Freitagsgebet mobilisiert Opposition im Iran: Hunderttausende auf den Straßen

Hunderttausende Oppositionelle haben sich anlässlich des Freitagsgebets in Teheran versammelt. Ex-Präsident Rafsandschani forderte in seiner Predigt die Freilassung verhafteter Regimegegner.

Islamische Tradition: Freitagsgebet im Iran (Foto vom Juni). Bild: dpa

TEHERAN dpa/afp/ap | Der iranische Ex-Präsident Akbar Hashemi Rafsandschani hat beim Freitagsgebet zu einer offenen Debatte über die umstrittene Wahl aufgerufen. Er rief in Teheran auch zur Freilassung von Oppositionellen auf, die bei den Protesten festgenommen wurden. Es gebe eine Krise im Iran, sagte Rafsandschani in seinem Freitagsgebet, das vom staatlichen iranischen Fernsehen nicht übertragen wurde. Er warf der iranischen Führung vor, nicht genügend Toleranz gegenüber dem eigenen Volk zu haben.

In der iranischen Hauptstadt haben sich Hunderttausende Oppositionelle versammelt, um das Freitagsgebet Rafsandschanis zu hören. Im Umkreis von drei Kilometern um die Universität, wo Rafsandschani sprach, habe sich eine Menschenmenge gebildet, berichteten Augenzeugen. Die meisten trugen die Farbe grün als Zeichen des Protestes.

Rafsandschani gilt als Unterstützer des Reformpolitikers Mir Hussein Mussawi, der bei der Präsidentschaftswahl Mitte Juni nach dem umstrittenen offiziellen Angaben gegen Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad verloren hatte. Vor dem Freitagsgebet wurde die Universität von einem Großaufgebot der Sicherheitskräfte abgeriegelt.

Der Freitag ist Versammlungstag der islamischen Gemeinden in aller Welt. Der Besuch des Freitagsgebetes ist Pflicht für jeden männlichen gesunden Muslim im Erwachsenenalter. Der Tag soll ausgewählt worden sein, weil er auch Markttag war. Das Freitagsgebet besteht aus den eigentlichen Gebeten und der Predigt eines Imams (Vorbeters). Der erste Teil ist religiös geprägt, Koranverse werden rezitiert. Den zweiten Teil bestimmen soziale und politische Themen. Ursprünglich eine religiöse Zeremonie, hat das Freitagsgebet vor allem im Iran nach der islamischen Revolution von 1979 einen politischen Charakter erhalten.

Drohung des Geheimdienstes

Rafsandschani begann mit einem Aufruf an die Anhänger Mussawis, die friedliche Atmosphäre des Freitagsgebets nicht durch Slogans gegen die Regierung zu stören. "Lasst uns die Gelegenheit nutzen, eine bessere Zukunft für unser Land zu schaffen, und die Probleme zu lösen", sagte Rafsandschani.

Der iranische Geheimdienst warnte nachdrücklich vor einer Störung des traditionellen Freitagsgebetes. "Die Leute sollten achtgeben, dass es dabei nicht zu unangemessenen Vorfällen kommt", zitierte die Nachrichtenagentur Fars Geheimdienstchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehei am Donnerstag mit Blick auf mögliche Ausschreitungen bei der Veranstaltung in der Teheraner Universität, die traditionell ein Podium für das konservative Establishment ist.

Die Opposition wirft der Regierung vor, die Wahl am 12. Juni manipuliert zu haben. Tatsächlich gibt es viele Hinweise auf systematische Wahlfälschungen. Mussawi war nach der Wahl mehrfach bei den anschließenden Massenprotesten aufgetaucht, jedoch waren seine kurzen Ansprachen dabei kaum zu hören gewesen, und das staatliche Fernsehen im Iran hatte sie nicht übertragen. Er will Berichten zufolge nun eine Oppositionsallianz bilden, um seine Proteste gegen die Regierung Ahmadinedschad fortzusetzen.

Bereits am Donnerstag wurden neue Zahlen zu Opfern bei der Niederschlagung der Wahlproteste bekannt. Nach Angaben eines internationalen Juristenkomitees wurden 300 Menschen getötet, Tausende verletzt und 10.000 Oppositionelle verhaftet. Staatliche iranische Medien meldeten bislang lediglich sieben Tote am 15. Juni und mindestens zehn weitere Opfer sowie 100 Verletzte am 20. Juni.

Im internationalen Juristenkomitee IJC haben sich namhafte europäische Menschenrechtsanwälte wie der Franzose William Bourdon und der Vizepräsident der Berliner Anwaltskammer, Bernd Häusler, zusammengeschlossen. Neben juristischem Beistand für die Verhafteten planen sie, den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzuklagen. Mitinitiator des IJC ist der Nationale Widerstandsrat des Irans (NWRI). Die Angaben über die Opfer der Protestniederschlagung basierten auf Zeugenaussagen, Informationen der Familien sowie Filmaufnahmen, sagte NWRI-Präsidentin Maryam Rajavi.

Eine Anklage Ahmadinedschads sei möglich, weil sich die Teheraner Regierung massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht habe, sagte IJC-Mitgründer Bourdon. Auch wenn dem Präsidenten keine aktive Rolle beim Vorgehen der Sicherheitskräfte nachgewiesen werden könne, sei er wegen seiner Passivität verantwortlich und müsse zur Rechenschaft gezogen werden.

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