Aus für umstrittene Pläne: USA verzichten auf Raketenschild

Mit der Absage an einen Raketenschild in Osteuropa folgt US-Präsident Obama seinen außenpolitischen Prioritäten: Die USA brauchen Russland.

Aus der Überprüfung des Projekts wurde nun der Verzicht: Barack Obama. Bild: dpa

WASHINGTON taz | SDI, GPALS, BMD, NMD - kaum ein Waffensystem wurde mit so vielen, immer neuen und stets kryptischen Namen versehen wie das US-Projekt zur Raketenabwehr. Und kaum ein anderes Waffensystem hat die amerikanische Politik so lange begleitet.

Spätestens mit dem Sputnik-Schock von 1957 wurde den Amerikanern klar, dass ein gegnerischer Staat, der Satelliten ins All schickt, mit denselben Raketen auch Atombomben auf andere Kontinente würde schicken können. Damals begann das Bestreben, diese schon vor dem Einschlag zu zerstören. Am bekanntesten wurde Ronald Reagans 1983 verkündete "Initiative zur Strategischen Verteidigung" - kurz SDI.

Zuletzt war es George W. Bush, der das Projekt zum Schutz der USA vor Interkontinentalraketen vorantrieb. Diesmal mit der konkreten Vorgabe, die zentralen Elemente des Systems auch tatsächlich zu stationieren. Als Bedrohung waren diesmal nicht sowjetische oder chinesische Raketen ausgemacht, sondern solche aus dem Iran. Und die Flugbahn der Raketen führt vom Iran über Osteuropa.

Angeblich so dringlich war das Projekt, dass es sogar wert war, die russisch-amerikanischen Beziehungen erheblich zu belasten. Eine Radaranlage sollten in der Tschechischen Republik, Abfangkörper in Polen stationiert werden. Russland erklärte, seine eigenen Raketen würden durch das Abwehrsystem entwertet - und drohte seinerseits mit Aufrüstung.

Auch wenn das System im Ernstfall nicht so zuverlässig funktioniert hätte wie von seinen Planern erhofft, war der negative politische Effekt schon vor der Stationierung messbar. Genau das dürfte zu Obamas Entscheidung geführt haben.

Begründet aber wird der Schwenk mit einer neuen Analyse der iranischen Fähigkeiten. Ein mehrwöchiger Untersuchungsprozess soll ergeben haben, so ließ man über US-Medien schon vorab verbreiten, dass die Fähigkeiten des Iran, weitreichende Raketen zu entwickeln, die auch tatsächlich die USA treffen könnten, bislang überschätzt worden seien. Kritiker hatten lange darauf hingewiesen, dass der Schritt beim Bau von Kurz- zu Interkontinentalraketen ein qualitativer Sprung ist.

Tatsächlich dürften eher politische Kalkulationen die Entscheidung in Washington bestimmt haben. Die neue außenpolitische Riege der USA weiß, dass sie Moskau braucht, um ihre Agenda durchzusetzen. Dazu gehört Druck auf Iran, der ohne Russlands Zutun nicht wirksam sein kann. Dazu gehören tiefe Einschnitte in die atomaren Waffenarsenale der beiden größten Atomwaffenmächte. Dazu gehört aber auch die neue Afghanistan-Politik Obamas: Für die angestrebte intensivierte Kriegführung brauchen die USA und die NATO russische Unterstützung beim Nachschub durch die zentralasiatischen Republiken. Und sollte es eines Tages zu internationalen Verhandlungen über Afghanistan kommen, wird auch da ohne Russland nichts gehen.

Militärisch tut der Schritt den USA ohnehin nicht weh. Die angestrebte Konzentration auf Abwehrsysteme gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen ist eher im Sinne der Militärs. Für Interventionen im Nahen und Mittleren Osten ist es wichtig, den eigenen Truppen und regionalen Verbündeten das Gefühl von Schutz zu vermitteln. Auch die NATO treibt deshalb diese Projekte voran. Mit dem System MEADS ist auch Deutschland an einem solchen Abwehrprojekt beteiligt.

Das Projekt einer Raketenabwehr für das Festland der USA ist damit aber längst nicht beendet. Es wird auch unter Präsident Obama nicht komplett eingestellt werden. Zu hartnäckig hält sich der Mythos, dass die Furcht der Sowjets vor Ronald Reagans SDI-Projekt zum Ende des Kalten Krieg beigetragen hat. Und zu groß ist die Sehnsucht, die alte Unverwundbarkeit Amerikas wieder herzustellen.

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