User werden zu Überwachern: Verbrecherjagd als Internetspiel

Die Millionen Überwachungskameras in Großbritannien zeichnen so viel Material auf, dass es niemand auswerten kann. Nun sollen Netznutzer als Helfer auftreten - gegen Bezahlung.

Der User wird zum Hobbydetektiven: Für überführte Kriminelle gibt es Pluspunkte, Fehlalarme bringen Minuspunkte. Bild: dpa

Die Idee klingt wie aus einem Science-Fiction-Film: Das Unternehmen Internet Eyes will Netznutzer dafür entlohnen, dass sie sich stundenlang Bilder von Überwachungskameras ansehen und im Falle einer Straftat Sicherheitsleute alarmieren.

Wenn es nach der Firma geht, wird die Idee bereits im November in einer Pilotstadt Wirklichkeit: Dann bekommt Stratford-upon-Avon, die Heimat von Shakespeare, Internet-Augen. Wer die meisten Kriminellen erwischt, kann mit einem Kopfgeld von 1.000 Pfund rechnen.

"Internet Eyes" ist dabei als Spiel konzipiert, bei dem Punkte vergeben werden, berichtet die Londoner Zeitung "Daily Telegraph". Wer etwas Verdächtiges sieht und mitteilt, erhält einen Punkt; drei Punkte gibt es für das Überführen des Täters. Fehlalarme wiederum sorgen für Punktabzug.

Die Nutzung des Spiels soll dabei sehr einfach sein: Die Übermittlung der Informationen erfolgt per Mausklick, das Bild der Kamera wird in den Web-Browser des Benutzers übertragen. Wird ein potenzielles Verbrechen gemeldet, erhält der Besitzer der Kamera, eine SMS oder E-Mail mit dem aktuellen Bild. Dann kann er oder sie entscheiden, was weiter zu tun ist und ob die Polizei eingeschaltet werden muss.

Großbritannien scheint für ein solches datenschutzrechtlich bedenkliches Experiment wie "Internet Eyes" besonders geeignet. In dem Land stehen die meisten Überwachungskameras Europas, insgesamt 4,2 Millionen, das entspricht eine Kamera für 14 Menschen im Land.

Da kann es schon zum Problem werden, diese auch stets im Blick zu halten: Das Material, das sie produzieren, wird häufig erst bei Einbrüchen ausgewertet. "Internet Eyes" soll dafür nun Menschen einsetzen, die nichts Besseres zu tun haben.

Bezahlt werden soll der Dienst durch die Besitzer der Kameras; da es sich hier um Privatgelände handelt, sehen die Macher von "Internet Eyes" auch keine Datenschutzbedenken. Charles Farrier, Direktor der Anti-Überwachungs-Gruppe "No-CCTV", ist entsetzt von dem Vorhaben: "Als Spiel finde ich die Idee erschreckend. Es wird ein Schnüfflerparadies geschaffen." Es sei zu befürchten, dass etwa eine Gruppe von Rassisten jedes Mal den Schalter betätige, sobald ein Mensch anderer Hautfarbe in der Kamera auftauche. Er erwarte schwerwiegende Verletzungen von Bürgerrechten.

Tatsächlich will "Internet Eyes" mit seinen Erfolgen hausieren gehen: Eine Galerie mit den Fahndungsfotos der erwischten Kriminellen soll auf der Website platziert werden - inklusive den Taten, die man ihnen vorwirft.

Der Erfinder von "Internet Eyes", Tony Morgan, kann solche Kritik nicht verstehen. "Das könnte die beste Waffe zur Verbrechensverhütung werden, die es je gab." Man werde aus Gründen des Privatsphärenschutzes unter anderem nicht angeben, wo sich eine Überwachungskamera befinde.

Zudem sollen immer mehrere Nutzer eine Kamera überwachen, damit Verbrechen auch ja nicht übersehen werden. Fallen Nutzer unangenehm auf und produzieren zu viele Fehlalarme, sollen sie vom "Mitspielen" ausgeschlossen werden.

Wenn es nach "Internet Eyes" geht, wird die Technologie bald auch an Gemeinderäte und örtliche Polizeibehörden verkauft. Morgan sieht eine echte Marktlücke. Von den 4,2 Millionen Kameras werde nur eine von 1.000 ständig überwacht. "Da ist es klar, dass Verbrechen übersehen werden. Auf diese Art können Tausende Personen das 24 Stunden am Tag tun", sagte er dem "Telegraph".

Mitmachen darf laut Morgan jeder, der einen Webbrowser besitzt. Längerfristig soll das Projekt nicht nur in England, sondern auch in anderen Ländern angeboten werden. Allerdings haben insbesondere die Briten eine besonders hohe Toleranz gegenüber Überwachungskameras.

Technisch gesehen ist "Internet Eyes" eigentlich nicht schwer zu realisieren: Immer mehr Überwachungskameras sind nicht mehr nur mit einem Videorekorder und einem Bildschirm verbunden, sondern per Internet vernetzt. So kann der Besitzer das Bild von jedem Ort der Welt abfragen. Das macht sich "Internet Eyes" nun zunutze und leitet deren Signal auf eine zentrale Seite um.

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