Autorin Judith Hermann: Alles über Alice

Mit ihrem Erzählungsband "Sommerhaus, später" wurde Judith Hermann zur Stimme ihrer Generation. Nun las sie aus ihrem neuen Buch "Alice".

Die Kommentare gingen am Buch vorbei. Doch Judith Hermann bewahrte Haltung. Bild: dpa

Der Sound einer Generation. Das Lebensgefühl des neuen Berlin. Geschichten, erzählt wie mit halb geschlossenen Lidern. Als vor elf Jahren Judith Hermanns erster Erzählungsband "Sommerhaus, später" erschien, wurde die damals 28-Jährige zum Wunder unter den Fräuleinwundern und mit Etikettierungen versehen, die sich oft mehr aus ihrem Autorenfoto und den medialen Inszenierungen drumherum zu speisen schienen als aus Hermanns melancholieumflorten Erzählungen selbst.

Diesen Ballast hat Hermann mit sich rumzutragen. Dass es ein Ballast ist, wurde spätestens klar, als 2003 ihr zweiter Erzählungsband "Nichts als Gespenster" erschien, auf den Teile der Kritik ziemlich verschnupft reagierten. Ist man für das Hermann-Gefühl oder dagegen, diese Frage zog sich unterschwellig durch die Besprechungen. Sechs Jahre lang, in Literaturbetriebskreisen eine halbe Ewigkeit. Wenig überraschend also, dass zur ersten Lesung aus ihrem neuen Buch "Alice", das am 4. Mai erscheint, das Literarische Colloquium Berlin (LCB) am Mittwochabend rappelvoll war.

Die Liste der Literaturkritiker war angemessen lang, und fast wäre es hier und da zu kleinen Handgreiflichkeiten gekommen, weil diejenigen, die nur noch auf den improvisierten Gartenstühlen, halb zwischen Gang, Bar und Tür geklemmt sitzen konnten, sich der freien Sicht auf die lang entbehrte Autorin beraubt sahen.

Das LCB ist kein Ort für Skandale, deshalb erschöpften sich die Platzstreitigkeiten bald in empörtem Getuschel. Es ist aber eben auch kein Ort für große Inszenierungen, eher einer der intellektuellen Sezierungen. Dafür, dass man sich darüber gar nicht erst hinwegtäuscht, sorgt das traditionell gleißend helle Operationssaallicht, dem die Autoren auf dem Podium genauso wie das Publikum ausgesetzt sind.

Ausgesetzt trifft die Sache ganz gut. Zwei Stunden lang hatte sich Hermann nicht nur den Fragen von Moderatorin Maike Albath, sondern der Literaturkritiker Kolja Mensing und Hans-Ulrich Probst zu stellen. Dass es die erste halbe Stunde ausschließlich um die alten Kamellen: Autorenfoto, Sound der Generation und so weiter ging - geschenkt. Das muss vermutlich so sein, und da muss Judith Hermann nun wohl oder übel auch durch. Hermann (Ja, sie ist immer noch eigenartig schön. Ja, sie hat immer noch eine herbe, etwas verrauchte Stimme, obwohl sie angeblich aufgehört hat zu rauchen.) meisterte diesen Teil freundlich und souverän.

Seltsam wurde es, als man endlich zum Eigentlichen des Abends kam. "Alice", fünf Erzählungen, verbunden durch die Protagonistin und dadurch, dass in jeder Erzählung jemand stirbt, der ihr nahe ist. Vielleicht kann man es so eine Art puristische, pseudoredliche Ungeschicklichkeit der Literaturkritik nennen: Während Moderatorin Albath darum bemüht war, größere Bögen zu spannen und zu fragen, wie sich der Stil von Judith Hermann entwickelt habe, wie sich die Figuren und Themen verändert hätten, ob es gar eine neue Generation sei, über die hier geschrieben würde, verstieg sich Mensing mehr noch als Probst in geschmäcklerischen Detailkommentaren.

Ärgerlich war das nicht nur, weil die Kommentare mitunter ganz einfach hanebüchen und am Buch vorbei waren. Ärgerlich war es vor allem deshalb, weil die Zuhörer das Buch, das erst in zehn Tagen zu kaufen ist, ja noch nicht gelesen hatten.

Und so war es nicht allein dem grellen Licht im LCB geschuldet, dass Hermann ihre Gesprächspartner mehr und mehr mit irritiert zusammengekniffenen Augen ansah. Sie müsse sich offenbar für solche Gespräche erst wieder ein bisschen konditionieren, bemerkte sie gegen Ende ein wenig kühl. Man scheut sich ja geradezu davor, Judith Hermann nun gleich den nächsten Stempel aufzudrücken: Aber man musste wirklich Respekt davor haben, wie sie an diesem verrutschten Abend Haltung bewahrte.

Und die richtige Buchpremiere, die kommt ja auch erst noch, am 12. Mai im Berliner Radialsystem. Da wird es dann ja vielleicht etwas glamouröser werden.

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