Fotokünstler über Bild-Konstruktionen: "Wissen über Bilder ist mein Material"

Thomas Demand baut Bilder nach, fotografiert die Attrappe dann wieder ab - und wurde damit zu einem der gefragtesten Fotografen der Gegenwart. Ein Gespräch.

Thomas Demand: "Natürlich sind meine Bilder fotogen, deswegen mach ich sie ja." Bild: dpa

taz: Herr Demand, es hat lange gedauert, bis Sie in Berlin gezeigt werden. Musste wirklich Udo Kittelmann als neuer Museumschef kommen?

Thomas Demand: Die Forderung kam nicht von mir. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, dass ich ausgestellt werde. Mit Udo Kittelmann verbindet mich eine längere berufliche Zusammenarbeit und wahrscheinlich inzwischen auch eine Art Freundschaft. Er war an meiner Arbeit interessiert, und so kam die Einladung zustande, 2006 im Frankfurter Museum für Moderne Kunst auf den Grafikzyklus "Apokalypse" (1942/43) von Max Beckmann zu reagieren. Seitdem blieben wir in Kontakt.

Die Forderung, dass Sie in Berlin gezeigt werden, kam aus der Öffentlichkeit. Sie hatten 2002 im Münchener Lenbachhaus ihre erste deutsche Einzelausstellung. 2005 hatten Sie im Museum of Modern Art in New York eine große Ausstellung mit 26 Arbeiten. Wie viele werden es jetzt in Berlin sein?

Dieser Text ist der aktuellen sonntaz vom 29./30.8.2009 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Thomas Demand, geb. 1964, ist einer der einflussreichsten und führenden Künstler unserer Zeit. Er arbeitet mit Fotografie, kommt aber ursprünglich von der Bildhauerei. Für seine Arbeiten baut er zunächst ein fotografisches Bild im Maßstab 1:1 als Modell nach, das er dann wiederum fotografiert. Das Modell vernichtet er im Anschluss. Am 18. September eröffnet in der Neuen Nationalgalerie in Berlin die bislang größte Präsentation seines Werkes hierzulande. "Nationalgalerie" (bis 17. Januar 2010) ist keine retrospektiv angelegte Überblicksschau, sondern konzentriert sich auf diejenigen Arbeiten in Demands facettenreichem Werk, die gesellschaftliche und geschichtliche Ereignissen seit 1945 in Deutschland aufgreifen.

Es werden wohl 38 Arbeiten sein. Wir zeigen erste Bilder von 1992 oder 1993 und bis zu fünf ganz neue Arbeiten. Das Schwergewicht liegt natürlich auf den letzten vier bis fünf Jahren. Die Ausstellung heißt "Nationalgalerie" und ist eine thematische Retrospektive. Das allerdings sollte man in Anführungsstrichen lesen. Es ist keine Ausstellung, die Sie über 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall oder die Bundestagswahl belehrt.

Was war die Idee?

Bei jeder größeren Ausstellung beginnt man mit der Auswahl der Werke, und ich dachte über die gängigen Kriterien nach. Deshalb schien mir der Titel des Gebäudes ein guter Ausgangspunkt. Stellen Sie sich vor, Sie geben zum Beispiel Ihren Namen bei Google ein, und dann kommen alle möglichen Ergebnisse hoch, darunter auch ein Kaninchenzuchtverein in Niederrhein, also auch Dinge, die Sie nicht unbedingt mit "Werneburg" in Verbindung brachten.

Wir werden all die Verbindungen mit dem Begriff "Nationalgalerie" nicht mal im Ansatz beantworten können, da die zur Auswahl stehenden Bilder ja aus meinem Werk stammen. Aber da meine eigene Arbeit mit unserer Vorstellung von Geschichte zu tun hat, ist es ein interessanter Kontext für eine Retrospektive. Ich will damit sagen, dass die assoziative Kombination von Bildern eine durchaus vertraute Methodik darstellt. Und da das Ergebnis nicht mit einer vorab festgelegten Prämisse entstanden ist, sondern in der Rückschau auf meine Arbeit der letzten 15 Jahre, ist es sicherlich ein sehr subjektiver Eindruck, der hier vorgetragen wird.

Auch bei den neuen Arbeiten?

Ich habe zunächst nachgesehen, welche Bilder unter dem Auswahlkriterium von Bildern, die auf dieses Land zurückgehen, in die engere Wahl kämen, das waren dann doch etwa 30 bis 40 Prozent meines Gesamtwerks. Neben ganz bekannten Motiven sind viele Sachen dabei, die eher privat sind, manche wiederum haben eher etwas Allgemeineres wie die "Lichtung", die jeder zumindest im Ausland als typisch deutsches Motiv identifizieren würde. Ich habe allerdings auch gemerkt, dass ich noch neue Arbeiten zeigen möchte. Größtenteils stammen die aber aus meinen Archiven. Sie behandeln also Themen, die mir schon einmal aufgefallen sind, aber ich dann wieder aus den Augen verlor.

Ist der Filter eine Art roter Faden durch Ihr Werk? Denn die Motive, die Sie über die Jahre bearbeitet haben, sind doch sehr unterschiedlich?

Auf der Suche nach dem rotem Faden bin ich natürlich selbst noch. Das ist ja kein strategisches Spiel. Wenn Sie mit 22 Jahren anfangen, wissen Sie nicht, was Sie in 30 Jahren interessieren wird. Nein, der rote Faden, der findet sich im Vorgehen, zum Beispiel Bilder von Bildern zu machen - und eben keine Bilder dessen, was man als Realität versteht.

Das stimmt aber nicht für Ihre Arbeit "Embassy", die die nigerianische Botschaft in Rom zeigt, von der es vor "Embassy" keine Bilder gab.

Die Ausnahme bestätigt die Regel. Seit Beckmann, der in seiner "Apokalypse" ja buchstäblich den biblischen Text illustriert hat, habe ich mich mit dem Verhältnis von Bild und Text etwas eingehender beschäftigt. Bei "Embassy" nahm ich mir vor, ähnlich wie Daumier den Don Quixote illustriert hat, diesen Ort, an dem angeblich der Beweis für Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen gefunden wurde, mit Bildern zu illustrieren, die meiner Fantasie entsprungen sein könnten, die aber über die spezifische Form, wie die Dinge dargestellt sind, so glaubwürdig scheinen, dass sie auch als Reportage durchgehen könnten.

Ihre letzte Arbeit, die viel Aufmerksamkeit bekam, war die fünfteilige Serie "Presidency", die anlässlich der Präsidentschaftswahlen im Auftrag des New York Times Magazine entstand. Was bedeutete dieser Auftrag, für den Sie das Oval Office bebilderten, für Sie?

Ich würde mich nicht wundern, wenn ich einen ganzen Haufen der Bilder, die mich fasziniert haben, das erste Mal im New York Times Magazine gesehen hätte, der Mutter aller Magazine, die dem Bebildern journalistischer Inhalte allergrößte Aufmerksamkeit widmet. Es ist eine Quelle; wenn die Quelle jetzt zu mir kommt und mich fragt, ob ich etwas beitragen möchte, da kann ich nicht nein sagen. Zumal ich nicht gefragt werde, weil ich ein einigermaßen bekannter Künstler bin, der das Heft wertvoller macht, sondern weil meine Arbeit ganz bestimmte Merkmale aufweist, die für den Text gebraucht werden, der sich mit normalen Bildern nicht wirklich bebildern lässt.

Der Text ist sehr grundsätzlich; ein Essay von abstrakter Qualität, über Ursprung und Entwicklung der amerikanischen Verfassung und deren mutwilliger Verstümmelung durch die Regierung Bush. Dort wurde offensichtlich wirklich verstanden, warum ich diese Art von Fotos mache.

Warum?

Sehen Sie, es gibt da einen ganzeinfachen Test. Sie halten in Argentinien einen Workshop und fragen die Studenten, ob sie den Tunnel zeichnen könnten, in dem Lady Di starb. Alle können ungefähr aufzeichnen, wie die Einfahrt in den Tunnel in Paris aussah. Das können die natürlich nicht, weil sie dort waren, sondern weil sie die Bilder und Filme des Unfalls gesehen haben. Und dieses Wissen ist für den Künstler etwas sehr Verlockendes; es ist, was früher der Gips war, aus dem Sie eine Daphne-Figur geformt haben.

Sie bauen für Ihre Fotografien also eher Modelle von Wissen als Raumbilder auf?

Mich interessiert an den Bildern, dass Sie sie gesehen haben und dass ich sie gesehen habe oder dass ich weiß, dass Sie sie gesehen haben könnten. Selbst wenn Sie sie nicht gesehen haben, wissen Sie wenigstens, dass ich und andere sie gesehen haben. Das klingt nach Donald Rumsfeld, vielleicht auch trivial. Es macht einen großen Unterschied, ob Sie in einer Ausstellung Dinge sehen, die Sie nie gesehen haben können, oder ob Sie Dinge finden, die Ihnen vertraut scheinen, die sich in irgendeiner Weise an Ihre Erinnerungsfähigkeit wenden. Mich interessiert, wie kommen diese Bilder zu mir? Auf welchen Wegen? Warum bleiben sie hängen?

Anders als früher, als es immer nur das Einzelbild gab, zeigen Sie inzwischen auch Serien. Wird dadurch das Motiv nicht wichtiger als das Bild selbst?

In "Nationalgalerie" wird es hauptsächlich Einzelbilder geben. Aber an einem gewissen Punkt kanonisierte sich in der Rezeption meiner Arbeit eine ungute Wechselwirkung - nämlich auch auf mich selbst. Ich dachte, dass ich vielleicht wieder mehr Aufmerksamkeit auf die Objekte richten sollte, die vor der Kamera entstanden. So begann ich, Filme zu machen, das Bild zu verflüssigen, buchstäblich, wenn Sie an meine Animation "Regen" denken. Ich wollte die Emphase von der fotografischen Oberfläche weglenken und den Blick des Betrachters der Erfahrung annähern, die ich habe, wenn ich durch das Modell gehe. Ähnliches verfolge ich mit der mehrteiligen Bebilderung eines Raums, wie in "Embassy", "Klause" und "Presidency".

Die Oberfläche Ihrer Bilder ist wirklich auffällig clean, sauber, sehr fotogen.

Natürlich sind meine Bilder fotogen, deswegen mach ich sie ja. Wenn Sie sagen, clean und sauber, dann kommt so eine urteilende Färbung mit ins Spiel. Aber Sie lassen, wenn Sie das Band hier abtippen, auch viel weg. Das hat mit unseren Erinnerungstechniken zu tun, dass wir auf bestimmte Sache mehr Wert legen als auf andere, sonst würden wir auch wahnsinnig.

Und wenn ich das durch meine exzentrische Art, die Dinge nachzubauen, sichtbar mache, dann geht es mir im Grund um die Frage, was die Erinnerung braucht, um animiert zu werden, denn wir konstruieren uns die Bilder dazu jedes Mal aufs Neue. Sie sollen sich im Klaren darüber sein, dass Sie hier nur eine Attrappe angucken, die Ihnen genauso viele Informationen liefert, wie Sie brauchen, um etwas wiederzuerkennen oder sich hineinzudenken.

Braucht es heute dafür speziell die Fotografie? Ist sie als Kunst so wichtig wie nie zuvor, wie der Kritiker Michael Fried sagt, der sich auch ausgiebig mit Ihrem Werk befasst hat?

Fotografie ist doch, wie Friedrich Merz das wohl sagen würde, das visuelle Leitmedium unserer Zeit. Wenn Sie heute Malerei anschauen, dann vergleichen Sie sofort. Sieht es aus wie eine Fotografie? Ist es nach einer Fotografie gemalt? Alles wird am Fotografischen gemessen. Trotzdem findet sich seit einigen Jahren nur sparsam Theoriebildung. Da will Michael Fried einhaken mit dem Wissen desjenigen, der von der Malerei kommt. Die malerische Autorenschaft, deren theoretische Analyse er betreibt, erkennt er auch bei bestimmten Fotografen, etwa bei mir.

Jetzt hat der Schriftsteller Botho Strauß zu jedem Ihrer Bilder einen kurzen Text als Bildlegende verfasst. Stellt sein Name nicht "Nationalgalerie" in eine konservative Ecke?

Pflegen Sie noch solche Dichotomien? Zuallererst mal ist er ein brillanter Schriftsteller! Ich habe ihn genau deshalb eingeladen. Und wer sagt eigentlich, dass er und ich einer politischer Meinung sein müssten? Solches wird in unserer Ausstellung auch gar nicht verhandelt. Es ist ja auch keine Wahlveranstaltung, und angesichts der Subtilität seiner Gedanken scheint mir so eine Qualifizierung auch eindimensional. Aber selbst der Besucher, der solche Kategorien für ausschlaggebend hielte, kann ein wenig Komplimentarität schon aushalten. Sie vergeben sich wirklich nichts, wenn Sie da ein bisschen herumlesen.

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