Ekel-Liste I: Küchentourismus in Pankow

Seit einem Monat warnt der Bezirk Pankow vor Restaurants, die nicht sauber sind. Die Ekel-Liste im Internet zeigt Wirkung: Viele Gäste wurden vergrault, sagen die Wirte, dafür kamen Journalisten.

Profi-Küchen: ständig unter Beobachtung Bild: DPA

Vermutlich hat sich Mian Latif seine 15 Minuten Ruhm etwas glorreicher vorgestellt. Wie viele Journalisten schon durch die Küche seines indischen Restaurants in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg gelaufen sind, kann er nicht mehr so recht sagen. 20 seien es bestimmt gewesen. Hinter dem Herd hätten sie ihre Kameras aufgebaut, sagt er und zeigt auf die Stelle, und davor und hinten im Arbeitsbereich und überhaupt. "Alles wollten sie sich angucken und alles haben sie fotografiert", sagt Latif.

Es ist Mittag im "Sangeet", viel Räucherstäbchenduft, wenig Gäste. Das sei jetzt oft so, sagt Latif. Nur noch halb so viele Leute wie früher kämen in letzter Zeit. Das läge an der Liste, sagt er.

Latifs Restaurant ist einer von knapp 40 Gastronomiebetrieben, die der Bezirk Pankow für alle einsehbar im Internet aufgelistet hat, weil sie bei Lebensmittelkontrollen negativ auffielen. Im Sommer 2008 fanden die Kontrolleure Ratten im Keller des "Sangeet". Die Ratten sind mittlerweile verschwunden, sauber genug ist es den Kontrolleuren aber immer noch nicht: "Kein Neubefall mit Schadnagern festgestellt, Grundhygiene noch nicht zufriedenstellend", steht auf der Liste.

Drei Angestellte sind an diesem Tag in der Küche des Restaurants, vor ihnen steht ein Werkzeugkasten. Irgendetwas muss dringend repariert werden, eigentlich ist Latif im Stress, trotzdem hat er kurz Zeit, über das Lebensmittelamt von Pankow zu schimpfen. Und über die vielen Journalisten, die erst seine nun saubere Küche fotografiert haben, um dann doch lieber Bilder mit Ratten oder Schimmel zu veröffentlichen.

Seit einem Monat gibt es die Negativliste inzwischen. Geändert hat sich seitdem vor allem eines: Nie haben sich mehr Journalisten für den Zustand in Berliner Imbissküchen interessiert - und nie standen die Küchentüren weiter offen.

Im "Thai Rice" schräg gegenüber in der Schönhauser Allee hat man sich auf den kulinarischen Katastrophen-Tourismus bereits eingestellt. Laut Lebensmittelaufsichtsamt gibt es hier unter anderem "Hefepilzbefall an Bierleitungen" und "fehlende Hygienekleidung". Das Stichwort "Negativliste" öffnet auch im "Thai Rice" sofort die Küchentüren. "Kommen Sie", sagt der Besitzer Thanh Mao Nguyen, und ohne abzuwarten, läuft er in die kleine Küche. Zehn Quadratmeter Edelstahl blitzen, auf der Arbeitsplatte liegt ein Putzlappen, als sei er Symbol der guten Vorsätze, Nguyen steht lächelnd im Zentrum des Raumes. Wie ein Reiseführer zeigt er auf die verschiedensten Dinge. "Diese Wand hier", erklärt er ernst, als handle es sich um Weltkulturerbe, "diese Wand war einmal schmutzig." Dann dreht er sich weiter, eine Fliese auf dem Boden wird erläutert, die Arbeitsfläche, der Herd.

Erst vor wenigen Tagen, sagt Nguyen, seien Gäste in dem kleinen Restaurant gewesen, die mit der Hand über einen Tisch gewischt hätten. Nach Staub hätten sie gesucht. Aber keinen gefunden. Dann, sagt Nguyen - fast ein bisschen enttäuscht -, hätten sie auch seine Küchentour ausgeschlagen und sofort bestellt.

Der Mann, der für den Besichtigungsboom in den Restaurantküchen verantwortlich ist, zeigt sich selbst von den Ausmaßen des Ganzen überrascht. Und man braucht ein bisschen Geduld, um das zu erfahren. Denn das Telefon von Lutz Zengerling, Fachbereichsleiter für Lebensmittelaufsicht des Lebensmittelaufsichtsamtes Pankow, ist ziemlich oft besetzt. "Ungelogen", sagt Zengerling, wenn man ihn dann erreicht hat, "ungelogen: Bis zum 18. März habe ich nichts anderes gemacht, als Presseanfragen zu beantworten."

Dass die Berliner Zeitungen sich für die Liste interessieren würden, das sei vorher klar gewesen, aber die enorme Aufmerksamkeit der überregionalen Presse habe man nicht erwartet. "Na ja, gut", sagt Zengerling dann doch, "hätte man eigentlich mit rechnen können, dass die Boulevardpresse das so ausschlachtet." Die Bild-Zeitung etwa warnte pflichtbewusst mit anschaulicher Fotostrecke: "So ekelig könnte es auch in Ihrem Stammrestaurant aussehen." Aber auch fast alle anderen großen Zeitungen und Privatsender berichteten im ersten Monat nach der Veröffentlichung über die Imbisse auf der Liste. Für die Zeit reiste eigens ein Journalist durch Pankow, bewaffnet mit der Liste als "Guide Michelin für Low-Budget-Esser mit Abenteuerlust und eisernem Magen". Den Kneipenbetreibern bleibt da nur der Zwangsoptimismus.

"Ist doch alles Werbung", sagt zum Beispiel Lewin Leyzer, Besitzer des "Dubliner Irish Pub" (laut Liste: "Bierkeller/Bierkühlanlage verschimmelt") in der Gleimstraße. "Na, was wollen Sie aus unserer Gammelküche?", nimmt Leyzer jetzt die Bestellungen auf. Die Gäste, sagt Leyzer, kämen wie vorher. "Kein Unterschied", das heißt doch, einen Unterschied gäbe es schon. Auch die Stammgäste machten jetzt oft blöde Sprüche und bestellten "sauberes Bier". Dabei steht Leyzer mit verschränkten Armen hinter dem Holztresen, und nach ein paar Minuten enttarnen sich die Witze als Galgenhumor. "Behördenscheiß" sei die Liste, sagt er. Aber man könne ja mal selbst in die Küche gucken, klar, wie zum Beispiel die Kollegen der Morgenpost. Oder gleich wie die B. Z. in der Küche des Bezirksamts Pankow gucken gehen. Dort habe man schließlich auch mal durchputzen müssen.

Oder noch besser: sich ganz anderen Dingen zuwenden. "Über was reden wir denn hier? Über ein Stück verschimmeltes Toast. Da, denk ich doch, gibt es Wichtigeres."

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