Die taz-Leichtathletik-Serie (1): Dopingspiele 1984

Auch ohne die Staatsdoper aus dem Ostblock, die die Spiele 1984 boykottierten, geriet das olympische Muskeltreffen von Los Angeles zur verseuchten Veranstaltung.

War hoffentlich nicht dopingversucht: Ulrike Meyfahrt, Hochsprung-Olympiasiegerin von 1984. Bild: dpa

Bang blickte mancher vor knapp drei Dekaden dem Jahr 1984 entgegen. Hatte nicht ein gewisser George Orwell seinen Roman über einen finsteren Überwachungsstaat "1984" genannt? Bebenden Herzens blätterte der eine oder andere Zeitgenosse die Seiten um, in denen von "Newspeak", "Doublethink" und "Big Brother" die Rede war, und verglich die fiktionale Welt mit der ihm real erscheinenden.

Wer damals Olympia guckte, dem erschien die Sportwelt ganz in Ordnung. Die - wie man heute weiß und damals ahnte - hormonell vermännlichten Sportlerinnen aus den realsozialistischen Staatsdoping-Imperien hatten aufgrund des Boykottbeschlusses ihrer Pharma-Zahlmeister dem olympischen Muskeltreffen fernbleiben müssen. Seoul 1988 mit dem Fabelweltrekord Ben Johnsons und der unmittelbar folgenden positiven Dopingprobe war vier satte Jahre entfernt.

Gedopt waren die Olympioniken der "glücklichen Spiele" von Los Angeles dennoch. Wie das Westküstenblatt Orange County Register Anfang August dieses Jahres berichtete, fielen bei internen Dopingtests des Olympischen Komitees der USA (USOC) im Vorfeld der Spiele mindestens 34 Leichtathleten als positiv auf. In ihren Urinproben fanden sich Spuren von Steroiden.

gegen die Sicherheitsüberprüfungen von Journalisten berichtet die taz zwar nicht von der Leichtathletik-WM in Berlin, doch die olympische Kernsportart soll nicht zu kurz kommen.

Gegen keinen dieser Athleten wurden Verfahren eröffnet, keine einzige Sperre wurde verhängt. Die Sportler wurden vielmehr darauf hingewiesen, dass fortgesetztes Doping zu positiven Tests bei den US Trials (den Qualifikationswettkämpfen für Olympia) und den Olympischen Spielen selbst führen könnte. Um das zu verhindern, schickten Trainer und Sportler ihre Urinproben in das frisch eröffnete Kontrolllabor in Los Angeles. Sie wollten herausfinden, welche Mittel in welcher Dosierung wann abgebaut sein würden.

Doch selbst diese Feinabstimmung half nicht immer. Die Speerwerferin Karin Smith berichtete vier Jahre später von mindestens 17 positiven Fällen bei den Trials. Eine der 17 ist Diane Williams. Die WM-Dritte über 100 Meter im Jahr 1983 hatte Anabolikaspuren im Urin.

Williams sagte 1989 in einer Anhörung vor der Antidopingkommission des US-Kongresses unter Vorsitz des heutigen Vizepräsidenten Joe Biden aus: "Mein Manager sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Er würde mit einem Anwalt reden, der meinen Fall vertreten würde. Ich erinnere mich, wie ich eine Woche später einen Brief vom USOC bekam, in dem stand: Liebe Miss Williams, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Analyse ihrer B-Probe negativ war."

Der Anwalt hatte ganze Arbeit geleistet. Williams gab vor der Biden-Kommission zu, in jener Zeit Wachstumshormon und Steroide genommen zu haben. Wachstumshormon sorgt - neben Training - für die wunderbar athletischen, extrem fettfreien Körper, über die Fernsehkameras so gern fahren. Gegen Wachstumshormon gab es damals keinerlei Testverfahren. Auch heutzutage noch ist der Missbrauch schwer nachweisbar.

Steroide allerdings führen zu ästhetischen Beeinträchtigungen. "Ich bekam eine tiefere Stimme und entwickelte männliche Körperbehaarung mit Schnurrbart und Flaum am Kinn", berichtete Williams der Biden-Kommission. Alarmiert waren Sportler und Funktionäre aber weniger von diesen Nebenwirkungen, sondern vom Pioniergeist des Kölner Antidopingexperten Manfred Donike. Der hatte eine neues Nachweisverfahren für Steroide entwickelt, das erstmals bei den Panamerikanischen Spielen 1983 zum Einsatz kam. Als ein kanadischer Gewichtheber ertappt wurde, verließ ein Dutzend US-Leichtathleten blitzartig das Hotel. Die Vorkontrollen im Olympiajahr sollten solche Panikreaktionen verhindern.

Die Berichte über diese "Sicherheitschecks" wurden von den US-Funktionären im Giftschrank verschlossen. Die medizinisch gut eingetunten Leichtathleten holten 16 der insgesamt 83 Goldmedaillen der US-Olympiamannschaft. Addiert man die 34 Dopingfälle der Frühjahrskontrollen mit den mindestens 17 positiven Befunden bei den Trials, kommt man auf insgesamt 51 schwerwiegende Dopingindizien bei der dominierenden Mannschaft in der Königsdisziplin des olympischen Sports.

Carl Lewis gewann damals übrigens die 100 Meter in 9,99. Ben Johnson wurde Dritter in 10,22. Ein Jahrzehnt später berichtete die BBC, dass neun positive Dopingproben von den letzten Wettkampftagen der Spiele in Los Angeles juristisch nicht ausgewertet werden konnten, weil beim IOC während eines Büroumzuges die Unterlagen verloren gegangen waren. Ist zu hoffen, dass die IAAF anlässlich der Weltmeisterschaft 2009 eine kompetente Chefsekretärin nach Berlin entsandt hat.

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