Nazi-Hetzfilm "Jud Süß": Ein zerstörerisches Werk

Veit Harlans "Jud Süß" war der antisemitische Hetzfilm der NS-Zeit. Die Dokumentation "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" fragt, was das für die Familie Harlan bedeutet hat.

Veit Harlan: Hofpropagandist der Nazis. Bild: dpa

Gibt es Filme, die ein Leben zerstören können? Veit Harlans Machwerk "Jud Süß" (1940) hat zweifellos eine Menge dazu beigetragen, dem programmatischen und alltäglichen Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland eine "begründende" Erzählung zu liefern. Das war der Grund, warum Joseph Goebbels so großen Anteil an dieser Produktion nahm. Er wollte Ideologie in einer Narration verstecken: Das Kino erschien ihm dazu das geeignete Medium, und selbst Himmler gab damals eine Anweisung, "Jud Süß" der SS flächendeckend vorzuführen.

Inwiefern ein Propagandafilm aber tatsächlich Leben zerstören kann, verliert sich in den dicht verschlungenen Kausalketten der Verbrechen des Dritten Reichs. Die Person, die in Felix Moellers Dokumentarfilm "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" diese starke Formulierung verwendet, kommt denn auch nicht aus einem Zusammenhang der Anklage, sondern der Entschuldung. Kristina Söderbaum sagte 1973 in einem Interview: "Der Film hat unser Leben zerstört." Sie meinte damit ihr eigenes Leben und das ihres Mannes Veit Harlan und das ihrer Kinder und deren Halbgeschwister und noch der dritten Generation nach der großen Vaterfigur.

Sie alle treten bei Felix Moeller vor die Kamera. Aus ihrer Perspektive rollt der Regisseur noch einmal die Geschichte der schuldhaften Verstrickung Veit Harlans in die nationalsozialistischen Verbrechen auf. Das Bild von Kristina Söderbaum aus dem Jahr 1973 steht dabei in einem durchaus polemischen Kontext, denn Moeller zeigt unmittelbar davor, wie noch zu Lebzeiten des 1964 verstorbenen Veit Harlan tolle Partys gefeiert, Hummer in kochendes Wasser geworfen wurden. Das privilegierte Leben, das der Vater den Seinen während des Kriegs mit seinen Filmen garantiert hatte, wurde aufrechterhalten.

Veit Harlan wusste sehr wohl, was er tat, als er "Jud Süß" drehte. Selbst wenn er sich nach dem Krieg auf eine Zwangslage berief (er konnte den Auftrag bei Gefahr für sich und seine Familie nicht ablehnen, machte er geltend), so stand sein Schaffen doch mindestens im Zeichen eines gedankenlosen Effektprofessionalismus und mit "Jud Süß" unmittelbar im Dienste der Legitimierung dessen, was später die planvolle Vernichtung von Millionen Juden wurde.

Das Leben der Familie Harlan hat der Film in mehrfacher Hinsicht zerstört. Das schlechte Gewissen, das Veit Harlan und seine willfährige Frau, Hauptdarstellerin Kristina Söderbaum, haben mussten, hatte eine Außenseite dort, wo die Kinder, die vielfach selbst im Filmgeschäft waren, den Namen Harlan ablegen mussten - die Töchter aus der Ehe nahmen den Namen der Mutter Hilde Körber an. Sie hätten anders nicht reüssieren können. Der Name war belastet, auch wenn Veit Harlan selbst nach dem Krieg noch eine späte Karriere hatte, nachdem er vom Vorwurf der "Beihilfe zur Verfolgung" freigesprochen worden war.

Die eigentliche Zerstörung aber fand innerhalb der Familie dort statt, wo die Kinder unterschiedlich mit der Schuld des Vaters umgingen. Der 1929 geborene Thomas Harlan behielt den Namen bewusst bei und machte es zu seiner Lebensaufgabe, die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht nur zu dokumentieren (und literarisch wie filmisch zu verarbeiten), sondern vor allem auch juristisch belangbar zu machen. An einigen Stellen des Films von Felix Moeller wird der Bruch deutlich, den dies ausgelöst hat. Der Halbbruder Kristian findet es "schäbig", dass Thomas Harlan keine Ruhe geben wollte, während die Publizistin Jessica Jacoby findet, dass "der Wert von Thomas Werk nicht erkannt" wurde.

Jessica Jacoby ist die eigentliche Hauptfigur von "Harlan - Im Schatten von Jud Süß", denn ihr Großvater mütterlicherseits ist Veit Harlan, während ihr jüdischer Großvater väterlicherseits, Arthur Jacoby, von den Nationalsozialisten ermordet wurde. An der Stelle, an der dies klar wird, stellt Felix Moeller eine explizite Frage: "Der eine hat Propaganda für die Vernichtung des anderen gemacht?" "Ja, so kann man das sagen."

Die Formulierung ist um vieles genauer als die von Kristina Söderbaum, die Kultur von der verbrecherischen Tat unterscheidet und Veit Harlan in der bequemen Sicherheit eines "ja nur" Filmschaffenden gewogen hat. Dieses Verhältnis von Ästhetik und Ideologie ist der springende Punkt auch von Felix Moellers Film. Deswegen erscheint es ein wenig bedauerlich, dass er der Perspektive von Veit Harlans Familie so gut wie keine eigene Sichtweise von Harlans Werk beizustellen versucht. Er zeigt zwar viele Ausschnitte aus "Jud Süß", der in Deutschland nach wie vor für kommerzielle, unkommentierte Vorführungen verboten ist, aber er verlässt sich dabei ganz auf die unmittelbare Evidenz. Moeller verzichtet in seinem Film fast vollständig darauf, die Kontinuitäten in Harlans Werk über das Kriegsende hinaus zu untersuchen.

Der Münchner Filmhistoriker Stefan Drößler wird mit einigen Andeutungen in diese Richtung zitiert, damit hat es sich aber schon. Was Thomas Harlan die "chemische Herstellung von Gefühlen" nannte, wird nur gestreift und würde doch vermutlich ins Zentrum der Frage führen, inwiefern Filme ein Leben zerstören können.

Vielleicht hätte das aber auch den Rahmen einer Familiengeschichte gesprengt. Denn die Harlans (und Körbers) sind natürlich ein faszinierendes Thema über die vordringliche Fragestellung des Films hinaus. Es gibt die Verbindungen zu Stanley Kubrick, der eine Nichte von Harlan heiratete, und in Thomas Harlan einen starken Helden.

Felix Moeller achtet sorgfältig darauf, keine der Personen, die für ihn vor die Kamera treten, zu privilegieren. So kommt tatsächlich so etwas wie eine Familienaufstellung zustande, in der die subjektiven Zuspitzungen zum Beispiel von Kristina Söderbaum eine Korrektur erfahren, während man bei den Äußerungen von Thomas Harlan und Jessica Jacoby darauf verwiesen wird, in ihren Arbeiten aus eigener Initiative weiterzuforschen.

"Harlan - Im Schatten von Jud Süß" bezeugt darüber hinaus mit den Protagonisten aus der dritten Generation auch, dass sich dieser Fall gerade nicht für eine wie immer dramatisch überhöhte Perspektive eignet. Die Kindeskinder, die Moeller in Italien, Frankreich und Niedersachsen aufgesucht hat, stehen sicher nicht unter einem weiterwirkenden Verhängnis. Alice, Chester, Nele, Lotte und Lena Harlan sind Kinder jenes Europa, das aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen ist. Sie bezeugen alle jenes Maß an Distanz, das mit einer Gnade der späten Geburt nichts zu tun hat, sondern einfach mit der Tatsache, dass sich in einer Welt, die nicht mehr mythisch ist, Schuld nicht direkt vererbt.

Selbst Thomas Harlan, von dem seine Cousine Christiane meint, sein Leben sei an der Schuld des Vaters kaputtgegangen, würde diesen Gedanken vermutlich von sich weisen. "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" erzählt so auch eine Geschichte nicht von Entschuldung, sondern von konkreter Bewältigung von Vergangenheit. Wie man über einen Vater und Großvater wie Veit Harlan sprechen kann, ohne einfach einen symbolischen Patriarchenmord zu vollziehen oder aber die Genealogie allen anderen Ansprüchen überzuordnen, das ist die spannende Frage dieses Films. "Harlan - Im Schatten von Jud Süß" erzählt eine "verfluchte Geschichte" (Thomas Harlan), ohne sich selbst einen Fluch anzumaßen.

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