese Fama hält sich hartnäckig, soll es ja im Dritten Reich besser gewesen sein als im Rest Großdeutschlands. Deshalb ist es kein Wunder, dass das KZ Spaldingstraße in den sanften Nebel des Vergessens getaucht wurde. Wird nun etwas schwieriger. Aber nur etwas, denn auch was Tafeln anbelangt kann man sehr, sehr schlechte Augen haben.

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