Porträt eines Priester-Anwärters: Mit brennendem Herzen

Wider den Trend: Johannes Prestele will Priester werden. In Passau bereitet der 25-Jährige sich auf das Amt vor, das er für das schönste und sinnvollste der Welt hält.

Den Verzicht auf Sex und eine eigene Familie redet niemand klein. Bild: Jörg Schlegel

In seiner Lieblingskneipe hängen die Gewölbedecken tief über den Gästen, durch den rauchigen Raum klingt das Gelächter vom Pokertisch nebenan. Die Anlage spielt ein uraltes Lied von den Ärzten. "Eigentlich wie in Berlin", sagt Johannes Prestele. Zufrieden wippt der 25-Jährige mit seinem Fuß im Takt. Berlin, das war seine Heimat für dreieinhalb Jahre, in denen er dort Politikwissenschaft studierte. Vor fünf Monaten ist Johannes nach Passau gezogen. Dort sind die Kneipen vielleicht ähnlich, aber sein Leben ein vollkommen anderes. Er ist ins Priesterseminar eingetreten.

Er weiß, dass er damit etwas Besonderes ist, auch wenn er das nie von sich sagen würde. Katholischer Priester zu werden liegt nicht im Trend. Seit Jahrzehnten werden es weniger junge Männer, die ihr Leben in den Dienst Gottes stellen und dafür auf vieles verzichten wollen. Dabei ist der Chef des Passauer Seminars, Regens Franz Haringer überzeugt, dass nicht etwa weniger berufen sind. Nur sei es heutzutage viel schwieriger, diesem Ruf zu folgen. "Die jungen Männer haben die ganze Welt zur Auswahl. Da ist es schwer, eine Entscheidung fürs Leben zu treffen."

Die erste Entscheidung haben die 26 Kandidaten in Passau mit ihrem Eintritt ins Seminar St. Stephan schon getroffen. Der Regen klatscht schwer gegen die alten Doppelfenster des Speisesaals und verschleiert die Sicht auf die noch schneebefleckten Berge, während sich die Seminaristen ihre Frühstücksbrötchen schmieren. Ihr Tag beginnt früh, kurz nach sieben feiern sie die erste Messe. Danach steht Stimmbildung und Sprachunterricht auf dem Plan, außerdem Bibelstunden und Vorträge zum Priestertum.

Das ehrwürdige Gebäude des Seminars verlassen sie an zwei Tagen, wenn sie in Kindergärten oder Altenheimen Sozialdienst leisten. Von der Abgeschiedenheit eines Klosters ist das Seminar trotzdem weit entfernt: Abends spazieren die Seminaristen durch die Altstadt, versammeln sich im Fernsehzimmer oder trainieren an den Geräten im hauseigenen Fitnessraum.

Nun sitzen die Priesterkandidaten an langen Tischen und trinken ihren Kaffee unter dem Blick einer fast lebensgroßen Christusstatue. Die andächtige Stille und der Weihrauchduft der Messe sind verflogen, die jungen Männer, meist in Jeans, Kapuzenpulli und Birkenstock, reden über die Abwrackprämie und über Fußball.

Wenn Johannes Prestele in seinem starken schwäbischen Dialekt über seinen Lieblingsverein 1860 München philosophiert, gibt es keine Verständigungsprobleme: Zwar füllen später oft Priester aus Lateinamerika oder Polen die Lücken in den Bistümern, doch während der Ausbildung sind die Bayern unter sich. Bis sie die Priesterweihe empfangen werden, vergehen noch mindestens sieben Jahre. Viel Zeit zum Nachdenken, in der einige es sich noch anders überlegen werden: Nur gut die Hälfte hält durch.

Dass Johannes sich schon früh mehr als andere für die Kirche interessierte, fiel selbst in seiner Heimat, einem katholischen 300-Seelen-Dorf im Allgäu, auf. Dabei übernahm er den Glauben seiner Familie zunächst ziemlich unreflektiert, wie er sagt. Wie sein älterer Bruder wurde er Ministrant und ging regelmäßig zum Gottesdienst. "Es kam mir auch nie der Gedanke, nicht hinzugehen, es waren ja schließlich alle dort", sagt Johannes.

Doch er blieb auch dabei, als für die Dorfjugend andere Dinge wichtig wurden: Während seine Freunde nach Partys ausschliefen, bat Johannes seine Eltern, ihn Sonntagmorgens zu wecken. Diese Begeisterung ist seitdem nur gewachsen. "Was ein Priester tut, ist für mich das Schönste und Sinnvollste auf der Welt", sagt Johannes. Ganz für die Menschen und für Gott da zu sein, sei ein absolutes Glücksgefühl, ein "Brennen im Herzen".

"Und jetzt staunen Sie mal!", sagt Brigitte Fruth. Ein vielstimmiges Ahhhhh klingt durch den Raum. Die Seminaristen stehen in einem Halbkreis um die Domkantorin und sind keineswegs erstaunt - diese Lockerungsübung gehört in ihr allwöchentliches Programm der Stimmbildung. Sie recken die Hände in die Luft, spitzen den Mund und atmen zischend aus. Albern? Vielleicht. Aber sie trainieren ihr wichtigstes Instrument fürs Predigen, da sind Eitelkeiten fehl am Platz.

Gewissenhaft absolvieren sie ihr Programm, doch manchmal herrscht eine schuljungenhafte Verschworenheit zwischen den Seminaristen. Dann sehen sie sich an und grinsen, fast kindliche Aufregung im Gesicht. Sie tun das, wenn sie einen unerwarteten weiblichen Gast in der Andacht entdecken, aber lieber noch während des Unterrichts. Wenn etwa der steinalte Spiritual in der Bibelstunde über den Philipperbrief spricht und mal wieder abschweift. Dabei sagt er kluge Dinge: "Der Berufszweifel", erklärt er den Priesteranwärtern, unterbrochen von seinem Husten, "ist wie der Katarr. Er kommt immer wieder und vergeht genauso."

Jedes Jahr treten rund 200 neue Priesterkandidaten in eines der 28 Seminare in Deutschland ein, Ende der Achtzigerjahre waren es noch über 600. Neben dem Einüben der Liturgie, Sprech- und Gesangstraining sowie sozialer Arbeit absolvieren sie ein reguläres Theologiestudium. Nach fünf Jahren werden sie zum Diakon, nach zwei weiteren zum Priester geweiht. An den Standorten Passau und Bamberg gibt es keine theologische Fakultät mehr, die Seminaristen absolvieren hier ein vorbereitendes Jahr, um danach in den umliegenden Bistümern zu studieren.

Johannes hat mehrere Jahre gezweifelt. Das Studium der Theologie begann er 2004 noch mit der Vorstellung, Pastoralreferent zu werden und später in einem Hospiz oder Gefängnis als Seelsorger zu arbeiten. "Theologie wollte ich unbedingt studieren, aber niemals Priester werden", sagt Johannes. Im Zölibat zu leben, war für ihn nach dem Abitur nicht vorstellbar. Doch bald wurde ihm klar, dass der Beruf des Pastoralreferenten nicht seiner Vorstellung entsprach. Zu viel Bürokratie und Organisationsdinge gehörten dazu. Deshalb entschied Johannes sich für ein Politikstudium in Berlin.

Doch gerade in der katholischen Diaspora in Berlin-Lichtenberg holte ihn sein Wunsch wieder ein. Er traf dort auf zwei Priesterseminaristen. "Das waren einfach ganz normale Leute. Die hatten den gleichen Musikgeschmack, trugen ähnliche Klamotten, und auch sonst habe ich gemerkt: Die sind so wie ich."

Das Zölibat ist natürlich nach wie vor ein Thema, das die Seminaristen beschäftigt. "Das ist auch gut so", sagt Pfarrer Heribert Schauer. Als Dozent für Pastoralpsychologie erklärt er den Seminaristen die Bedeutung der Psychologie für ihre Arbeit. Nicht nur im Umgang mit Ratsuchenden ist sie ein wichtiges Instrument, sondern auch für die Priester selbst. "Das Wichtigste ist, dass sie sich selbst kennen lernen", sagt Schauer. Den Verzicht auf Sex und eine eigene Familie redet aber niemand klein. "Wenn mir jemand sagt, mit dem Zölibat hat er kein Problem, kann ich das nicht glauben", sagt Johannes. Natürlich sei er auch mal verliebt. "Dann nehme ich diese Gedanken mit ins Gebet, das gibt mir Klarheit." Und die ließ ihn bisher nicht an seinem Weg zweifeln. "Ich hab nie heulend im Bett gelegen", sagt Johannes. Und: "Man sollte sich dann auch nicht ewig Gedanken machen."

Aber auch für ganz weltliche Dinge ist psychologische Beratung vonnöten. Die Arbeit wächst, weil immer mehr Pfarreien zusammengelegt werden, und ein Geistlicher manchmal vier oder fünf Gemeinden betreuen muss. Da bleibt keine Zeit mehr für Hobbys wie Imkerei oder Rosenzüchten. Pfarrer müssen physisch und psychisch belastbarer werden, so Schauer. "Da geht es auch um Fragen wie: Wie vermeide ich das Burn-out-Syndrom?" Auch Priester sind also vor Leistungsdruck nicht gefeit. Kein Wunder: Geregelte Arbeits- oder Urlaubszeiten gibt es nicht, in den Ruhestand geht ein Pfarrer nicht vor 70. Ein Arbeitsvertrag existiert nicht. Trotzdem ist ihr Job so sicher wie der eines Beamten, ihr Gehalt liegt auch entsprechend bei dem eines Studienrats.

Dass die Kirche sich auch als Wirtschaftsunternehmen begreifen muss, zeigt der Besuch der Consultingfirma McKinsey in Passau. Sie beriet das Bistum vor einigen Jahren, woraufhin knapp siebzig Stellen eingespart wurden, unter anderem durch das Outsourcen der Druckerei.

Wenn es nach dem Gehalt ginge, hätte Alois Emslander, 24, wohl in seinem alten Job bleiben sollen. In wenigen Jahren hatte er nach dem Realschulabschluss eine Karriere als Banker in Garmisch-Patenkirchen gemacht, war bereits stellvertretender Filialleiter. Jetzt sitzt er in seinem spartanischen Zimmer im Neubau des Priesterseminars und strahlt, er freut sich noch immer darüber, den Schritt endlich gewagt zu haben. Doch die Situation seiner zukünftigen Arbeitgeberin sieht er kritisch: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der man die Kirche gerade nicht braucht", sagt er in Hinblick auf die Wohlstandsgesellschaft. "Doch das wird sich wieder ändern."

Nicht geändert haben sich aber die Ansichten der Kirche zu den ewig kritischen Themen, und auch die Seminaristen sind ganz auf Linie. Frauenpriestertum? Kann es nicht geben, schließlich bestimmte Jesus die männlichen Apostel zu seinen Statthaltern. Mit Kondomen HIV bekämpfen? "Selbst wenn der Papst jetzt sagen würde: Benutzt Kondome! - Wieso sollten die Menschen dann plötzlich auf ihn hören?", fragt Johannes. Die Lösung sei ein Leben in ehelicher Treue, sagt er überzeugt.

Während sich hier immer mehr Menschen von ihr abwenden, wächst die katholische Kirche weltweit. Ohne den Zuzug von Priestern aus Lateinamerika, Indien oder Afrika geht es nicht mehr. "Aber das kann auf Dauer auch keine Lösung sein", findet Regens Haringer. Zwar stellt die Gemeinde in den Dörfern nach dem Weggang von Supermärkten und Bibliotheken oft die letzte Instanz der Dorfidentität dar, "doch man muss sich auch fragen: Ist es nicht schöner, wieder in vollen Kirchen zu beten, auch wenn man dafür weiter fährt?", fragt Haringer. Er hält weitere Zusammenlegungen in der Zukunft für nötig.

Leere Reihen sind in der Kapelle des Seminars kein Thema. Johannes ministriert an diesem Tag, Jeans und Turnschuhe verdeckt vom langen, weißen Gewand. Ein wenig nuschelig ist seine Stimme beim Vortragen des Hebräerbriefs, ihr fehlt noch die Schwere, die Betonung eines erfahrenen Redners. Weich hallt sein gerolltes R von den Wänden der Kapelle zurück.

Später am Abend werden die Seminaristen in der "Eucharistischen Anbetung" eine halbe Stunde vor der gewandelten Hostie - und damit dem Leib Christi - knien und schweigend zu ihm beten. Diese Begegnung wird für einige so intim sein, dass sie dabei lieber keine Besucher haben möchten.

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