Kommune-1-Gründer Gebbert gestorben: Die Übriggebliebenen

Die Kommune 1 veränderte mit gezielten Provokationen den deutschen Alltag. Jetzt ist Kommune-Gründer Volker Gebbert gestorben. Bei seiner Beisetzung leiden die altgewordenen 68er-Promis.

Spätphase der Kommune I: Im Spätsommer 1968 zog man eine verlassene Fabrik in der Stephanstraße 60, Berlin-Moabit. Bild: dpa

Volker Gebbert war der dritte Hintern von links. Vielleicht ist es nicht ganz angemessen, eine Geschichte über eine Trauerfeier so zu beginnen - aber Gebbert liebte Frechheiten, Provokationen und den Bruch bürgerlicher Konventionen, ja er lebte sie.

Das berühmte Bild der acht K-1-Mitglieder, mit nacktem Hintern und wie bei einer Polizeirazzia die Hände gegen eine Wand ihrer WG gedrückt, ist die Ikone der 68er-Bewegung geworden. Neben Gebbert standen unter anderem der unsägliche Antisemit Dieter Kunzelmann (Hintern 1) und der eitle Erotomane Rainer Langhans (Hintern 5), die strahlend schöne Uschi Obermaier kam erst später in die Kommune dazu.

Volker Gebbert, der Ingenieurssohn aus Erlangen, der Industriesoziologe und Zeitzeuge, war Gründungsmitglied der Kommune 1, K 1 genannt. Sie hat 1967 deutsche (Kultur-)Geschichte geschrieben.

Am Freitag ist Volker Gebbert im Krematorium Baumschulenweg in Berlin-Treptow verbrannt worden. Es ist ein Herbsttag, an dem die Sonne strahlt, der Wind sanft weht, die Blätter rot und gelb sind - und wie immer, wenn das Wetter bei Beerdigungen schön ist, fragt man sich, wie das alles überhaupt sein kann. Vor dem Krematorium, entworfen von Axel Schultes, dem Architekten des Bundeskanzleramts, sammeln sich am frühen Nachmittag etwa 50 Menschen, die meisten mit weißen spärlichen Haaren. Nur wenige haben auf etwas Schwarz in ihrer Kleidung verzichtet. Auf einer Bank sitzt mit Hut und Wintermantel Kalle Pawla, berühmt geworden durch eine politische Aktion, die darin bestand, vor den Tisch eines Richters zu kacken.

Langhans, Kunzelmann und Obermaier sind nicht da. Etwas abseits auf einer Bank in der Sonne sitzt Bernd Rabehl, einst ein enger Freund Rudi Dutschkes, doch mittlerweile in die rechte Ecke abgerutscht. Gesprächsfetzen sind zu hören. "Erzähl mal, was du so machst." - "Ich bin ja auch in Rente." - "Ach, diese Handys."- "Ich komme mit diesem Navi nicht zurecht, mein Sohn muss mir immer helfen." Kalle Pawla schweigt die meiste Zeit. "Ich bin sehr traurig", sagt er. Als er - das Herz! - im Krankenhaus lag, habe sich Gebbert "rührend um mich gekümmert".

Es ist bitter zu sehen, wie die Zeit an diesen Menschen genagt hat, die einen Sommer lang als die Sinnbilder von Jugendlichkeit, Sex und Schönheit galten. Ulrich Enzensberger (Hintern 7), der Herodot der K 1 und seinem älteren Bruder Hans Magnus frappierend ähnlich, hat an diesem Tag ein wenig die Regie übernommen. Er ist herzlich und kann offenbar noch mit allen. Enzensberger bittet die Umstehenden, in das Krematorium zu schreiten.

Der dunkelbraune Holzsarg Gebberts liegt im zweiten Trauersaal links, vor einer Stirnwand, durch die Sonne scheint. Weiße Rosen liegen auf dem Sarg, Trauergäste legen ihre Blumen dazu, Rosen, Gerbera, ein Wiesensträußchen. Eine schwarz gekleidete junge Cellistin spielt Bach-Sonaten. Das ist schön. Eine Pastorin tritt vor die Trauernden, sagt, dass sie lange überlegt habe, ob sie der Bitte nachkommen sollte, diese Feier zu gestalten, weil Gebbert "sich nicht als Christ verstand". Sie wolle ihn auch "nicht christlich posthum vereinnahmen", aber vielleicht hätte er diese Feier als "Nonkonformist" und "Geschöpf Gottes" dann doch angenommen.

Und je länger die Feier dauert, umso frommer wird sie. Die Pastorin zitiert den Psalm 103 über die Vergänglichkeit des Lebens und das Predigerbuch, dass alles seine Zeit habe. Mitten in ihrer Predigt platzt mit zwanzig Minuten Verspätung Fritz Teufel herein. Der größte Humorist der 68er setzt sich neben Enzensberger. Gleich zwei Leute helfen Teufel aus der blauen Regenjacke, die die lachenden Gesichter des WM-Logos 2006 schmücken. Teufel war ein alter, enger Freund Gebberts und ebenfalls ein Gründer der K 1. Tief gekrümmt sitzt der 68er-Promi in der Bank, seine kasachische Mütze auf dem rechten Knie. Teufel soll Parkinson haben.

Als die Pastorin sagt, Gebbert und die K 1 hätten "Deutschland verändert", ruft Teufel etwas wie "Bitte! Bitte!" Immer unruhiger wird die Trauergemeinde, je mehr Gebete die Geistliche vorbetet. Als sie diejenigen, die dies könnten, bittet, das Vaterunser im Stehen zu beten, bleiben einige sitzen, darunter Enzensberger und Teufel. Nur eine Dame bekreuzigt sich. "Es reicht!", flüstert jemand vernehmbar in der zweiten Reihe. Die Cellistin spielt zum Abschluss noch einmal Bach. "Uah, uah", ruft Teufel, "dolles Stück!" Ob er ironisch die Feier der Pastorin oder ernst die Musik der Cellistin meint, bleibt unklar.

Teufel ist rasch wieder in der großen Säulenhalle des Krematoriums. Gestützt auf zwei Bekannte, entzieht er sich ein paar Minuten den Blicken. "Also, ich habe die Predigt als Folter empfunden", sagt eine Frau lachend zu einem anderen Trauergast. "Wir sind alle ziemlich empört", sagt Ulf Kadritzke, emeritierter Soziologieprofessor aus Berlin, "die Feier war ein einziger imperialistischer Übergriff."

Es dauert eine Weile, bis sich herumgesprochen hat: Wer wolle, könne noch zu einem Leichenschmaus - gibt es dafür kein anderes Wort? - zum Restaurantschiff "Hoppe Tosse" auf der Spree kommen.

Auf dem Weg zum Parkplatz sagt Teufel, er habe mit Gebbert ja vergangenes Jahr noch Pingpong gespielt. Er sei nicht sein engster Freund gewesen, aber der Erste, den er 1963 an der FU in Berlin kennengelernt habe. Und zu Weihnachten 1966 hätten sie zusammen "revisionistische Gänse" aus Polen geklaut. Teufel ist schwer zu verstehen. Er scheint schwer bewegt zu sein. Ein Hinterzimmer der "Hoppe Tosse" füllt sich langsam mit den Trauergästen. Einige bestellen sich ein paar Pils, manche etwas zu essen. Jost von dem Knesebeck, ein Industriesoziologe und Freund Gebberts, erzählt in wenigen dürren Sätzen seine letzten Eindrücke von ihm. Sie waren zusammen noch in Griechenland in Urlaub, dort ist Gebbert auch gestorben, nachdem die Knesebecks schon wieder in Deutschland waren. Er litt an einer Stoffwechselkrankheit, das war wohl die Todesursache. Nach zwei Tagen im Koma starb er.

Dann ergreift Enzensberger das Wort. Er redet fast eine Dreiviertelstunde und fängt ganz von vorn an, bei Gebberts Vater, seiner Familie, seiner Ausbildung und dem Umzug nach Westberlin zur Zeit der Kubakrise kurz nach dem Mauerbau 1961. "Da hat es nach Krieg nur so gestunken." Und wie viele habe er sich gefragt: "Was ist denn das für eine Demokratie?" Das habe Gebbert politisiert.

Die Politik damals - "eine endlose Lüge, bis heute", schimpft Enzensberger. Deutsche Politiker hätten ja noch nicht einmal nach Auschwitz in Polen fahren können, um dort einen Kranz abzulegen, weil sie die Ostgrenzen Deutschlands nicht anerkannt hätten. "Verdammt noch mal!", bricht es aus Enzensberger heraus. Als Nachgeborener ahnt man etwas von der Empörung, die die 68er bewegte. Es sei eine "Fehldiagnose" gewesen, dass die BRD am Scheitern sei - "aber nur knapp", sagt Enzensberger. Man habe damals ja nur in "kurzen Räuschen" und "größenwahnsinnig" geglaubt, dass man das große Ganze hätte ändern können. "Wir haben nicht an die große Utopie geglaubt." Als kleine Aperçus liest Enzensberger in seiner Rede hier und da Rezepte eines Kochbuchs vor, das Gebbert zu Ehren seiner Frau herausgegeben hat.

Nach 1968 hat Gebbert Soziologie studiert und darin auch promoviert - von der Promotion weiß Enzensberger nichts mehr, sein Wissen über ihn hat große Lücken, nach 1968 wird es bruchstückhaft. Gebbert arbeitete als Industriesoziologe, konnte sich nach einer Erbschaft, wie Monika von dem Knesebeck erzählt, eine Wohnung am Kudamm, ein Schiffchen an der Havel und ein Haus am Gardasee leisten. Dort, bei der Ernte der eigenen Oliven, fällt seine Frau Christa "vom Baum und ist tot", so berichtet es Enzensberger. "Der nicht Vater werden wollte", sagt er mystisch, "ist dafür auch gestraft worden." Nach dem Tode Christas habe Gebbert "zwei Jahre nur gesoffen". Die Zuhörer werden unruhig. "Gudrun verlässt aus Protest den Raum", sagt Enzensberger. Er verliert sich. In seinen letzten Lebensjahren habe Gebbert wieder die Nähe zu seinen K-1-Freunden gesucht, sagt er. "Aber wir waren nicht mehr die Alten." Und: "Er blieb einsam."

Die Runde löst sich nach dem Ende der Rede Enzensberger schnell auf. Ein Freund aus der Kommune 2 sagt, dass viele 68er "demnächst fällig" seien. Denn schließlich hätten sie "ein wilderes Leben" geführt als die Durchschnittsbevölkerung, "da ist die Sterblichkeit etwas höher", sagt er nüchtern.

Nur noch wenige sitzen an den weiß gedeckten Tischen, der Nachmittag geht zu Ende. Die Jüngste in der Runde, Anna von dem Knesebeck, Jahrgang 1982, spricht über Gebbert die wärmsten Worte: "Ich mochte Volker sehr gerne." Er war ihr Patenonkel. Man habe toll mit ihm diskutieren können. "Er konnte sich politisch sehr ereifern." Aber man habe da gut gegenhalten können, da sei er aufgelebt. Und was er von 1968 erzählte, sei "spannend" gewesen. Aber eigentlich, sagt sie, "habe ich nie genug nachgefragt". Seltsam, dieser Satz. Das Schweigen ihrer Väter hat die 68er bewegt. Und nun sterben sie.

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