Geschichte des Urheberrechts: Kopieren verboten

Die Debatte um Open Access und Kulturflatrate ist nur der neueste Zyklus des Streits um das Urheberrecht. Jede neue Technologie hat die Interessen von Verlegern und Produzenten bedroht.

War früher ein ideales Gerät, um Musik zu kopieren: Die Kassette. Bild: complize/photocase

Der Philosoph und Theologe Johannes von Salisbury, der die wichtigste mittelalterliche Staatslehre schrieb, zitierte 1159 zustimmend einen andern Mönch, der geschrieben habe, "wir seien gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres zu sehen." So entdeckten gelehrte Mönche in den Klöstern des Mittelalters die Abhängigkeit des Wissens vom tradierten Erbe. Trotz dieser Anerkennung der intellektuellen Leistungen von Vorfahren dachte damals aber niemand an ein daraus abzuleitendes Urheberrecht. Nicht einmal die Autorschaft des Individuums zählte im Mittelalter. Viele Werke nennen den Autor gar nicht oder nur versteckt.

Mit der Erfindung des Buchdrucks mittels beweglicher, metallischer Lettern durch Johannes von Gutenberg um 1440 in Mainz änderte sich nicht nur die Technik der Vervielfältigung von Texten radikal. Auch die Rechtslage änderte sich. Denn die neue Technik erlaubte eine viel größere Zahl von Kopien. Das Bücherdrucken wurde daher zu einem Wirtschaftsfaktor. Das Interesse der Buchdrucker, ihre Bücher vor Nachdrucken zu schützen, traf sich mit dem politischen Interesse der Landesherren, möglichst zu kontrollieren, was gedruckt wurde. So erhielten die Drucker obrigkeitliche Druckerlaubnisse ("Druckprivilegien"), die Landesherren kassierten dafür Gebühren und überwachten zugleich den Buchmarkt. Sie konnten so eine Art Zensur ausüben.

Die Druckprivilegien hatten aber den Nachteil, dass sie nur in einem Land galten, was in den kleinen deutschen Staaten der frühen Neuzeit keinen wirksamen Schutz vor Nachdrucken bot. Bücherschmuggel war während Jahrhunderten ein ebenso lukratives Geschäft wie in neuerer Zeit der Schmuggel von hoch besteuerten Zigaretten. An den Schutz der Rechte von Autoren dachte auch zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert niemand.

Noch der Naturwissenschaftler Isaac Newton (1643-1727) schrieb seinem Kollegen Robert Hooke am 5. Februar des Jahres 1675 fast wörtlich dasselbe wie Johannes von Salisbury 500 Jahre zuvor: "Wenn ich weitergehen konnte als Du und Descartes, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand." Urheberrechtlich relevante Ansprüche leitete er daraus aber so wenig ab wie der Philosoph John Locke (1632-1704). Dieser schrieb in seiner zweiten "Abhandlung über die Regierung" (1690) zum Zusammenhang von Arbeit und Eigentum: "Obwohl die Erde und alle niederen Lebewesen allen Menschen gemeinsam gehören, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum. (...) Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist." Für seine eigene intellektuelle Arbeit beanspruchte Locke dieses Eigentumsrecht aber noch nicht, obwohl die Logik seiner Argumentation zwingend in diese Richtung wies.

Das Recht von Autoren, Bücher drucken zu lassen, wurde in England erstmals 1710 im "Statute of Anne" gesetzlich festgeschrieben. Der volle Titel des Statuts belegt, dass man damit mehrere Zwecke verfolgte und unterschiedliche Interessen schützte: "An Act for the Encouragement of Learning, by Vesting the Copies of Printed Books, in the Authors or Purchasers of such Copies during the Times therein Mentioned." Die Regierung wollte demnach Wissen und Lernen fördern, abern auch Autoren und Käufer der Bücher für bestimmte Zeit vor illegalen Nachdrucken schützen. Die "Ermunterung" galt "gelehrten Männern, nützliche Bücher zu planen und zu schreiben", aber von Autorenrechten war nirgends die Rede. Die Schutzfrist für Bücher betrug nach dem Statut 14 Jahre und konnte um 14 weitere verlängert werden, sofern der Autor noch lebte. Als geschützt galten Bücher, die in das Register der Londoner Buchhändlergilde eingetragen waren. "Unerwünschten" Büchern konnte die Obrigkeit den Eintrag verweigern. Sie machte so Autor und Drucker recht- bzw. brotlos.

In der Französischen Revolution entstand 1791 zunächst die Rechtsfigur des "geistigen Eigentums" ("propriété littéraire et artistique") und zwei Jahre später das erste explizite Autorenrecht. Der Autor erhielt nun das Recht, den Druck und die Gestaltung seines Werks zu kontrollieren und wurde so zum Träger eines zivil- und strafrechtlich geschützten Eigentumstitels. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schufen fast alle europäischen Staaten einen ähnlichen Urheberrechtsschutz. Der Nachteil dabei: der Schutz blieb beschränkt auf einen mehr oder weniger großen Staat. Gegen Nachdrucke im Ausland konnten weder Autoren noch Verleger etwas unternehmen.

Erst 1886 kam es zur "Berner Konvention" über das Copyright-Zeichen © und damit zu einem international, aber noch keineswegs global geltenden Urheberrechtsschutz für Bücher (zunächst für 50 Jahre, später für 70 Jahre). Mit relativ kleinen Korrekturen und Anpassungen hatte dieser Urheberrechtsschutz fast hundert Jahre Bestand. Ein weltweit geltendes Urheberrechtsabkommen trat erst am 6. September 1952 in Kraft.

Die "Berner Konvention" galt noch nicht für Fotos. Die Fotografie wurde zwar zwischen 1826 und 1839 erfunden, aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Massenphänomen. Unter Urheberrechtsschutz kam sie 1907. Kurz zuvor entstanden der Urheberschutz für musikalische Werke (1903) und kurz danach der Verwertungsschutz (1915) für diese.

Alle medientechnischen Innovationsschübe nach dem Zweiten Weltkrieg von den Tonbandgeräten, Kleinfilmkameras, Tonkassetten, Fotokopiergeräten, Videorecordern, CD-Brennern und Handy-Videos bis zum Internet zogen und ziehen zwangsläufig Diskussionen über den Schutz von Urheberrechten nach sich, weil damit immer auch Kopiermöglichkeiten erweitert oder erleichtert werden.

Exemplarisch dafür war der Streit nach dem Aufkommen von relativ billigen Tonbandgeräten für den Hausgebrauch in den 50er Jahren. Zunächst versuchte die "Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte" (Gema), die Herstellung und den Verkauf solcher Geräte juristisch verbieten zu lassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) fand einen Weg aus dem Dilemma der konkurrierenden Rechte von Urhebern und der Gewerbefreiheit von Unternehmern - und zwar mit der Rechtsfigur der "Kopie zum privaten Gebrauch". Beim Verkauf von Tonbandgeräten wurde eine Geräteabgabe erhoben, die von einer neutralen Verwertungsgesellschaft unter die Rechtinhaber musikalischer Werke verteilt wird. Genauso verfuhr man auch im Falle der Ende der 60er Jahre aufkommenden Fotokopiergeräte und jüngst bei der Einführung einer Abgabe für CD-Rohlinge.

Während das Urheberrechtsgesetz von 1870 mit wenigen Ergänzungen bis 1966 praktisch unverändert blieb, musste es seit 1973 nicht weniger als sieben Mal angepasst werden an die medientechnologisch veränderten Produktions-, Kopier- und Verwertungsbedingungen. Die Intervalle, in denen solche Anpassungen - je nach Interessenlage - vorgenommen oder verhindert werden sollen, werden immer kürzer. Daraus erklärt sich auch eine gewisse Hektik der aktuellen Debatte, in der je nach Stimmungs- und Interessenlage der Untergang der Musikbranche, der Beginn unbeschränkter Gratiskultur oder das Ende des Urheberrechts beschworen werden.

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