Free Jazz in der Pfütze

SEHR SEHENSWERT Jacques Doillons „Mes Séances de Lutte“ (Panorama Special) beginnt als Kitsch und endet als temporeiches, zeitgemäßes Darsteller- und Körperexperiment

Das Ende lässt einen mit der Frage zurück, ob die gegenseitige Vernichtung per Lustmord tatsächlich schon abgewendet ist

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Überaus seltsam: Was als trivialer Geschlechter- und Psychokitsch beginnt, verselbstständigt sich zu einem radikalen Körperballett. Ein Mann und eine Frau. Er schön bärtig und immer sexy mit Lehm und Moltofill oder so was beschmiert – er bessert das Haus aus, in dem er einhütet –, sie blond, staksig und ein bisschen unordentlich, schlägt sich nach dem Tod des Vaters mit ihren Geschwistern herum. Am Anfang spielen diese überflüssigen Erzählungen noch eine gewisse Rolle, wenn die beiden in schnippischen Dialogen umeinander herumflirten, dann werden sie fallen gelassen. Mit ihnen geht die unerträgliche Inszenierung der Schauspieler in den Kulissen unter: Ständig pult und fummelt er an irgendwelchen Spachteln, Zigaretten herum, begrabbelt sie die Requisiten der vollgestellten Kleinbürgerhäuser, und keiner von beiden kann einen straighten Satz herausbringen, ohne schon wieder zehn Meter zurückgelegt zu haben. Das unterscheidet sich von Rentner-TV nur durch den Grad der Manieriertheit.

Doch dann passiert etwas Seltsames. Der Film gewinnt mit einer simplen Idee massiv an Tempo und Intensität. Mann und Frau agieren ihre Spannungen nämlich jetzt in kleinen Ringkämpfen aus, bei denen auch so ziemlich jede andere Gemeinheit erlaubt ist. Das wird von dem bärtigen Mörtelmann, der im Hauptberuf Lektor ist, mit viel Therapiejargon und patronisierendem Gehabe eingeführt, von ihr mit kleinmädchenhaft koketter Biestigkeit beantwortet, was aber nichts daran ändert, dass die Schauspieler hier sichtbar abgehen und die ganzen dämlichen Requisiten, die bis dahin nur Anlass für doofes Dialogballett gewesen waren, sich jetzt eindrucksvoll als schmerzhafte Hindernisse entpuppen. Nach einer guten Stunde liegt sie einmal nackt in der Badewanne, und ein unbarmherziges Licht zeigt der stolzen Kamera den mit blauen Flecken übersäten Körper.

Was James Thiérré und Sara Forestier miteinander anstellen, ist der Traum jedes Artaud-begeisterten Improv-Theaters der siebziger Jahre: sich ohne Rücksicht auf Knochen und Etikette aneinander austoben und dennoch etwas darstellen, etwas zur Sprache bringen. Was könnte das sein? Nun, ja, hier hat der Film seine großen Schwächen. Denn dass dies hier etwas anderes sein soll als der ewige heterosexuelle Geschlechterkampf, bei dem trivialerweise männliches und weibliches Prinzip im wahrsten Sinne aneinandergeraten, wird nicht ersichtlich. Und was an anderen vulgärpsychoanalytischen Ideologemen kurzfristig seine Kandidatur anmeldet, ist auch nicht viel besser.

Doch macht das alles nicht viel. Was die beiden im prügelnden Übergang von Verstocktheit in Wut und Sex zusammenspielen, wirkt ziemlich selbst entwickelt, ist trotz der Rhetorik der eh immer karger werdenden Dialoge weniger eine Ausgeburt des Therapie-Universums als reichlich eigenständiger darstellerischer Free Jazz. Auch die Idee zu einem vorläufigen Höhepunkt mit Sex in einer unglaublich schlammigen Schlammpfütze ist weit besser, als sie klingt. (Die kluge, auf Augenhöhe agierende Kamera hat daran einen hohen Anteil.)

Während die naheliegenden Deutungen und reichlich kultureller Müll an einem vorbeiziehen, sieht man etwas ganz anderes, nämlich eine durch einfallsreiches, hochgepitchtes, abstraktes Schauspiel entstehende Geschichte zeitgenössischer, radikaler Körper. Deren Ende dann auch weder Heilung noch Glück, weder Katastrophe noch Frieden bringt, sondern einen mit der Frage zurücklässt, was für Steigerungen den beiden noch bleiben und ob die gegenseitige Vernichtung per Lustmord tatsächlich schon abgewendet ist.

Es ist selten, dass ein Film auf einer Ebene komplett und mit hohem Tempo an allen Sinnstiftungsangeboten vorbeirast, die er auf anderen Ebenen immer wieder aussendet. Dass zur gleichen Zeit eine Degeto-Nachmittagssoap, ein missglücktes Nebenwerk eines Rohmer-Nacheiferers und eine Oshima-meets-Artaud-Tour-de-force ablaufen, dass Schauspieler im selben Film erst so spielen wie mit trübsten Genre-Verpflichtungen und später brachliegende Krawall-Techniken einer Subkultur- und Surreal-Moderne mobilisieren, ist sehr sehenswert.

■ Heute, Friedrichstadt-Palast, 18 Uhr; 12. 2., CinemaxX, 10 Uhr; 13. 2., Cubix, 17 Uhr; 14. 2., International, 14 Uhr