Interview mit dem Mäzen Hans-Jochen Waitz: "Künstler sind doch sehr mobil"

Der Mäzen Hans-Jochen Waitz vermietet Wohnungen und Ateliers auf der Hamburger Fleetinsel an junge und alte Künstler - auch wenn sie nicht immer pünktlich ihre Miete zahlen können.

Herr Waitz, Sie haben vor 20 Jahren von der Stadt die Fleetinsel mit ihren vier Künstlerhäusern gekauft. Aus welchen Gründen geschah das?

Hans-Jochen Waitz: Die Fleetinsel war damals besetzt von Künstlern. Die Gebäude sollten weitestgehend abgerissen werden, ganz ähnlich wie es jetzt für das Gängeviertel geplant war. Damals kannte ich einige Künstler und einen Galeristen, die dort lebten und uns ging es darum, die Ecke als Zentrum für die bildende Kunst zu erhalten. In zähem Ringen mit der Stadt und durch Sympathiebekundungen des damaligen Kultursenators ist es dann gelungen, die Gebäude zu erhalten.

Warum aber hat die Stadt an Sie verkauft und das Areal nicht selbst entwickelt?

Hamburger Kunstsammler, Mäzen und Rechtsanwalt. Er hat 1989 die vier Künstlerhäuser auf der Fleetinsel gekauft und vermietet sie Künstler wie Daniel Richter und Rocko Schamoni.

Damals war die Situation beherrscht durch die Hafenstraße und die Stadt merkte, dass sie mit Hausbesetzern gar nicht umgehen konnte. Die wussten auch gar nicht, dass besetzende Künstler etwas ganz anderes sind als Leute, die aus politischen Gründen Häuser besetzten, wie in der Hafenstraße.

Der Preis lag damals bei einer Million Mark für den ganzen Komplex, was für Unmut in der Stadt gesorgt hat. Einige hatten das Gefühl, die Stadt habe unter Wert verkauft.

Ja, wir haben seinerzeit einen sehr günstigen Preis bekommen. Wir mussten aber ein vielfaches in die von der Stadt "auf Abriss" verwalteten Häuser investieren, nur um die Substanz zu erhalten. Wir haben uns auch verpflichtet, zu günstigen Preisen zu vermieten. Wir haben heute noch Mieten, die deutlich unter dem Mietenspiegel liegen.

Zudem mussten Sie sich verpflichten, 10 Jahre kulturelle Nutzung zu garantieren.

Ja, das wollten wir. Jetzt sind es schon 20 Jahre. Und wir haben uns selbst verpflichtet, das auch weiterhin zu tun. Wir halten fest am Konzept, Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten für kreative Menschen zu schaffen.

Von Haus aus sind Sie Rechtsanwalt. Wie sind Sie eigentlich an die Künstlerkolonie herangekommen?

Ich hatte immer schon Kontakt zu Künstlern durch mein Interesse für die bildende Kunst. Und dann hört man ja, wenn man mit den Künstlern redet, was deren Nöte sind, dass ihnen bezahlbarer Wohn- und Arbeitsraum fehlt. Unsere Idee war dann, die Häuser stehen zu lassen, aber nur so, dass sie nicht zusammenbrechen. Also keine Luxussanierung. Wenn hier alles saniert worden wäre, was ein normaler Grundstückssanierer macht, hätten auch die Mieten in die Höhe schnellen müssen.

Die Gebäude wirken nun ein wenig marode.

Ja, ganz bewusst. Für einige der Galerien ist das auch ein Problem. Deren Kundschaft betrachtet die Häuser manchmal als heruntergekommen. Also kommt gelegentlich die Frage: Könnte ihr nicht mal dieses Treppenhaus schöner machen? Wir wollen aber nicht, dass es nachher aussieht wie ein Neubau, und dann sagen wir: Machen wir nicht.

Zurzeit stellt sich die Frage, wie die Stadt mit dem Gängeviertel umgehen wird. Soll sie es selbst entwickeln, oder wie damals bei der Fleetinsel an einen privaten Investor geben?

Die Saga könnte es durchaus. Sofern sie die Sanierung in Grenzen hält. Was nicht einfach sein wird. Eine städtische Wohnungsbaugesellschaft hat ja ihre Sanierungsstandards. Die werden dann schnell mal durchgezogen, die können nicht wie wir jedes mal individuell entscheiden.

Sie glauben, die Saga bekäme das hin?

Naja, man muss wohl ein bisschen darauf achten, dass die Saga Know-how kriegt, wie man mit Künstlern umgeht. Es ist natürlich so, dass die nicht immer pünktlich zahlen. Auch dafür muss man ein Händchen haben, und sagen, gut ich verstehe, du kannst diesen Monat nicht zahlen, aber vielleicht kannst du ja den nächsten …

Und im nächsten tun sie es?

Nicht immer. Auch die Galerien sind ja nicht alle wohlhabend. Da gibt es hier welche, die einfach kaum Geld reinbekommen. Wir versuchen denen zu helfen, ihnen Kontakte zu verschaffen …

Und irgendwann zahlen sie dann wieder mehr …

Ja, na ja, hoffentlich. Auf so etwas locker zu reagieren, wird einem städtischen Wohnungsbauunternehmen etwas schwerer fallen. Deren Angestellte können in solchen Fällen nicht beurteilen: kann einer nicht oder will einer nicht. Dafür muss man sich einfach gut kennen. Wenn uns jemand sagt: wir haben wirklich kein Geld, dann sagen wir: Wir wollen dich trotzdem haben. Es gibt halt Künstler, die so schwierige Kunst machen, dass sie auch sehr schwer zu verkaufen ist. Vielleicht wäre deshalb eine Zwischenlösungen denkbar. Dass die Saga einen Privaten in die Verwaltung setzt, der die Verbindung zu den Künstlern hat. Müsste man sich mal im Detail überlegen.

Wie war das denn, nachdem die Mietbindung auf der Fleetinsel ausgelaufen war. Haben Sie danach die Mieten erhöht?

Natürlich haben wir sie manchmal angehoben, aber sehr moderat, immer unter den Marktmieten.

So, dass sie auch für jüngere Künstler bezahlbar bleiben ?

So ist es. Obwohl nur wenige Junge einziehen, weil die Alten einfach nicht ausziehen.

Interessant, die Künstler werden also immer älter …

Ich werde ja auch älter, insofern stört mich das jetzt nicht. Aber es ist etwas, was wir am Anfang so nicht gesehen haben, wir dachten, es bleibt ein Ort für junge Künstler.

Wird die Fleetinsel in zwanzig Jahren ein Altersheim für ausgediente Edelkünstler sein?

Der eine oder andere geht schon mal. Und ein Jüngerer kommt. Und dann haben wir ja nur in einem Gebäude einen Lift. Irgendwann wird es nicht jeder mehr in den fünften Stock schaffen.

Unter den alten Mietern sind ganz illustre Namen, Rocko Schamoni, Daniel Richter oder Jochen Distelmeyer. Hat das auch zum Erfolg der Künstler beigetragen, dass sie nicht herumgescheucht wurden von Zwischennutzung zu Zwischennutzung und sich in der Künstlerkolonie frei entfalten konnten?

Eher im weiteren Sinne. Daniel Richter wohnt hier, hat aber ein Atelier am Rödingsmarkt und eins in Berlin, Jochen Distelmeyer schreibt hier seine Texte, macht die Musik aber natürlich auch nicht hier. Man kann vielleicht sagen: Die sind eben glücklicherweise nicht nach Berlin abgewandert und das ist der Effekt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Künstlern?

Anfangs gab es mit einigen Mietern Spannungen. Unser Konzept sah ja auch vor, dass wir mehrere Galerien in den Gebäuden ansiedeln wollten, auch eine Kunstbuchhandlung. Die brauchen Platz. Und wenn ein Mieter sich auf 300 Quadratmetern ausgebreitet hatte, da haben wir gesagt: Wie wäre es denn wenn du auf 150 runtergehst. Die Widerstände haben sich aber sehr schnell gelegt, als den Künstlern klar wurde, dass wir keinen von ihnen vertreiben wollten.

Und jetzt?

Bin ich mit vielen von ihnen befreundet. Man kennt sich so lange. Wir sehen uns ja auch fast täglich seit ich hier mein Büro habe. Ich höre deren Musik, sammle deren Kunst.

Arbeiten Sie denn noch als Anwalt?

Nein, ich widme mich nur noch kulturellen Aktivitäten. Ich fühle mich heute bei Kunst und Theater viel mehr zu Hause als in der Welt der Kanzleien. Ich versuche aber, die Anwaltskreise immer wieder für die Kunst zu interessieren. Meine alte Sozietät ist gerade in ein neues Haus gezogen, ich sorge jetzt dafür, dass da die Kunst bei der Einrichtung der Räume nicht zu kurz kommt.

Als das Luxushotel Steigenberger auf die Fleetinsel kam, hieß es aus dem Management, man schätze die kreative Nachbarschaft. Die Künstler brächten das "gewisse Etwas". Gibt es so etwas wie eine Vereinnahmung der Kunst?

Oder eine Vereinnahmung des Steigenberger. Jedenfalls haben wir hier nicht das Gefühl, vereinnahmt zu werden. Umso stärker aber das Gefühl, für die Lebendigkeit des Viertels zu sorgen. Darin liegt ein großer Wert. Und ich glaube, die Stadt müsste viel mehr von solchen Fällen schaffen. Und wenn es nur für Zwischennutzungen ist. In Holland soll es ein Gesetz geben, das es erlaubt, Räume zu besetzen, wenn sie länger als einen Monat leer stehen. Das führt dazu, dass es Zwischennutzungsagenturen gibt. Hier dagegen gibt es Flächen, die seit Jahren leer stehen und Raumnot unter Künstlern.

Aber Zwischennutzung ist für die Künstler doch ein Unwort, dieses fortwährende Weiterziehen …

Wo ist das Problem? Künstler sind doch sehr mobil. Und so lange die Künstler nicht das Gefühl haben, an den Stadtrand gedrängt zu werden …

Ist schon alles gut?

Dass Schlimme an der Umzieherei ist doch, dass es in Einzelfällen mal keine Alternativen mehr gibt, und dann ist Schluss. Aber wenn es immer wieder was Neues gibt, ein Recht darauf, wenn Zwischennutzung revolvierend ist, dann könnte es klappen. Jetzt stehen Künstler vor der Frage: Gibt es überhaupt etwas? In Holland gehen sie zur Agentur und sagen: Wo ist das nächste?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.