Diskriminierung: Glaube kann kein Kriterium sein

Hamburger Arbeitsgericht verurteilt die kirchliche Stiftung Alsterdorf zur Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen religiöser Diskriminierung. Grundsatzfrage bleibt weiter ungeklärt.

Als Aushilfe ist alles anders - so das Gesetz. Bild: dpa

Die Rechtssache Stiftung Alsterdorf hätte der Präzedenzfall für ganz Deutschland werden können - denn die Einschaltung des Europäischen Gerichtshof (EUGH) wegen Diskriminierung lag förmlich in der Luft. Doch dann verurteilte die Hamburger Arbeitsrichterin Susanne Loßmann die Stiftung doch noch im Alleingang zwecks Abschreckung zur Zahlung von fünf Monatsgehältern an Christine Hansen* wegen Diskriminierung. Arbeitsrechtsanwalt Klaus Bertelsmann ist ein wenig enttäuscht. "Leider ist die viel wichtigere Problematik nicht entschieden worden."

Christine Hansen hatte im Herbst vorigen Jahres bei der kirchlichen Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Menschen im Hamburger Stadtteil Alsterdorf einen Aushilfsjob als Betreuerin angenommen. "Lediglich Hilfe zur Selbsthilfe", wie sie selbst sagt. Die Behinderten schätzten Christina Hansen bereits nach kurzer Zeit sehr. Nach einigen Monaten bekam die evangelische Einrichtung heraus, dass Hansen der "Neuapostolischen Kirche" angehört. Es wurde ihr ein Ultimatum gesetzt: entweder aus der "Sekte auszutreten" oder sich einen neuen Job zu suchen.

Die Stiftung begründete ihr Vorgehen mit der immer noch aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Demnach dürfen Kirchen auch von Mitarbeitern "verkündungsferner Tätigkeiten", wie es im Kirchendeutsch heißt, eine Kirchenmitgliedschaft verlangen - also auch von der Küchenhilfe, dem Hausmeister oder dem Gärtner. "Auch das Bundesverfassungsgericht hat schon falsche Entscheidungen getroffen", sagte hingegen Hansens Arbeitsrechtsanwalt, Klaus Bertelsmann während des Verfahrens.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1985 nach lobbyistischer Intervention die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts gekippt, nach der die Religionszugehörigkeit bei einfachen Jobs keine Bedeutung spielt.

Die Folge: Über Jahrzehnte konnten kirchliche Einrichtungen deswegen verlangen, dass alle MitarbeiterInnen Mitglied der Kirche sein müssen.

Das EU-Votum: Nach der neuen EU-Antidiskriminierungsrichtlinie dürfen Mitarbeiter wegen ihrer Religion bei der Vergabe von Jobs nicht benachteiligt werden.

Die Ausnahme: Die direkte Vertretung der Religion - so genannte "verkündungsnahe Tätigkeiten".

Das Problem: Das deutsche Gleichstellungsgesetz hat keine Regelungen, dass die EU-Richtlinie für alle Angestellten gilt.

Das Urteil: Es wurde zwar ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot festgestellt, eine eindeutige Entscheidung für festangestellte MitarbeiterInnen in "verkündungsfernen Tätigkeiten" steht aber weiterhin aus.

Die Stiftung Alsterdorf sieht das anders. "Der Europäische Gerichtshof kann doch nicht in das Verfassungsrecht eines Landes eingreifen und deutsche Gerichte anweisen", entrüstete sich Anwalt Christoph Duvigneau, spezialisiert auf Vertretungen von Kirchen im Arbeitsrecht. Ihm zufolge befände sich zudem ein ähnlich lautender Passus im neuen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das aufgrund der EU-Richtlinie gegen Diskriminierung erlassen worden ist.

Doch dieser Passus läuft gerade eben dieser EU-Richtlinie zuwider, der deutsche Gesetzgeber habe an diesem Punkt "absichtlich nicht die EU-Richtlinie erfüllt", entgegnet Bertelsmann. Daher verstoße das deutsche Antidiskriminierungsgesetz gegen EU-Recht und sei somit rechtswidrig. "Dass der Papst männlich und katholisch sein muss, ist klar, auch andere verkündungsnahe Tätigkeiten, mit denen die Tendenz der Kirche nach außen vertreten wird", sagt Bertelsmann. "Bei einer Heilerziehungshelferin wie unserer Mandantin könne dies jedoch nicht verlangt werden", kontert der Anwalt.

Dieser Rechtsauffassung zeigte sich Richterin Loßmann anfangs durchaus aufgeschlossen. Sie wollte eigentlich dem Antrag Bertelsmann nachkommen und den Fall dem EUGH vorlegen, der prüfen sollte, ob die Bundesrepublik gegen EU-Recht verstoße. Doch während der Urteilsberatung machte Loßmann eine unerwartete Entdeckung. Nach einer hausinternen Dienstvereinbarung der Stiftung Alsterdorf gilt das Kirchendiktat nicht für Aushilfen.

Bereits aus diesem Grund sei Christine Hansen diskriminiert worden. Anwalt Bertelsmann bedauert, dass die eigentliche und viel wichtigere Problematik für unbefristete Arbeitsverhältnisse wie zum Beispiel bei den Trägern Diakonie oder Caritas nicht entschieden worden sei. Es bleibe daher zu hoffen, so Bertelsmann, dass sich bald Betroffene gegen solche Diskriminierung zur Wehr setzen. "Sonst bleibt eine Vielzahl von Arbeitsplätzen aus vermeintlich religiösen Grünen abgeschottet."

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