Kolumne Zeitschleife: Generelle Besonnenheit, kruzifix!

Wegen Sommerpause zur Nervenregeneration heute eine Geschichte aus dem Frühling.

Es ist Freitag. Ich gehe in ein Geschäft am Marienplatz, um ein Kreuzerl für die Erstkommunion meines Neffen am Sonntag zu kaufen. Es ist der vierte Laden, den ich aufsuche auf der Suche nach einem halbwegs dezenten Wandkreuzchen. An einer Wand hängen in Mengen Kruzifixe an kleinen Häkchen. Eine Verkäuferin sagt mir, die Preise stünden meist hinten drauf, was ich als Aufforderung verstehe, die Kreuze gegebenenfalls umzudrehen.

Ich entdecke eines, das ganz okay aussieht, strecke die Hand aber nach einem der anderen aus, um nach Art des mündigen Kunden Preise zu vergleichen. Es dreht sich zwischen meinen Fingern, rutscht vom Haken und fällt auf den Steinboden, wo es reichlich melodramatisch zersplittert. Mit zwei Wandkreuzchen - einem Haftpflichtfall plus einem Geschenk - sowie einer empfindlich belasteten EC-Karte verlasse ich den Laden.

Jetzt muss ich auf dem schnellsten Weg ins Büro. Als ich am Hauptbahnhof den Tram-Bahnsteig betrete, fährt gerade ein Feuerwehrauto in die Bayerstraße hinein, aus der sonst meine Tram herauskommt. Der Bahnsteig füllt sich mit Menschen, aber es kommt keine Tram mehr aus der Bayerstraße. Wild entschlossen, hier nicht zu versauern, stürme ich hinunter in die U-Bahn - die U 1 zum Rotkreuzplatz, von da mit Tram oder Bus! Am Rotkreuzplatz ist das Trambahngleis freigelegt und wird gerade saniert. Und der Bus? "Do fahrt koa Bus", sagt ein Mann in Baustellenkluft. Da drüben fährt der Ersatzbus 112 - nur laut Aushang nicht in meine Richtung. Ich latsche im Nieselregen los.

Nach einem knappen Kilometer, kurz vor dem Ziel, überholt mich der Ersatzbus 112 und hält genau vor dem Verlag. Ich gehe in das Bürohaus hinein. Ich will mir eine Flasche Wasser aus dem Automaten ziehen, habe aber zu meinem Erstaunen nur noch 18 Cent bei mir. Ich möchte mir eine Tasse Kaffee zapfen.

Die Maschine ruht augenscheinlich intakt auf der Anrichte der Büroküche. Ich stelle eine Tasse unter den Hahn, drücke den Knopf. Die Maschine rattert, pumpt und klackert. Kein Kaffee kommt, dann blinkt das rote Licht.

Ich will nun endlich anfangen, ein letzte Woche geführtes Interview abzuhören. Ich schalte den Mindisc-Rekorder ein. Der sagt, er könne die Disc nicht lesen. Ich lege eine andere Disc ein, und die kann er auch nicht lesen. Der Minidisc-Rekorder ist offenbar kaputtgegangen, irgendwann in den letzten Tagen, die er unbedrängt in meiner Schublade gelegen hat. Über diese zur Unzeit sich einstellende Fehlfunktion gerate ich nun so in Rage, dass ich mit einer wringenden Handbewegung meine kürzlich zu einem in Trage- und Hörkomfort überdeutlich spürbaren Preis fehlgekauften Ramsch-Kopfhörer vernichte.

Nach diesem klimaktischen Akt der Zerstörung brandet langsam Ruhe in mir auf. Und Zuversicht. Aus Schaden wird man klug, und es kommt der Tag, bin ich mir jetzt sicher, da werde ich mein Geld nicht mehr in zerdepperte Sakralgegenstände, sondern in nachhaltig hochqualitative Kopfhörer und funktionierende Minidisc-Geräte stecken. Und keine Eile auf dem Weg ins Büro und kein Chaos und keine Last-Minute-Einkäufe, und Informiertheit über den Baustellenersatzverkehr der Münchener Verkehrsgesellschaft und generelle … Besonnenheit! Und im Laufe des Nachmittags repariert einer die Kaffeemaschine und jemand leiht mir 12 Cent und sein Minidisc.

Am Abend gehe ich mit positiven Vibes ins Wochenende. Die Tüte mit dem Kreuzchen für Sonntag vergesse ich im Büro.

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