Flashmob & Co: Protest ohne Herzblut

In Berlin protestieren Menschen mit Merkel-Maske, eine Salat-Bar investiert den halben Umsatz in Klimaschutz: So ein Wühlfühl-Protest macht es Schwarz-Gelb leicht.

Ist eine Pappmaske schon Protest? Bild: Maya Hitij/AP

Verdammt viele Angies. Knapp 350 Menschen halten Masken vor ihre Gesichter. In ihrer Mitte: Alpha-Angela-Merkel mit fleischfarbenem Blazer und einer überdimensional großen Maske. Der Vorplatz am Brandenburger Tor verwandelt sich an diesem nebligen Samstagmorgen in den Drehort der fiktiven Reality-Quizshow "KlimakanzlerIn gesucht". Auf der linken Seite der Kandidatin Angela Merkel ein Engel. Seine Füße stecken samt Wollsocken in goldenen Sandalen. "Angie, du bist gut, du bist nachhaltig - du kannst etwas ändern." Er zieht an Angelas Arm.

Zu ihrer Rechten zerrt ein anderer: der Teufel in dunkler Kleidung und derben Schuhen wie im Brechtschen Kreidekreis. "Du bist böse, hör auf deine Freunde, Silvio, Nicolas und Gordon …" Ein Talkmaster im weißen Anzug drängt sich dazwischen: "Nun, Frau Merkel, wie entscheiden Sie sich?" Scheinbar hilflos windet sich Marionetten-Angie, sie kann sich einfach nicht entscheiden und sackt schließlich hilflos in sich zusammen. Der Engel und der Chor der 350 Sub-Angies können es nicht fassen: "Act! Now!", schreien sie aus vollem Hals.

An diesem weltweiten Klimatag finden über 5.200 solcher Aktionen in 182 Ländern statt. Erst vor einer Woche haben die Berliner "Klimapiraten" im Internet für ihren Angie-Flashmob mobilisiert und koordinieren jetzt am Rande der Veranstaltung den Ablauf. Es ist zwar keine große Demonstration, dennoch sind die Aktivisten von Fernsehteams umringt. Diese filmen 350 Angies, die für 350 ppm (parts per million) stehen. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft die verträgliche Grenze der CO2-Konzentration in der Luft, damit die Klimakatastrophe noch verhindert werden kann.

Carina und Frauke halten sich abseits, sie haben keine Angie-Masken mehr ergattern können. Sie mögen Flashmobs - schließlich eine der wenigen Möglichkeiten, spontan auf die Straße zu gehen. "Es fällt mir schwer, regelmäßig den Arsch hochzukriegen und an Treffen von Greenpeace und Co teilzunehmen", gesteht Carina. "Da sind solche Ad-hoc-Proteste ideal." Frauke fügt schnell hinzu: "Aber wir freuen uns natürlich, wenn andere es machen."

Der Strom von Angies, Aktivisten und Ahnungslosen wandert zur nächsten Veranstaltung: dem Carrotmob im eve & adams in der Rosa-Luxemburg-Straße. In der Salat- und Smoothiebar leuchten die Stühle orange, die Tische in saftigem Grün. Ein Hauch von frischem Thymian liegt in der Luft. Geschätzte dreißig Personen teilen sich den Raum, man hört geschäftiges Gemurmel. Sogar die Kellner sehen hier überdurchschnittlich gut aus - ein typischer Here(und zwar genau here)-we-are-in-a-better-world-place eben.

Niemand hat mehr Lust, auf einer Demo hinter einem Transparent herzutrotten. Der Protestler von Welt will Spaß haben an seiner außerparlamentarischen Opposition und beruhigt sein grünes Gewissen auf CO2-Partys oder, wie beim Carrotmob, eher nebenher beim Einkaufen. Das kann man kreativ nennen. Tatsächlich zeigt es aber, mit wie wenig Herzblut - von den Organisatoren abgesehen - die große Masse der Demonstranten die Idee hinter den Spaßaktionen unterstützt. Jeder ist ja irgendwie ein bisschen gegen Klimawandel, und, wenn es so einfach ist, warum auch nicht? Doch Klimapolitik macht man nicht en passant. Es braucht sowohl wirtschaftliche als auch persönliche Opfer. Die Bürger müssten zeigen, dass sie dazu bereit sind. Anders gesagt: Ist es einer Regierung zu verübeln, dass sie ihren Wählern die notwendigen Einschnitte nicht zumuten will, wenn die Leidensfähigkeit selbst bei den Umweltaktivisten so stark abgenommen hat, dass sie für die grüne Sache nicht einmal mehr auf die Straße gehen? Sie begreifen es ja bereits als Protest, ihre fair gehandelte Ingwer-Karotten-Suppe in einer hippen Salatbar in Berlin-Mitte aus Einwegschälchen zu löffeln.

Heute werden hier 45 Prozent des Tagesumsatzes in einen energieeffizienteren Umbau des Ladens investiert: Ökostrom, geschlossene Kühlvitrinen und die Umstellung des Durchlauferhitzers auf Gas. "Alex, wenn du das twittern willst, wir haben jetzt bereits den 1,5-fachen Tagesumsatz eines Samstags erreicht", ruft der Besitzer Jens Riewe dem Carrotmob-Organisator zu.

Das Publikum ist gemischt: Neben der jungen Mutter mit Kind sitzt ein Mittvierziger in Ledersandalen, ihm gegenüber ein schicker Mitte-Hipster mit Seidenschal, der am MacBook arbeitet. Die Stammkunden lassen sich vom Trubel nicht beeindrucken und bestellen routiniert ihre Couscous-Rucola-Radicchio-Salate mit Ingwer-Zitronengras-Dressing.

An einem der Metalltische sitzt Julika mit ihren Freunden. "Es gibt Bioläden, die sind günstiger", sagt die Studentin. Auch Mirco macht deutlich: "Normalerweise hätte ich hier nicht gegessen. Aber gut, heute haben wir dadurch etwas gespendet." Er will im Kleinen was verändern, durch seine Entscheidung, wo und was er konsumiert. So hat er das Gefühl, ganz direkt Einfluss zu nehmen. An Wahlen glaubt Mirco nicht wirklich, auch wenn er seine Stimme abgibt. Während er und seine Freunde noch gemütlich ihre Suppe löffeln, ziehen andere bereits weiter.

Zum nächsten Klimaleckerbissen.

Der Artikel stammt von Emilia Smechowski und Jaisha Laduch, der Kommentar von Sidney Gennies. Alle drei sind Teilnehmer des dritten taz-Workshops für Nachwuchsjournalisten.

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