Wissenschaftler über Islamisierung: "Man klebt das Label Islam drauf, fertig"

Der Erfurter Islamwissenschaftler Malik erforscht die Mobilisierung von Religion in Europa - und kritisiert die Islamisierung der Muslime durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

Kommse rein, könnse rausgucken: Tag der offenen Moschee in Berlin. Bild: dpa

Im scheinbar säkularen Europa des 21. Jahrhunderts gewinnt Religion in Gesellschaft und Politik an Bedeutung. Das war die Ausgangsthese des Forschungsprojekts "Mobilisierung von Religion in Europa", das in den vergangenen drei Jahren WissenschaftlerInnen der Universität Jena, der Fachhochschule Jena und der Universität Erfurt durchgeführt haben. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei in drei Bereichen: Religion und Identität, Institutionalisierung und Repräsentanz von Religion sowie Politisierung von Religion zu religiöser Gewalt.

Ende vergangener Woche wurden auf einer Abschlusstagung in Erfurt die Forschungsergebnisse vorgestellt. Die Themen reichten von "Religion und Werten im Reformprozess der EU" über "Die Instrumentalisierung der antiken und christlichen Religion durch Griechisch-Zyprioten" bis zu Fragen wie "Islamischer Religionsunterricht - Agent der Institutionalisierung?".

JAMAL MALIK, 52, ist Professor für Islamwissenschaftler an der Universität Erfurt und einer der beiden Sprecher des Forschungsprojekt "Mobilisierung der Religion in Europa". Malik ist in Pakistan geboren.

taz: Herr Malik, Sie gehen davon aus, dass die Bedeutung der Religion in Europa zunimmt. Man kann aber vielerorts beobachten, dass die kirchlichen Gemeinden keinen Zulauf mehr haben, im Gegenteil. Wie geht das zusammen?

Jamal Malik: Die Bindungskraft der Kirchen in Europa nimmt ab, aber das bedeutet noch lange nicht, dass die Religiosität abnimmt. Wir haben das, was die englische Soziologin Grace Davie "believing without belonging" nennt. Religion hat enorme kulturelle Potenz. Mit ihrer Hilfe kann Nachbarschaft entwickelt werden, kann ziviles Engagement aufgebaut werden, können Leute dazu gebracht werden zu kooperieren - oder auch dazu, sich voneinander abzugrenzen.

In dem Forschungsprojekt, das Sie in den vergangenen drei Jahren durchgeführt haben, sprechen Sie von der Mobilisierung von Religion in Europa. Das hört sich nach Instrumentalisierung an - und damit wenig positiv.

Mobilisierung ist erst einmal wertfrei. Wir wollten untersuchen, wo, aus welchen Gründen und durch wen Religion im 20. und 21. Jahrhundert in den Vordergrund tritt. Häufig - aber nicht nur - geht es dabei um Instrumentalisierung der religiösen und religiös legitimierten Grenzen. Nehmen wir zum Beispiel die Debatte über die Europäische Union. Wenn man das christliche Abendland, was ja ein Kampfbegriff ist, der über die Kirchen Eingang in die Politik gefunden hat, in die Debatte einführt, kann der EU-Beitritt der Türkei infrage gestellt werden. Auch bei der innerislamischen Debatte über Selbstmordattentäter wird Religion instrumentalisiert. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, dass Religion selbst auch mobilisieren kann: Natürlich muss Radikalisierung im sozialen Kontext verortet werden, aber der heilige Text bildet das jeweilige Skript, nach dem die Konfliktsituation gedeutet wird.

Bei all Ihren Beispielen geht es um den Islam. Hat die zunehmende Mobilisierung, die Sie beobachtet haben, immer mit dieser Religion zu tun?

In unserem Forschungsprojekt haben wir uns durchaus auch das Christentum angeschaut, etwa die Vision vom Abendland in der katholischen Kirche oder auch die Bedeutung des christlichen Sonntags. Die Debatten über den Islam haben aber Vorrang in der medialen Darstellung von Religion.

Seit wann beobachten Sie eine Mobilisierung des Islam?

Eine Zäsur war sicher die islamische Revolution im Iran Ende der 70er-Jahre, überhaupt diese Islamisierungswelle in muslimischen Mehrheitsregionen. Das hat natürlich Rückwirkungen auf Europa gehabt: durch internationale Beziehungen und durch Migration. Auseinandersetzungen mit der PKK in der Türkei finden ihren Niederschlag in Köln, Kämpfe um die Babri-Moschee im indischen Ayodhya haben Auswirkungen in London. Das Rechtsgutachten über Salman Rush 1989 war eine weitere Zäsur: Man hat ja nicht nur das Buch verbrannt - durch die Fatwa von Chomeini legitimiert -, man gründete im Vereinigten Königreich sogar ein muslimisches Parlament. Wichtig war sicherlich auch die Veröffentlichung von Samuel Huntingtons Werk "Kampf der Kulturen", das 1996 auf Englisch und zwei Jahre später auf Deutsch erschienen ist. Huntington hat mit seinem Buch offensichtlich einen Nerv getroffen. Damit wurde ein Islambild aktualisiert, das eine lange Tradition hat und später über Luther oder auch Karl May in die Gegenwart transportiert wurde. Das Ergebnis: Selbst Historiker wie Hans-Ulrich Wehler wittern plötzlich die Türkengefahr , wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht.

In Deutschland war der Islam lange gar kein Thema - obwohl Gastarbeiter bereits seit Jahrzehnten in Hinterhofmoscheen beteten. Wann hat sich das geändert?

Stimmt, früher waren das eben die Türken, und die hatten ethnische Probleme. Aber seit zehn, fünfzehn Jahren wird der politische Diskurs in vielerlei Hinsicht islamisiert, der 11. September hat die Lage verschärft. Jetzt werden Muslime in muslimischen Minderheitsregionen in einem Maße islamisiert, wie es in ihren Herkunftsländern niemals der Fall wäre.

Was meinen Sie damit: Dass sich die Migranten selbst stärker der Religion zuwenden, oder dass sie von der Mehrheitsgesellschaft religiös definiert werden?

Natürlich trifft beides zu, aber ich meine jetzt vor allen Dingen die Islamisierung durch die Mehrheitsgesellschaft. Es handelt sich um Projektion auf den anderen, sozusagen als gängige Kulturtechnik zur Selbstaffirmation und Abgrenzung. In der Tat finden sich Muslime vermehrt aus dem von ihnen wahrgenommenen Grund ihrer Diskriminierung, nämlich wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit, zusammen. Die Parallele zum andorranischen Juden von Max Frisch liegt nahe. Aber das ist nicht nur negativ.

Was soll daran positiv sein?

Die Muslime sehen darin auch die Möglichkeit, zu mobilisieren und von den Hinterhöfen in die Öffentlichkeit zu treten. Als Akteure ziviler Gesellschaft ringen sie um staatliche Anerkennung, ob das jetzt beim Religionsunterricht ist oder bei islamischen Friedhöfen oder repräsentativen Moscheen. Das sind alles Felder, auf denen diese Anerkennungsdiskurse ausgefochten werden.

Haben Sie bislang nicht eher von Abgrenzungsdiskursen gesprochen?

Das widerspricht sich ja nicht. Die Mehrheit muss einige Dinge abgrenzen, wegprojizieren, Erinnerungen an das Judentum im 19. Jahrhundert werden wach. Ich habe den Eindruck, dass man jetzt ähnlich mit den Muslimen verfährt. Es geht um eine Domestizierung und Homogenisierung des Islam - obwohl die Muslime doch wie ein bunter Flickenteppich sind.

Immerhin hat Bundesinnenminister Schäuble im Zuge der Islamkonferenz sinngemäß davon gesprochen, dass der Islam zu Deutschland gehört. Das ist doch schon was.

Ja, aber Minister Schäuble geht es in erster Linie um Sicherheitspolitik. Er sieht ja sogar den islamischen Religionsunterricht als Terrorprävention. Und die Deutsche Islamkonferenz ist auch ein Beispiel dafür. Ich habe davor gewarnt, sie einzurichten.

Warum?

Auch da geht es um die Islamisierung der Muslime. Da werden Leute nominiert, die mit dem Islam nur am Rande zu tun haben, und plötzlich sind sie Vertreter in der Deutschen Islamkonferenz. Natürlich finden das manche positiv, weil sie damit einen neuen Markt für sich entdecken. Und muslimische Funktionäre machen gerne mit, weil sie dadurch an Prestige zu gewinnen glauben. Aber was soll das alles? Dahinter steht eine Homogenisierungs- und Sicherheitspolitik: Ziel ist ein nationaler Islam, eine Verkirchlichung. Da wirft man ganz verschiedene Akteure in einen Topf, klebt das Label Islam drauf, und fertig. Aber mal ehrlich: Was hat ein indonesischer Muslim mit einem Türken zu tun? Oder ein Alevit mit einem Ahmadi? Plötzlich ist es egal, ob ich gläubig bin oder nicht, ob ich praktiziere oder nicht - zack, ich bin Muslim. Und das bedeutet leider auch, dass meine Loyalität zum Grundgesetz in Zweifel gezogen wird. Da stellt man sich schon die Frage: Was soll diese Überislamisierung?

Wie äußert sich das alles für Sie persönlich?

Diese Überislamisierung kann man sehr schön nachvollziehen auf Dialogveranstaltungen und bei öffentlichen Vorträgen, die immer schwieriger werden. Die Leute haben zunehmend Angst vor dem Islam, und diese wird auf den muslimischen Vortragenden projiziert, auch wenn dieser als vorbildhaft integriert daherkommen mag. Die Menschen sind heute zwar interessierter, aber auch aggressiver.

Auseinandersetzung ist doch besser als Ignoranz. Danach kann, so meinen viele Migrationsforscher, vielleicht die Annäherung kommen.

Ja, aber die Auseinandersetzung muss eine andere als eine primär religiöse sein. Der interreligiöse Dialog, egal ob im kleinen Kreis oder in der Deutschen Islamkonferenz, bringt wenig. Da treffen sich immer die gleichen Vertreter und klopfen sich auf die Schulter, aber das kommt bei den Menschen nicht an, löst nichts aus. Außerdem soll es ja um Integration gehen, aber Integration hat nur sekundär mit Religion zu tun. Wenn man Integration wirklich will, dann muss man den Integrationsdiskurs ganz schnell dekonfessionalisieren, diese religiöse Semantik muss da raus! Wir sind in einer Sackgasse. Denn wer einmal Muslim ist, ist immer Muslim. Aus dieser essenzialisierten Position kommt man nicht mehr raus.

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