Kolonialgeschichte in Neukölln: Der Stein des Anstoßes

In Neukölln wird der Opfer des Kolonialismus in Namibia gedacht. Um den Text der Gedenktafel wurde lange gestritten, auf das Wort "Völkermord" wird aber verzichtet.

Die 1-Euro-Jobber vom Neuköllner Garnisonsfriedhof haben saubere Arbeit geleistet. Der Afrikastein, ein Gedenkstein für in Namibia gefallene Kolonialsoldaten des deutschen Kaiserreichs, erstrahlt nach einem gründlichen Spülgang wieder in altem Glanz. Nur am Boden zeugen noch rote Farbsprenkler von der außerparlamentarischen Auseinandersetzung um das Ehrenmal. Rot, das ist die Farbe der in Namibia getöteten Herero.

Mindestens 70.000 Stammesangehörige der Herero, Nama und Damara starben zwischen 1904 und 1907, als sie sich gegen Unterdrückung und Landraub in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika wehrten. Bei der Schlacht am Waterberg, dem Auftakt des kolonialen Vernichtungskrieges, wurden die Aufständischen eingekesselt und niedergeschlagen. Die Überlebenden wurden von den Deutschen in die Omaheke-Wüste getrieben, Zehntausende ließen dort ihr Leben.

An diese Opfer will der Bezirk Neukölln ab Freitag erinnern. Neben dem Afrikastein soll dafür ein Stein mit schwarzer Granittafel befestigt werden, der teilweise in den Friedhofsweg ragt. Die Inschrift, die der Opfer der deutschen Kolonialherrschaft in Namibia gedenkt, ist mit einem Zitat Wilhelm von Humboldts garniert: "Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." Mit dem Gedenkstein wird ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln aus dem Jahr 2004 umgesetzt.

Dass das so lange gedauert hat, hat mehrere Gründe: die vorgezogene Bundestagswahl 2005, personelle Wechsel nach der Neuköllner Bezirkswahl 2006 - und vor allem die formelle Unvollständigkeit einer bereits gefertigten Tafel und anhaltende Diskussionen um die angemessene Inschrift. "Es geht dabei ja auch um die Anerkennung beziehungsweise Nichtanerkennung von Opfern der Kolonialherrschaft", bringt es die frühere Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) auf den Punkt.

Allerdings wird vom Verein Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag e. V. (BER) kritisiert, dass die aktuelle Gedenkinschrift gänzlich auf die Begriffe "Völkermord" und "Genozid" verzichtet. Eine Gruppierung um den Verein BER und den grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele stellte zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg bereits eine provisorische Gedenktafel auf dem Friedhof auf - und bezeichnete darauf das Geschehene als Völkermord. "Wenn ein Völkermord begangen wurde, muss man das auch so nennen", fordert Vereinsmitglied Armin Massing bis heute. Die jetzige Inschrift sei "verharmlosend".

Das Thema hat politische Brisanz, weit über die Bezirksgrenzen hinaus. Unvergessen ist die Rede von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bei der Gedenkfeier zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns 2004 in Namibia. Als erste Vertreterin der Bundesregierung nahm sie den Terminus "Völkermord" in den Mund - mit dem versteckten Hinweis, dass das juristische Konstrukt erst weit nach dem deutschen Kolonialismus definiert worden ist. Auch der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer verzichtete seinerzeit auf "entschädigungsrelevante Äußerungen".

Neben der umstrittenen Anwendung des 1948 von den Vereinten Nationen definierten Tatbestands des Völkermords spielt auch die deutsche Entwicklungshilfe für Namibia eine Rolle. Entschädigungsansprüche einzelner Gruppen sollen mit allgemeinen Geldern umgangen werden - auch, um keine innernamibischen Konflikte zu schüren. Rund 500 Millionen Euro flossen bis 2007 in den Staat.

Israel Kaunatjike will sich damit nicht zufrieden geben. Der Herero, der seit 1970 in Berlin lebt, bemängelt die innernamibische Verteilung der Gelder. Bei den Herero käme davon kaum etwas an. Auch deshalb findet es der 62-Jährige wichtig, die historischen Taten der Deutschen als Völkermord anzuerkennen. An der Einweihung der Neuköllner Ehrentafel will er nicht teilnehmen. "Damit würden wir bestätigen, dass okay ist, was da passiert."

Der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) hingegen verweist auf den breiten Abstimmungsprozess, den das Bezirksamt in der Debatte um die Gedenktafel eingeleitet hat: Der Text sei mit dem Auswärtigen Amt, der namibischen Botschaft, der Senatskanzlei und der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln abgestimmt worden. Das Auswärtige Amt habe in der Diskussion um die Inschrift "dringend davon abgeraten", den Terminus Völkermord zu verwenden. Dem sei das Bezirksamt gefolgt. "Ich kann in Neukölln nicht etwas auf einen Stein schreiben, was das Auswärtige Amt nicht absegnet" so Blesing weiter.

Zwar bestätigt das Auswärtige Amt, Neukölln bei der Formulierung der Inschrift beraten zu haben, zu den Beratungsinhalten will man sich aber nicht äußern. Doch eine Sprecherin betont: "Der Bezirk entscheidet in eigener Verantwortung. Er braucht kein Einverständnis der Bundesregierung."

Eine ähnliche Sprache spricht ein Beispiel in Bremen. Dort wurde im August dieses Jahres eine Gedenktafel für die namibischen Opfer des deutschen Kolonialkriegs eingeweiht, auf der das Wort "Genozid" zu lesen ist. Vom Auswärtigen Amt habe es hierbei keine versuchte Einflussnahme gegeben, heißt es aus der Bremer Bausenatsverwaltung.

Der Abgeordnete Marcus Albrecht, der vor fünf Jahren den Antrag für die Neuköllner Gedenktafel in das Bezirksparlament einbrachte, versucht der Geschichte etwas Positives abzuringen: "Es ist ein Text, der niemandem weh tut und zumindest ein Signal sendet."

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