Debatte Das Schlagloch: Der Kohlenwasserstoffmensch

Zur Energiewende gibt es keine Alternative. Allein, wir bewegen uns noch immer nicht.

Monatelang hatte die Kommission recherchiert und debattiert, ehe sie dem Präsidenten der USA ihren Abschlussbericht vorlegte. Sie forderte darin Einschneidendes: Maßnahmen zur Verringerung der Luftverschmutzung und zur Energieeinsparung, zur Substitution von Kohle durch Wasserkraft sowie zur Nutzung von Sonnenwärme. Der Präsident reagierte zügig, er ließ seine Beamten und Diplomaten in 45 Staaten der Welt für eine große internationale Energiekonferenz in Den Haag werben. Die Ressourcenausbeutung sowie die Gesundheitsschäden hätten ein gefährliches Ausmaß angenommen, es müsse dringend gehandelt werden. Doch die Konferenz kam aus Geldmangel nie zustande, die Menschheit verschmutzte und vergeudete unverdrossen weiter.

Das geschah im Februar 1909. Die "National Conservation Commission" war von Präsident Theodore Roosevelt berufen worden, ihr Bericht war wohl der erste institutionelle Aufruf, erneuerbare Energien einzusetzen. Genau hundert Jahre später sind wir noch viel verschwenderischer, unsere Notlage ist weitaus dramatischer geworden.

Wie dramatisch die Situation ist, beweist der aktuelle Bericht der International Energy Agency (IEA) in ihrem "World Energy Outlook 2008", der im November letzten Jahres veröffentlicht wurde, inmitten täglicher Meldungen über das Zusammenbrechen von Banken und Automobilfirmen. Vielleicht erhielt er deswegen fast keine mediale Aufmerksamkeit, obwohl er Sonderausgaben aller Zeitungen verdient hätte. Bis dato hatte die IEA Sorgen um die Energiezukunft beschwichtigt. Noch im Jahr davor lautete die Vorhersage, die Fördermenge der existierenden Ölfelder werde jährlich um 3,7 Prozent zurückgehen.

Nun hat die IEA ihre Daten drastisch nach unten korrigiert und spricht von einem jährlichen Rückgang von 6,7 Prozent. Ein Menetekel, das noch beunruhigender wirkt, wenn man erfährt, wie diese Prognose zustande kam. Denn das IEA hat zum ersten Mal in seiner Geschichte die 800 größten Ölfelder der Welt - Staat um Staat, Ölfeld um Ölfeld, zu Land und zu Wasser - unter die Lupe genommen, statt wie bisher die Mengen spekulativ hochzurechnen. Die erste detaillierte Untersuchung ihrer Art! Und das Fazit, in den Worten ihres Chefökonomen Fatih Birol, lautet: "Die Zeit läuft gegen uns."

Wahrlich, denn das allmähliche Verschwinden des Erdöls garantiert den Absturz unserer Zivilisation. Vom Erdöl hängt nicht nur das gesamte Transportwesen ab, sondern auch die Produktion von Computerchips, Textilien, Plastik und nicht zuletzt die Landwirtschaft.

Die Erdölförderung wird unter Fachleuten seit Jahrzehnten anhand der glockenförmigen Gaußkurve beschrieben. Entscheidend ist nicht, wann die Vorkommen erschöpft sein werden, sondern wann der Höhepunkt der Ölförderung erreicht wird, danach geht es bergab - während der Bedarf weltweit wächst, wird weniger Erdöl aus dem Boden geholt. Der Scheitel der Gesamtfördermenge wird irgendwann dieser Tage überschritten (wann genau, ist unter Experten heftigst umstritten).

Der Bericht der IEA ist ein klares Signal, dass wir uns von nun an auf dem Abstieg befinden. Alle großen Felder sind längst entdeckt, nun bleiben nur noch die bislang unzugänglichen Reserven, vor allem in der Arktis, mit unübersehbaren Folgen für das Klima der Erde. Der Weltbedarf dürfte sich laut Matthew Simmons, einem einsamen Warner aus Houston, in den nächsten 15 Jahren verdoppeln, die Förderkapazität werde hingegen auf den Stand von 1985 fallen.

Egal, ob das Erdöl für noch 30, 40 oder 50 Jahre reicht, es wird immer teurer und immer spärlicher werden (das gilt auch für das Erdgas). Colin Campbell, ein weltweit führender Ölexperte, fasst die Folgen folgendermaßen zusammen: "Krieg, Hungersnöte, Rezession, vielleicht sogar das Aussterben ves Homo sapiens, denn die Evolution auf Erden hat stets zu einem Aussterben von überangepassten Arten geführt, lediglich einfachere Lebensformen bleiben übrig. Wenn der Homo sapiens die Rückkehr zu größerer Einfachheit gelänge, wäre er die allererste Art."

Wie wenig Konzerne und Behörden gewillt sind, diese drohende Katastrophe aufzuhalten, zeigt die Dokumentation "Who Killed The Electric Car" (2006), in dem die erstaunliche Geschichte eines wirtschaftlichen Kannibalismus erzählt wird, als Parabel auf die selbstzerstörerischen Systemzwänge unserer Wirtschaftsweise. General Motors hat in den USA ein elegantes, schnelles, leises und preiswertes Elektroauto namens EV-1 entwickelt, ausgestattet mit einer Batterie, die über 100 Kilomter weit reichte. Tom Hanks und Mel Gibson waren begeisterte Fahrer.

Diese technische Innovation brachte den Bundestaat Kalifornien auf die Idee, das Zero Emission Vehicle Mandate zu verabschieden: Um Autos in Kalifornien verkaufen zu dürfen, mussten zuerst zwei, später fünf Prozent von ihnen elektrisch sein. Die Autofirmen und die Ölindustrie begannen eine gewaltige Kampagne gegen das Elektroauto - die American Automobile Manufacturers Association beauftragte sogar eine PR-Firma, die wachsende Kundenakzeptanz von elektrischen Autos zu bekämpfen!

Mit Erfolg: Das kalifornische Gesetz wurde am 24. April 2003 wieder gekippt. Dann geschah etwas Unfassbares. Die geleasten Autos wurden wieder eingezogen, gegen den heftigen Protest der Kunden, in einer Nacht-und Nebel-Aktion auf riesige Trucks verfrachtet und in der Wüste von Arizona verschrottet. Auf dem Friedhof der Zukunft. Bei dem einen Exemplar, das im Petersen Automotive Museum in Los Angeles zu sehen ist, wurde der Anlasser entfernt - kein einziges dieser schönen Fahrzeuge sollte je mehr als gutes Beispiel voranfahren können. Die Autofirmen und die Ölindustrie hatten offensichtlich Angst vor dem potentiellen Erfolg dieses Modells bekommen - die gewaltigen Gewinne der nächsten 30 Jahre (so lange das Erdöl ausreicht) waren in Gefahr. Stattdessen wurde der Hummer intensiv beworben.

Und was unternimmt unsere Regierung? Sie investiert in die Entwicklung eines Nacktscanners, damit wir bei Kontrollen am Flughafen völlig durchleuchtet werden. Sie fördert massiv die Automobilindustrie, ohne auf eine Umstellung auf Hybrid- und Elektroautos zu bestehen. Sie sorgt nicht einmal dafür, dass der Anteil an erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch zunimmt. Sie trifft offensichtlich keinerlei ernstzunehmende Vorsorge. Wir leben in Zeiten öffentlichen Wahns, der als rationaler Kompromiss verkauft wird. Unsere politischen und wirtschaftlichen Führer haben völlig versagt, und es ist höchste Zeit, dass wir die Zukunft in die Hände nehmen.

Es gibt keine andere Lösung, als weniger Energie zu nutzen und gleichzeitig die gesamte Wirtschaft auf erneuerbare Energie umzustellen. Zudem muss das Diktat des ewigen Wirtschaftswachstum begraben werden. Und all das muss sofort beginnen. Revolutionen, schrieb einst Alexis de Tocqueville, erscheinen einem unmöglich, doch sind sie erst einmal erfolgt, erscheinen sie als unvermeidlich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.