Bürgerkrieg in Sri Lanka: Das Ende ist zum Greifen nah

Die Militäroffensive der Regierung in Colombo soll das Ende des Bürgerkriegs erzwingen. Doch noch kämpfen die tamilischen Rebellen weiter gegen die Regierungstruppen.

Zwischen den Fronten: Flüchtlinge aus dem umkämpften Rebellengebiet und Panzer der Armee in Putumattalan. Bild: reuters

DELHI taz | Es sind verstörende Szenen aus dem Ende einem der blutigsten Bürgerkriege Asiens: Zigtausende geschwächte, kranke und verletzte tamilische Zivilisten schleppen sich aus dem Gebiet der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) im Nordosten Sri Lankas. Sie gehen mit erhobenen Händen auf die Regierungssoldaten zu, die sie auffordern, sich auf den Boden zu setzen. Viele schwimmen durch Flüsse oder waten durch Sümpfe, um ihr Leben zu retten. Das Geschrei von Kindern ist auch auf zensierten Aufnahmen des sri-lankischen Staatsfernsehens allgegenwärtig. Mehr als 90.000 Zivilisten sollen seit Montag aus dem LTTE-Gebiet geflohen sein, heißt es dazu aus Colombo. Erst jetzt zeigt sich das volle Ausmaß der Tragödie, die sich hier seit Monaten abgespielt hat.

Ein Tiger ergibt sich nicht. Alle LTTE-KämpferInnen tragen eine Zyankalikapsel um den Hals. Bevor sie dem Feind in die Hände fallen, haben sie das Gift einzunehmen. Deswegen hat die Armee praktisch keine Gefangenen.

Die Kampfkraft der Tigers resultierte zuletzt aus ihrer Entschlossenheit, einen Tamilenstaat auszurufen. Für ein unabhängiges Tamil Eelam im Norden und Osten der Insel würden die Kämpfer den Tod in Kauf nehmen. Selbstmordattentate kosteten einige Politiker das Leben. Der prominenteste: Indiens Premier Rajiv Gandhi im Jahre 1991 als Rache für die indische Intervention 1986-1990.

Die LTTE kämpfte nicht nur gegen die singhalesische Regierung. Auch konkurrierende, tamilische Organisationen wurden blutig ausgeschaltet. RLD

Unterdessen dringt Sri Lankas Armee von mehreren Seiten noch tiefer ins Rebellengebiet vor, um die Anführer der Tamil Tigers festzunehmen oder zu töten. Dabei halten sich in dem winzigen Areal noch schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen auf, die nun völlig zwischen die Fronten geraten sind. Am Mittwoch gingen den Soldaten zwei hochrangige LTTE-Kader ins Netz: "Daya Master", der LTTE-Propagandachef und "George", der Übersetzer der Organisation, hätten sich den Soldaten gestellt und seien festgenommen worden, erklärte das Verteidigungsministerium in Colombo. Das militärische Ende der Tamil Tigers scheint damit tatsächlich zum Greifen nahe.

Doch noch dauern die Kämpfe an. Trotz des Aufrufs des UN-Sicherheitsrates zur Aufgabe haben die tamilischen Rebellen am Donnerstag weiter gegen die Regierungstruppen gekämpft. Sri Lankas Regierung hindert unabhängige Journalisten daran, sich vor Ort ein Bild von der massiven Militäroffensive zu machen, die im Propagandajargon "humanitäre Operation" heißt. Beobachter vor Ort beschreiben jedoch dramatische Szenen: Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen hätten seit Beginn der Massenflucht am Montag hunderte verletzter Zivilisten in der Stadt Vavuniya in der Nähe des Kampfgebiets behandelt, heißt es in einer Erklärung der Organisation. Die meisten Verletzungen stammten von Schrapnells und Landminen. "Immer noch treffen Busse mit Verletzten ein und laden Tote ab, die auf der Fahrt gestorben sind", sagt die Ärztin Karen Stewart in dem Bericht. Allein am Montag seien Dutzende toter Zivilisten vor dem Krankenhaus abgeladen worden. Nun müssten sich bereits mehr als 1.200 Menschen 400 Krankenhausbetten teilen.

Die Massenflucht der Zivilisten begann am Montag, nachdem Regierungstruppen am Montag einen beinahe vier Meter hohen Erdwall durchbrachen, hinter dem sich die LTTE verschanzt hatte. Auf den lebensgefährlichen Exodus der Zivilisten quer durch die Hauptkampfzone und über Minenfelder hat Sri Lankas Regierung seit Monaten hingearbeitet. Bereits vor einem halben Jahr hat Colombo Hilfsorganisationen dazu gezwungen, das Rebellengebiet zu verlassen. Es könne fortan nicht mehr für die "Sicherheit" der Mitarbeiter solcher Organisationen garantiert werden, hieß es damals aus Sri Lankas Hauptstadt. Seitdem wurden Konvois mit Lebensmitteln und Medikamenten immer häufiger daran gehindert, zu den tamilischen Flüchtlingen zu gelangen, die mehrmals vor den anrückenden Regierungstruppen geflohen sind.

Bereits vor einigen Wochen schrumpfte das Gebiet der LTTE auf nur wenige Quadratkilometer zusammen. Seitdem berichten Flüchtlinge, die von der Regierung ausgewiesene "Schutzzone" für Zivilisten werde permanent mit schwerer Artillerie beschossen, etliche Menschen würden getötet. Zugleich hätten LTTE-Kämpfer mehrfach Menschen erschossen, die fliehen wollten. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass seit Jahresbeginn mindestens 4.500 Zivilisten bei Kämpfen getötet worden und weitere 12.000 verletzt worden sind. "Es gab etliche Todesopfer bei dem Beschuss", sagte UN-Sprecher Weiss. "Wir können nicht klar sagen, von welcher Seite der Beschuss ausgeht, weil wir keinen Zugang zu der Region haben. Die Zahl der Toten geht aber sicher in die Tausende."

Verteidigungsminister Gotabhaya Rajapakse, der Bruder des Präsidenten, machte im Vorfeld des nahenden Sieges internationale Bemühungen um ein geregeltes Ende des Bürgerkrieges zunichte. Mehrfach erklärte er, mit den Rebellen werde nicht verhandelt; selbst wenn sie sich ergäben, würden ihre Anführer hart bestraft. Damit, darin sind sich viele Beobachter einig, hat er den Krieg unnötigerweise verlängert.

Damit endet der Bürgerkrieg in diesen Tagen so, wie er seit seinem Beginn vor 25 Jahren von beiden Seiten geführt wurde: äußerst brutal und ohne Rücksicht auf Menschenleben. Die LTTE um Rebellenchef Velupillai Prabhakaran, eine der brutalsten Rebellengruppen der Welt, hat sich Anfang der 80er-Jahre zunächst durch politische Morde an die Spitze der tamilischen Unabhängigkeitsbewegung gestellt und ab 1984 bis zu einem Fünftel Sri Lankas erobert. Dabei griffen die Tamil Tigers auf eine Mischung aus Guerillataktiken und Terror zurück: Sie griffen die schwerfälligen Kampfverbände der Regierungsarmee in mobilen kleinen Einheiten an. Deren Soldaten versetzten sie durch Massaker an singhalesischen Zivilisten und an gefangenen Kämpfern in Angst.

1987 handelte Rebellenchef Prabhakaran mit bis dahin unbekannter Grausamkeit in dem Konflikt: Damals steuerte Vallipuram Vasanthan, ein 21-jähriger LTTE-Kader, einen mit Sprengstoff beladenen Lkw in ein Armeelager auf der Jaffna-Halbinsel im äußersten Norden des Landes und tötete Dutzende Soldaten. LTTE-Guerillakämpfer überrannten daraufhin die Stellungen der schockierten Regierungssoldaten und metzelten die meisten von ihnen nieder.

Dadurch konnte die LTTE lange große Gebiete im Norden und Osten der Insel halten. Doch schon bald mündete Sri Lankas Bürgerkrieg in ein zermürbendes Patt: Keine der beiden Seiten war stark genug, den Gegner in die Knie zu zwingen. Bis Ende 2007 starben bei immer wieder aufflammenden Kämpfen etwa 70.000 Menschen.

Die Wende brachte das Jahr 2004. Damals sagte sich Vinayagamoorthi Muralitharan alias "Oberst Karuna", der LTTE-Chef im Osten des Landes, von Rebellenchef Prabhakaran los und übergab sein Gebiet der Regierung. Im Mai 2006 griffen Mitglieder der LTTE-"Sea Tigers" ein Boot der Beobachtermission für Sri Lanka (SLMM) an. Die EU setzte die LTTE daraufhin auf die Liste terroristischer Organisationen. EU-Staaten froren die Konten vermeintlicher Unterstützer ein und nahmen einige von ihnen fest. Damit versiegte ein beträchtlicher Teil der Gelder für Waffenkäufe. Doch Prabhakaran gab nicht nach. Er hoffte, in einem kommenden Krieg die Regierung zur Anerkennung seines autokratischen Ministaats "Tamil Eelam" zwingen zu können.

Seinen Counterpart fand er in Mahinda Rajapakse. Der Politiker ging 2005 mit der Ankündigung, er werde den Konflikt militärisch lösen, in den Wahlkampf um das Amt des Präsidenten. Dass er die Abstimmung mit hauchdünner Mehrheit gewann, verdankt er vermutlich seinem größten Gegner: LTTE-Chef Prabhakaran. Diplomaten in Colombo gehen davon aus, dass Rajapakse dem Rebellenchef einen Millionen-Dollar-Betrag gezahlt hat, damit er die Tamilen in seinen Gebieten nicht abstimmen lässt. Der LTTE-Chef soll von dem Geld Waffen gekauft und seine Kämpfer auf die Entscheidungsschlacht vorbereitet haben. Das Wettrüsten begann.

Rajapakse ließ 80.000 Mann für Sri Lankas Armee rekrutierten, die heute 230.000 Kämpfer umfasst. In China und Pakistan kaufte er große Mengen Waffen ein. Die Armee ging in Stellung. Anfang 2008 kündigte er den ohnehin brüchigen Waffenstillstand auf, die Großoffensive begann. Seitdem hat die Armee nahezu das gesamte, damals 12.000 Quadratkilometer große Gebiet von den Rebellen zurückerobert.

Sri Lankas Bevölkerung wird seitdem in einer bis dahin ungeahnten Propagandaoffensive in Kampfstimmung gehalten. Doch die Regierung lässt die Menschen im Dunklen über den Preis, den sie für den Krieg bezahlen: Sri Lankas Presse wagt es nach Überfällen und gezielten Morden an kritischen Journalisten heute kaum noch, zu fragen, wie viele Menschenleben die Neuauflage des Krieges gekostet hat. Die drängendste Frage ist mittlerweile, was mit den Tausenden tamilischer Zivilisten geschieht, die den Kriegskurs der beiden Anführer Rajapakse und Prabhakaran überlebt haben. Sri Lankas Regierung will sie vorerst nicht ohne Weiteres in ihre Städte und Dörfer zurückkehren lassen. Zu groß sind die Befürchtungen, die LTTE könnte inmitten der zerstörten Dörfer und Städte und aus den Traumata der Überlebenden wiederauferstehen.

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