Familienforscher über Geburtenraten: "Politik wirkt erst in 15 Jahren"

Ob sich Elterngeld und Kita-Ausbau auf die Geburtenzahlen auswirken, zeigt sich erst nach langer Zeit, sagt Familienforscher Hans Bertram. Denn Menschen reagieren nicht mechanisch auf Regeln.

Familienforscher Hans Bertram mit der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Bild: dpa

taz: Herr Bertram, noch vor wenigen Wochen verkündete Familienministerin von der Leyen gestiegene Geburtenzahlen. Jetzt hat das Statistische Bundesamt niedrigere Zahlen verkündet. Was ist da passiert?

Hans Bertram: Ende des Jahres 2008 sind einfach viel weniger Kinder zur Welt gekommen als im früheren Jahresverlauf. Für zwei Monate ein Minus von 8.000 Kindern vorherzusehen, würde wahrscheinlich übersinnliche Kräfte voraussetzen - solche Schwankungen sind statistisch normal.

Sieht man schon nach einem Jahr den Effekt politischer Maßnahmen?

Nein. Wir müssen zehn, vielleicht 15 Jahre warten, bis wir wissen, ob tatsächlich demografische Effekte durch eine neue Familienpolitik zu beobachten sind. Glücklicherweise funktionieren Menschen nicht so mechanisch, dass die Regierung nur einen Hebel umzulegen braucht und dann sagt: "Wunderbar, jetzt tut ihr das, was wir wollen."

Frau von der Leyen will mit Elterngeld und dem Ausbau der Kinderbetreuung die Geburtenzahlen erhöhen.

Das Elterngeld stellt einen Einkommensersatz für voll erwerbstätige Frauen dar. Der zweite Aspekt war, dass man die Care-Funktion in einer Gesellschaft der Berufs-Funktion gleichstellen wollte. Aber ich denke, wir haben erst im Jahr 2013 einen der Nachfrage entsprechenden Ausbau der Kinderbetreuung erreicht. Ob dann aber tatsächlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser klappt, wage ich nicht vorauszusagen.

Welche Faktoren beeinflussen die Geburtenzahlen? Könnte zum Beispiel die Finanzkrise einen Rückgang bewirken?

Historisch betrachtet hat zum Beispiel die Weltwirtschaftskrise Anfang der 20er-Jahre massive Einbrüche mit sich gebracht. Jetzt hoffen wir mal, dass diese Krise und daher die Einbrüche nicht so tief sind. Aber historisch hat es diese Einbrüche in Krisen immer gegeben.

Wie muss die Politik handeln, damit sie ihr Ziel schnell erreicht?

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist unzureichend. Die Vorstellung, wir würden mit der Vorschulbetreuung zu einem vernünftigen Vereinbarkeitskonzept kommen, halte ich für hoch problematisch. Das Zweite ist die Frage, wie wir eigentlich sicherstellen können, dass die Berufswelt die unterschiedlichen Zeitbedürfnisse von Kindern und Familien besser reflektiert, als das heute der Fall ist.

Wie steht Deutschland familienpolitisch im internationalen Vergleich da?

Wir sind, was die Geburtenraten angeht, europäisches Mittelmaß. Die nordeuropäischen Länder haben immer versucht, mit einer forcierten Gleichstellungspolitik die Partizipation der Frauen an der Gesellschaft so zu garantieren, wie Frauen selbst sich es wünschen. Da hat Deutschland noch einen weiten Weg vor sich.

Ist der demografische Wandel überhaupt noch zu stoppen?

Die Geburtenrückgang hat ungefähr 1972 eingesetzt. Jetzt fehlen natürlich die jungen Frauen, die Kinder bekommen können. Diesen Prozess, der vor zwei Generationen eingesetzt hat, den können Sie gar nicht mehr stoppen. Das hat mit der demografischen Entwicklung, was Geburten angeht, nur noch wenig zu tun.

Warum sollten sich Menschen überhaupt durch die Politik in ihrer Familienplanung beeinflussen lassen?

Nachhaltige Politik kann Rahmenbedingungen schaffen, die es den jungen Leuten ermöglicht, sich zu überlegen, wie sie die unterschiedlichsten Dinge realisieren können. Ob sich die Leute danach richten, ist eine individuelle Entscheidung - und auf die darf die Gesellschaft auch keinen Druck ausüben.

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