Staudämme in der Türkei: Im Euphrat verschwunden

In Istanbul startet der 5.Weltwasserkongress.Die Türkei baut seit Jahren Staudämme . So werden Spuren jahrtausendealter Kulturen versenkt und der natürlichen Wasserkreislauf blockiert.

Vom Ilisu-Staudamm bedroht: die mittelalterliche Stadt Hasankeyf. Bild: dpa

"Wir steuern direkt auf eine globale Wasserkrise zu", sagte Martin Geiger, Leiter des Bereichs Süßwasser des WWF Deutschland, im Vorfeld des heute in Istanbul beginnenden fünften Weltwasserforums. Insgesamt rund 20.000 Teilnehmer werden auf dem Forum erwartet - Vertreter von 120 Regierungen, NGOs, mehreren UN-Organisationen und der Weltbank. Es soll eine Istanbul-Deklaration verabschiedet werden, in der die unterzeichnenden Regierungen sich zur Verbesserung ihres Wassermanagements verpflichten. Kritiker sagen, es ginge bei dem Kongress vor allem darum, dass große Privatkonzerne ihre Anliegen promoten könnten. Die türkische Regierung hatte bereits im Vorfeld verhindert, dass die Unesco unter dem Stichwort "Wasser und Kulturgüter" Gegner des geplanten Staudamms in Hasankeyf referieren lassen wollte - das werden sie nun bei einem Alternativkongress von NGOs aus aller Welt an einer Istanbuler Universität.

"Es ist so falsch, was sie gemacht haben, es ist eine solche Schande." Hamza Yazgan stehen Tränen in den Augen, und er ballt die Fäuste, wenn er darüber spricht. Es geht um die Zerstörung seines Heimatortes Halfeti. Es war vor sieben Jahren, als das Wasser kam und rund die Hälfte des Städtchens unter den Fluten des neuen Stausees versank. Wer den Ort von früher nicht kennt, glaubt sich zunächst an einem idyllischen Plätzchen. Schöne alte Häuser stehen am Hang, und unten schimmert das türkisfarbene Wasser des Euphrat. Ein paar Motorboote warten auf Gäste für eine Rundfahrt, und in den Teegärten werden die Tische nach draußen in die Frühlingssonne getragen.

Doch schon auf den zweiten Blick wird es merkwürdig. Viele der schönen alten Steinhäuser sind verlassen und zeigen deutliche Spuren der Verwahrlosung. Die Gassen sind verödet, nur wenige Kinder spielen auf der Straße. Besonders obskur wird es am Seeufer. Überall stehen Schilder mit der Aufschrift "Schwimmen verboten". Den Blick über das Wasser schweifen lassend, sieht man ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt plötzlich die Spitze eines Minaretts aus dem Wasser ragen und versteht, warum der See für Schwimmer schnell zur Falle werden kann. Man könnte sich leicht an den Hausdächern und Baumkronen des ehemaligen Halfeti verletzen, die teils nur wenige Zentimeter unter dem Wasser vor sich hin rotten. Hamza Yazga zeigt auf eine Stelle im See und sagt, dass genau dort sein Garten liegt. "Alles ist hier gewachsen: Mandarinen, Feigen, Maulbeerbäume, Oliven und Gemüse, so viel du wolltest. Wir konnten vom Verkauf sehr gut leben." Yazgan hat damals vom Staat 50.000 Lira, rund 20.000 Euro, als Entschädigung bekommen. "So viel haben wir doch mit unseren Feldern und Gärten in ein paar Jahren erwirtschaftet", sagt er. "Nein, der Staudammbau war ein Verbrechen."

Der türkische Staat sieht das natürlich anders. Bereits in den 1950er-Jahren entstanden die Pläne für ein großes Entwicklungsprojekt zwischen Euphrat und Tigris. Die Pläne sehen vor, durch insgesamt 22 Staudämme am Oberlauf der beiden mesopotamischen Ströme und ihren Nebenflüssen Elektrizität zu gewinnen und große Flächen ausgedörrten Landes zu bewässern. Das GAP-Projekt ist mittlerweile gut zur Hälfte realisiert: Fünfzehn Dämme sind bereits entstanden, fünf große davon allein am Euphrat. Der letzte davon ist der Birecik-Damm, kurz vor der türkisch-syrischen Grenze. Oberhalb des Damms hatte sich der Euphrat über Millionen Jahre eine tiefe Schlucht gegraben, die nun weitgehend geflutet wurde. Dass einst zauberhafte Orte wie Halfeti oder die archäologische Stätte der ehemaligen römischen Großstadt Zeugma mit ihren weltberühmten Mosaiken dabei unter Wasser verschwanden, sei zwar bedauerlich, aber im Vergleich zum Gewinn doch unerheblich, meinen die Verantwortlichen der staatlichen Wasserbehörde DSI.

Mehr als 30.000 Menschen mussten wegen des Birecik-Damms umgesiedelt werden. Wer heute durch Neu Halfeti fährt, die Ersatzsiedlung, die der Staat auf einem Hochplateau außerhalb der Schlucht für die Bewohner des alten Halfeti gebaut hat, wird die Konsequenzen des Damms allerdings kaum "unerheblich" finden. Es ist eine traurige Ansammlung halbfertiger Betonhütten, ein tristes Straßendorf, in dem sich kaum neues Leben entwickelt. Die meisten durch den Staudamm Vertriebenen sind deshalb auch nicht in den Ersatzsiedlungen geblieben, sondern längst in den Slums der größeren Städte gelandet. Zurück geblieben sind die Alten, wie der 60-jährige Hamza Yazgan.

Was in Halfeti bereits traurige Realität ist, steht den Menschen am Tigris oberhalb des geplanten Ilisu-Staudammes erst noch bevor. Anlässlich der in dieser Woche in Istanbul stattfindenden 5. Weltwasserkonferenz organisierte der türkische Naturschutzverein Doga Dernegi eine Reise von Birecik aus durch die Tiefebene des nördlichen Mesopotamien. Durch diese älteste bekannte Kulturlandschaft der Welt geht es über Urfa, Diyarbakir und Batman bis Hasankeyf, dem Ort, der, wie Halfeti am Euphrat, zum Symbol des Widerstandes gegen den Ilisu-Staudamm am Tigris geworden ist.

Hasankeyf ist eine archäologische Schatztruhe. An einer Furt des Tigris gelegen, sind in dem Ort Zeugnisse menschlicher Besiedlung zu finden, die bis zu 10.000 Jahre alt sind. Alle Kulturen Anatoliens haben hier ihre Spuren hinterlassen, angefangen von frühen Höhlenbewohnern bis zu den Hochkulturen von Persien, Byzanz, den Seldschuken und den Osmanen. Antike Nekropolen, jahrhundertealte Moscheen, Reste einer einstmals reichen Stadt über dem Tigris, sollen in wenigen Jahren genauso geflutet werden wie die Felder und Häuser der heute in Hasankeyf lebenden Menschen. Seit Jahren kämpfen die Einwohner von Hasankeyf gegen den drohenden Damm. "Seit ich denken kann, werden wir hier durch die Staudammpläne terrorisiert", erzählt die 30-jährige Ömer, deren Familie ein kleines Fischrestaurant betreibt.

Im Moment wächst in Hasankeyf wieder die Hoffnung. Die staatlichen Bürgschaften von Deutschland, der Schweiz und Österreich, mit deren Hilfe der 2 Milliarden Dollar teure Bau finanziert werden soll, stehen in Frage, weil die türkische Regierung bislang einen großen Teil der Auflagen, die den Damm ökologisch und sozial verträglich machen sollen, nicht eingehalten hat. Ein letztes Moratorium läuft bis Anfang Juni, dann soll die endgültige Entscheidung fallen, ob die drei Länder aus dem Projekt aussteigen. Obgleich sie sich die Aufträge für ihre Baufirmen ungern entgehen lassen dürften, ist angesichts der anhaltenden Proteste und vor allem der Finanzkrise ein Ausstieg derzeit wahrscheinlicher als das sture Festhalten an dem Staudammprojekt.

Angemessene Entschädigungen der türkischen Regierung für die Anwohner sind nicht in Sicht. Empört erzählen die Männer im Teehaus von Hasankeyf, sie sollten einen Vertrag unterschreiben, der vorsieht, dass sie für ihre alten Häuser rund 10.000 Euro bekommen, für die neuen Häuser aber 25.000 Euro Schulden beim Staat aufnehmen sollen.

Derzeit sind die im letzten Jahr begonnenen Bauarbeiten am Ilisu-Damm ungefähr 60 Kilometer von Hasankeyf entfernt eingestellt. Die Baustelle vermittelt aber schon jetzt einen guten Eindruck davon, was hier geplant ist. Zwei Kilometer lang, von einem Berggipfel zum anderen, und 350 Meter hoch wird der Damm sein und den Tigris fast 400 Kilometer weit zurück aufstauen. Die Gegend sieht schon jetzt aus wie eine Mondlandschaft. Rundum hat das Militär Position bezogen. Sollte Ilisu gebaut werden, wäre das nicht nur für die 50.000 Menschen, die dann umgesiedelt werden müssten, eine Katastrophe - auch ökologisch leidet die Türkei schon jetzt erheblich unter den bereits über das ganze Land verteilten 258 Staudämmen. Die Dämme, erläutert Güven Eken von Doga Dernegi, blockieren den natürlichen Wasserkreislauf, zerstören riesige Flussdeltas und führen teilweise dazu, dass der Niederschlag in den Bergregionen, aus denen die gestauten Flüsse gespeist werden, dramatisch abnimmt. Einzelne Stauseen drohen deshalb bereits wieder zu verlanden.

Doch die türkische Regierung schert sich bislang nicht um die ökologischen Konsequenzen. Sie hat gerade erst den obersten Staudamm-Lobbyisten Veysel Eroglu, bisheriger Chef der landesweiten Wasserwerke DSI, zum Umweltminister gemacht. Der verkündete prompt, Staudämme seinen die beste Art, kohlendioxidfrei Strom zu erzeugen, und will deshalb in den kommenden Jahren in der Türkei zusätzliche 800 neue Staudämme bauen lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.