Flucht nach Europa: Administrativhaft im "Welcome Center"

In den Gewässern um die Ägäisinsel Lesbos jagt die EU-Grenzschutzagentur Frontex Flüchtlinge, die dann dort interniert werden.

Junge Flüchtlinge protestieren in Lesbos mit dem Transparent "Wir wollen Freiheit". Bild: dpa

MYTILINI taz | Im Schutz der Dunkelheit kommen sie manchmal zu Hunderten. Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Afghanistan, Iran und Irak. Jede Nacht landen sie in vollbesetzten kleinen Boote an der Ostküste der griechischen Insel Lesbos. Am 1. August war der 16-jährige Ahmad dabei. Vor vier Monaten verließ er Afghanistan. Mit 50 anderen Papierlosen setzte der 16-jährige Paschtune aus der nur zehn Kilometer entfernten Türkei nach Lesbos über. 500 Euro musste jeder für die Passage bezahlen. Doch sie endete vorerst im sogenannten Welcome Center von Pagani, einem der völlig überbelegten Lager, in die der griechische Staat alle Papierlosen zur Registrierung in sogenannte Administrativhaft sperrt.

"Mit 150 Jungen waren wir in einem Raum, es gab zwei Toiletten, das Wasser lief über den Boden, viele mussten auf nassen Matratzen schlafen. Der Gestank war unerträglich", sagt Ahmad. Viele Häftlinge seien erkrankt.

Diese Woche reisten 500 Aktivisten aus ganz Europa nach Lesbos. Sie errichteten eine Zeltstadt südlich der Inselhauptstadt Mytilini, am Hafen bauten sie in einem Zirkuszelt ein eigenes "Welcome Center", mit Rechtsinfos, Essen und Kleiderspenden für ankommende Flüchtlinge auf. Seit Mittwoch beäugt sie rund um die Uhr die Polizei. Sie fürchtet, die Camper könnten das Präfekturgebäude besetzen.

"Hier auf Lesbos laufen gerade verschiedene Stränge des EU-Migrationsregimes zusammen", sagt Anne Morell von "kein mensch ist illegal" aus Hamburg. Das im beschaulichen Hafen liegende Schiff der europäischen Grenzschutzagentur Frontex verlasse "jede Nacht mit abgedunkelten Schweinwerfern die Mole, um im Grenzgewässer Jagd auf Menschen zu machen", sagt Morell. Frontex würde die Flüchtlingsboote orten, die griechische Marine dränge sie dann gewaltsam in türkische Gewässer zurück.

"Es gibt keinen legalen Weg, die Flüchtlinge zurückzuschicken", sagt Karl Kopp, der von Pro Asyl beim Camp ist. Die Türkei weigere sich, mit den EU-Grenzbehörden zu kooperieren. Die Küstenwache setze deshalb massiv Gewalt ein. Die Ägäis ist die letzte offene Flanke des europäischen Grenzregimes. Die Zahlen derer, die versuchen über die Kanarischen Inseln, die Straße von Gibraltar oder von Libyen aus das Schengen-Gebiet zu erreichen, gehen stark zurück, in Griechenland steigen die Zahlen stark. Dort gibt es praktisch keine Versorgung für Flüchtlinge, die Anerkennungsquote bei Asylanträgen ist fast null. Die Regierung hatte deshalb bisher illegale MigrantInnen bis auf eine Registrierung im europäischen Biometrie-Migrantenregister Eurodac und der vorübergehenden Internierung in Lagern wie Pagani weitgehend sich selbst überlassen. Sie konnte sich darauf verlassen, dass die meisten das Land schnell Richtung West- und Nordeuropa verlassen.

Nun macht die EU Druck. Das Dublin-II-Abkommen zwingt das Land, Flüchtlinge zurückzunehmen, die hier ihren ersten Behördenkontakt im Schengen-Gebiet hatten. Dies verschärft die Überwachung der griechischen Küste stark, sagt Morell. "Wer es trotzdem schafft, lebend auf die Insel zu kommen, wird in Knäste wie den von Pagani gesteckt, damit andere Flüchtlinge abgeschreckt werden."

Immer wieder zogen Demonstranten in den letzten Tagen dorthin und forderten Freiheit für die über 1.000 Internierten in dem für 300 Menschen ausgelegten Lager. 150 jugendliche Inhaftierte traten in Hungerstreik. Die Veröffentlichung eines mit einer eingeschmuggelten Kamera entstandenen Videos baute so viel Druck auf, dass die griechische Sektion des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) und der Präfekt von Mytilini in Zeitungsanzeigen Besserung versprachen. Am Montag besuchte der UNHCR-Vertreter in Griechenland, Giorgos Tsarbopoulos, das Lager. "Pagani entspricht keinerlei griechischen und europäischen Standards. Wir haben es hier mit einer Reihe von Rechtsbrüchen zu tun", so Tsabopoulos. 240 Flüchtlinge wurden entlassen, darunter eine Leukämiekranke und eine Frau samt ihrem zehn Tage alten Baby. Der Präfekt kündigte ein neues, offenes Aufnahmezentrum für Minderjährige an.

Weitere Videos und Neuigkeiten vom NoBoarderCamp 2009 finden Sie auch regelmäßig im Aktionsblog auf www.bewegung.taz.de

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