Analyse zur Bundestagswahl: Atomkraft für ein gutes Klima?

Eine Mehrheit für eine schwarz-gelbe Koalition, knapp elf Prozent für die Grünen: Wie kann das Ergebnis keine Katastrophe für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sein?

Greenpeace-Aktion in Potsdam. Bild: dpa

Der schwerkonservative Antikommunist Richard Nixon machte 1972 als erster US-Präsident Mao seine Aufwartung, sein Nachfolger Ronald Reagan verabredete mit Michail Gorbatschow die globale Abrüstung, und viele Jahre zuvor schon hatte Charles de Gaulle Algerien in die Unabhängigkeit entlassen, nachdem er seinen Wählern vorgegaukelt hatte, die Kolonie werde für immer französisch bleiben.

Nixon in China, Saulus zu Paulus – für ein politisches Wunder dieses Kalibers kommt, wenn überhaupt, nur die Klimakanzlerin Merkel und ihr neuer Juniorchef Westerwelle in Frage. Deshalb gilt es außerparlamentarisch Druck zu machen, damit genau die, von denen nach Programmlage am meisten Kohle und Atom zu erwarten ist, die Energiewende und den Durchbruch in der Klimapolitik einleiten. Andernfalls haben wir in Sachen Klimaschutz wie in Sachen globale Gerechtigkeit weitere vier verschenkte Jahre vor uns. Deutschland würde sich dann der Politik des US-Präsidenten Bush annähern, dem Hauptblockierer einer Klimawende. Die AKW-Laufzeiten würden verlängert, und zwar mit dem Argument, wir müssen das Klima schützen. Alternative Energien hingegen dürfte die Förderung entzogen werden, die sie weltweit benötigen.

Es wäre fatal, wenn die quasi-religiöse Mantra „Wachstum schafft Arbeitsplätze“ das politische Tageshandeln der schwarz-gelben Koalition tatsächlich leiten und einer zweiten Regierung Merkel auch nicht mehr einfallen würde als die Potenzierung von Abwrackprämie und Opel-Rettung. Im Wahlkampf haben die Protagonisten der neuen Regierung, die so entsetzlich altbundesrepublikanisch daherkommt, zentrale Zukunftsthemen ignoriert, in den Fraktionen gibt es kaum Ökologen, die den Namen verdienen. Jetzt müssen sie springen. Die Kanzlerin weiß das, strahlende Siegerinnen sehen anders aus.

Die Bundestagswahl war weniger der schwarz-gelbe Triumph als eine satte grüne Niederlage. „Schwarz-Gelb muss verhindert werden“ und „Jamaika bliebt in der Karibik“ - mit derart lauwarmen Sprüchen haben die Grünen im Wahlkampf keine echte Machtalternative geboten und sind nun folgerichtig fünftes Rad am Wagen. Das ist die Quittung dafür, dass sie nur pomadig dahergebetet haben, mit wem sie alles nicht koalieren würden. Dieses elende Taktieren wird sich in den Ländern jetzt von selbst erledigen, nach dem Denkzettel vom Sonntag werden Ampel-Koalitionen genauso selbstverständlich werden wie Schwarz-Grün und Jamaika. Doch viel zu wenig haben auch die Grünen das Megathema Klima & Energie als ihre ureigenste Angelegenheit erkennen und sich stattdessen vom SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel in das fatale Anti-AKW-Retro locken lassen. „Gegen Atomkraft“ ist zu wenig, man muss auch zeigen, wie man die Klimawende schaffen kann.

Auch die kleinste Fraktion im Bundestag muss nun deutlich machen, wo – wenn es die klassischen Wachstumsrezepte natürlich nicht bringen werden und Steuersenkungen schlicht unmöglich sind - die Musik dann wirklich spielt. Dass die Grünen hinter der Linken reingekommen sind, zeigt zunächst, wohin eine jahrlange soziale Polarisierung führt, an der Rot-Grün nicht unbeteiligt war. Es zeigt auch, dass sich die Grünen als eine im Kern linke Partei kaum behaupten werden.

Wahr bleibt aber auch, dass der rosa-rote Industrialismus einer von Lafontaine, Wowereit oder wem immer wiedervereinigten Linken den Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft alten Typs nicht schaffen wird. In der Opposition müssen die Grünen die Führung übernehmen, so wie sie in den Ländern mit konkreten Politikerfolgen zeigen können, dass die Energiewende möglich ist, dass sie weit kreativer ist als die Umverteilungsillusionen der Alten Linken und dass sie letztlich mehrheitsfähig macht. Es muss mit anderen Worten gelingen, dass in der rosa-rot-grünen Opposition der Schwanz den Hund wackeln lässt. Auch die Gewerkschaften werden davon zu überzeugen sein, dass die soziale Frage nicht mit „mehr Wachstum“ zu lösen sein wird, sondern mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, die sich von fossilen Industrien verabschiedet.

Es wird sicher nicht einfach sein, jene Kräfte zurückgewinnen, die sich seit langem und mit wachsendem als Pioniere einer Energiewende und Nachhaltigkeitspolitik betätigen, aber für Politik im Allgemeinen und grüne Politik im Besonderen wenig bis gar nicht mehr interessieren. Auch den Grünen ist es nicht gelungen, diese Repräsentationslücke zu schließen, die sich nun auch als Generationskonflikt erweist, und sich für die Kräfte in der Gesellschaft attraktiv und wählbar zu machen, die den Wandel von unten betreiben. Die allein für ein gesellschaftliches Klima sorgen können, das die Berufspolitik unter Druck setzt, sich den wirklich bedeutenden Fragen zu stellen: der Verhinderung gefährlichen Klimawandels, der Wiedereinbettung einer außer Rand und Band geratenen Wirtschaft, der Vorsorge für unsere Kinder und Enkel.

Wir haben dazu weder etwas von Angela Merkel noch von Frank-Walter Steinmeier gehört, aber eben auch zu wenig von grünen Spitzenpolitikern. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat seinen Vorstoß für eine nationale Ökosteuer damit begründet, unsere (Politiker-)Generation sei die letzte, die eine Klimakatastrophe noch abwenden könnte. Am Wahlabend flimmerten die jüngsten Bilder einer gigantischen Überschwemmung aus Südasien über die Bildschirme – nur scheinbar weit weg. Insofern war der 27. September nur der Auftakt für die anstehenden Klima-Verhandlungen in Kopenhagen im Dezember dieses Jahres. Dort muss die Regierung Merkel mit aller Macht auf einen Durchbruch hinwirken, und dafür müssen sie so viel Druck von der Straße bekommen, wie nur irgendwie mobilisierbar ist.

Claus Leggewie und Harald Welzer arbeiten am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und haben eben das Buch „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie“ (S.Fischer) veröffentlicht. Daniel Cohn-Bendit ist Fraktionschef der Grünen im Europa-Parlament.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.