Zossener gegen Nazi: Steine des Anstoßes

Ausgerechnet vor dem Café eines Neonazis in Zossen wurden Gedenksteine zur Erinnerung an ermordete jüdische Mitbürger verlegt. Das gab Streit.

Zwei Gedenksteine wie die hier abgebildeten aus Osnabrück lösten in Zossen den Streit aus. Bild: dpa

ZOSSEN taz | "Schwachsinn, Alter!", ruft eine schwarz gekleidete Mittzwanzigerin. "Werdet ihr wenigstens dafür bezahlt?", schiebt sie beim Aussteigen aus ihrem dunkelblauen Mittelklassewagen hinterher. Dann ist die Dame mit den tiefschwarz gefärbten Haaren und dem mehrfach gepiercten Gesicht in einem Geschäft verschwunden. Bedröppelt stehen Jörg Wanke und Kurt Liebau auf der anderen Straßenseite. Die beiden Männer halten ein gut drei Meter langes Spruchband in Hüfthöhe. "Zossen zeigt Gesicht für Demokratie" steht darauf. Natürlich bekommen Jörg Wanke und Kurt Liebau für ihren Einsatz kein Geld.

Brandenburg: Im Jahr 2008 ist, entgegen dem Trend auf Bundesebene, die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten in Brandenburg im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Pro eine Million Einwohner gab es 28 Fälle von Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund - das waren neun weniger als 2007. In allen anderen östlichen Bundesländern stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr dagegen an.

Sachsen-Anhalt: Hier gibt es, relativ gesehen, die meisten Gewalttaten dieser Art: Auf eine Million Einwohner kommen 42 solche Delikte.

Zossen: In Zossen soll am Montag (8.6.2009) ein Initiativtreffen der Bürgerinitiative "Zossen zeigt Gesicht" und der Amadeu Antonio Stiftung stattfinden, um auszuloten, wie eine "Bürgerstiftung Zossen" und ein "Haus der Demokratie" in Zossen entstehen könnten. So sollen im geplanten Haus der Demokratie ein offener Jugendraum, eine Geschichtswerkstatt und eine "Demokratieschule" aufgebaut werden.

Wanke ist Versicherungsmakler, Liebau Inhaber einer Computerfirma. Die beiden Männer sind Bürger der Kleinstadt Zossen, die malerisch im brandenburgischen Grün südlich von Berlin liegt und rund 17.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Hier lebt auch seit etwa drei Jahren der Holocaust-Leugner Rainer Link. Er hatte sich in der Berliner Straße, einer Art Einkaufsmeile Zossens, ein Häuschen gekauft und dort ein etwas ärmliches Internetcafé eröffnet. Inzwischen hat Link den Betrieb des Cafés eingestellt, wohnt aber noch in dem Haus Nr. 11 der Berliner Straße.

Bis vergangenen November ahnte kein Zossener etwas von der politischen Gesinnung des Neubürgers. Damals wurden direkt in den Bürgersteig vor Rainer Links Café zwei Stolpersteine eingelassen. Die Aktion war Teil eines internationalen Projekts des Künstlers Gunter Demnig zur Erinnerung an Juden, die durch die Nazis ermordet wurden. Der rechte Cafébesitzer flippte bei der Verlegung der Gedenksteine aus: Er pöbelte, dass er diese Messingplatten nicht haben wolle, und verletzte sogar einen Angestellten der Stadt bei dem Versuch, diesem eine Kamera zu entreißen.

Für manche scheint Link seitdem so eine Art Held zu sein. Als die gepiercte junge Frau nach ihrem Einkauf wieder ins Auto steigt, betont sie, dass sie "den Mann total in Ordnung" findet: "Er macht nüscht Verbotenes." Corinna oder "Stucki" aus Wünsdorf, wie sich die 22-jährige Frau nun vorstellt, hat auch nichts dagegen, dass Link den Holocaust leugnet: "Na und, wo liegt das Problem?"

Was steckt hinter dieser Geschichte? Neonazis in der ostdeutschen Provinz, die sich frech breitmachen, während der Rest der Bevölkerung schweigt oder insgeheim sogar zustimmt?

Um eine solche Geschichte zu erzählen, wäre Zossen nicht der geeignete Ort. Denn die Stolperstein-Affäre hatte Folgen. Link, der nach eigenen Angaben in Westberlin ab 1972 "Elektrotechnik, Sprachen, Marxismus und Bier" studierte, kam auf die Idee, die ihn störenden Gedenksteine direkt vor seinem Haus zu verdecken: mal mit einem Bierkasten, mal mit einem Christbaum oder einem Zeitungsständer. Zwischen Link und der Stadtverwaltung entwickelte sich eine Art Kleinkrieg. Sie erlaubte ihm zwar schriftlich, einen Christbaum und einen Zeitungsständer vor seinem Haus aufzustellen, die Stolpersteine dürften aber nicht bedeckt werden. Auch die örtliche Brauerei untersagte ihm, dafür einen Bierkasten zu benutzen, der Axel Springer Verlag drohte gar mit rechtlichen Schritten.

Link wehrte sich auf seine Weise. Einmal stellte er ein Bild des Holocaust-Leugners Richard Williamson ins Schaufenster seines Cafés, dann lud er zu einer "77-, 88- !, 99-Cent-Party" ein - "88" ist im Neonazi-Code die Abkürzung für "Heil Hitler". Im Internet gab er ein zweiseitiges "Schmähblatt Zossen" heraus, bei dem, als "html" geöffnet, "Heil Hitler" zu lesen war. Das Schmähblatt trug den Namen "Schmaz", angelehnt an die ihm kritisch gegenüberstehende Regionalzeitung Märkische Allgemeine (MAZ). Motto der Publikation von Rainer Link: "Gegen Mahnmalismus und Gedenkknechtschaft". Link wurde wegen geschichtsrevisionistischer Sprüche und der Leugnung des Holocaust schon zweimal zu Geldstrafen verurteilt, ein Urteil ist noch nicht rechtskräftig, gegen ein anderes hat er Revision eingelegt.

Man könnte das alles als Provinzposse eines Spinners abtun. Allerdings wäre das unpassend, denn Link pflegt engen Kontakt zu dem gerade zu zwölf Jahren Haft verurteilten Obernazi Horst Mahler. Es gibt Bilder, die Link mit Mahler bei einer Minidemonstration gegen die Erinnerung an den Holocaust zeigen. Die Nazitruppe "Freie Kräfte Teltow-Fläming", eine sogenannte freie Kameradschaft, ging bei Link ein und aus. So erzählen es aufmerksame Beobachter. Link selbst ist übrigens zu all dem nicht zu sprechen. Er reagiert weder auf Anrufe noch auf mehrfaches Klopfen an seiner Haustür.

Der jüngste Coup des Zossener Rechtsextremen: Er hat an sein Haus ein mit 42 Schrauben befestigtes Spruchband gehängt. Darauf steht, weiß auf rot: "12 Jahre für eine Meinung." Gemeint ist das Urteil über Mahler, auch wenn das nicht nachzuweisen ist. Das könnte ein Vorteil sein für Link. Der Nachteil: "Da weiß kein Mensch etwas mit anzufangen", sagt Pastor Andreas Domke, der wenige hundert Meter von Links Haus im Pfarrhaus wohnt. Domke ist Kreisjugendpfarrer; vor 20 Jahren betete er in der Berliner Gethsemanekirche für Freiheit in der DDR.

Die rechte Szene hat durch Link einen gewissen Auftrieb erhalten. Am 17. Dezember 2008 demonstrierten ungefähr 25 Nazis in Zossen - eine Art Gegendemo zur Gedenkminute der Stadt in Erinnerung an die Holocaust-Opfer. Und am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, fand ebenfalls eine Kundgebung der Rechten statt. Offiziell ging es natürlich nicht gegen das Erinnern an den millionenfachen Mord an den Juden Europas, sondern um Kaiser Wilhelms II. Geburtstag.

Gleichzeitig aber regte sich in Zossen Gegenwehr: Solange die Rechten marschierten, wurden die Straßenlaternen auf dem Marktplatz abgeschaltet, auch die Gewerbetreibenden löschten in ihren Läden das Licht. Die Nazis standen im Dunkeln.

Am 27. März fand außerdem ein Bürgerfest statt, mit dem die Stadt ein Bekenntnis zu ihrer Vielfalt abgab. "Das zeigte eine neue Kultur, bei der man merkt: Es macht Spaß, miteinander zu leben", freut sich Pastor Domke. "Das war fast ein Wunder." Die parteilose Bürgermeisterin Michaela Schreiber hat höchstpersönlich Bettlaken besprüht und aus ihrem Dienstzimmer gehängt: "Kein Platz für Extremisten", lautete eine Aufschrift. Und: "Nazi raus aus Zossen" - "Nazi", wohlgemerkt, nicht: "Nazis".

In ihrem Büro im Rathaus betont Michaela Schreiber, dass sie das bürgerschaftliche Engagement gegen die Rechten brauche, da die Verwaltung den Kampf gegen das rechte Denken "nicht von Staats wegen verordnen kann". Michaela Schreiber durfte zu DDR-Zeiten nicht Jura studieren, weil sie als aufmüpfig galt. Wohl auch daher rührt bei ihr die klare Trennung zwischen Staatsmacht und Bürgergesellschaft.

Etwas skeptischer äußert sich Versicherungsmakler Wanke. Er steht noch immer mit seinem Transparent gegenüber dem Café in der Berliner Straße. Nach dem denkwürdigen Auftritt der 22-jährigen "Stucki" zugunsten des rechten Cafébetreibers sagt er: "Link wird innerhalb von Zossen von manchen immer noch als Opfer betrachtet." So komme es vor, dass einige Menschen in der Stadt seinen Mitstreiter Kurt Liebau, der sich für die Stolpersteine ausgesprochen hat, für den eigentlich Schuldigen und Unruhestifter halten. Etwas Angst hat er schon, das ist zu merken, mit Liebau das Plakat für ein tolerantes Zossen direkt vor Links Café hochzuhalten. Dann aber lacht er: "Komm, Kurt, uns kennen sie sowieso."

Seit ein paar Wochen gibt es eine neue Entwicklung: Mit einem Stein schlugen Unbekannte die Schaufensterscheibe des Internetcafés ein. Seitdem hat Rainer Link seinen Laden geschlossen und mit dicken Spanholzplatten verriegelt. Wer den Stein geworfen hat, weiß niemand. Vielleicht war es sogar einer seiner rechten Kameraden, so wird spekuliert, weil Link sich offensiv zu seiner Homosexualität bekennt.

Wichtiger als solche neuen Volten der Geschichte ist Andrea Nienhuisen vom "Mobilen Beratungsteam Trebbin" das Bürgerengagement in Zossen: "Da ist etwas in Gang gekommen, was wir sehr positiv bewerten." In den Nachbargeschäften der Berliner Straße will sich allerdings niemand der Presse gegenüber zu dem Holocaust-Leugner äußern.

Der Kölner Künstler Gunter Demnig scheint sich in vielen Jahren Gelassenheit angeeignet zu haben. Mittlerweile hat er etwa 20.000 Stolpersteine in ganz Deutschland verlegt. Er kennt solche Störaktionen wie in Zossen. Von seinen Steinen seien erst 300 beschädigt worden, in Ost und West, in der Stadt wie auf dem Land. Gäbe es keine Empörung mehr, meint er, "dann hätte ich was falsch gemacht".

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