Kolumne the stars down to earth (4): Vorläufige letzte Worte zum Sommerhaus-Kino

Die Berlinale-Kolumne

Schon in den späten 60er-Jahren begann ein Slacker-Kino. Leute, die zur Schau stellten, auf der Ebene der Handlung wie der Körpersprache, nichts zu tun zu haben. In Deutschland waren die Pioniere Marquard Bohm oder Rudolf Thome, im Mainstream May Spills. New Hollywood lieferte exzellente Beispiele, das taten auch französische Regisseure wie Eric Rohmer und Jean Eustache. Einen großartigen proletarischen Proto-Slacker konnte man auf diesem Festival in John Cooks "Schwitzkasten" (1979) erleben. Es gab Slacker und Proto-Slacker aus allen Schichten, mit den unterschiedlichsten Motiven. Aber sie waren doch immer Ausnahmen. In der Zeit der Disziplinargesellschaft war das Kino eine Enklave, und die wollte man auch dort sehen.

Heute geht es im Post-Slacker-Kino um eine kulturell führende Schicht, die sich kontrafaktisch unangepasst fühlt und darüber ironisch wird. In den Ferien, beim Abhängen, bei langgezogenen Kulturprojekten entfalten sie ihre erratischen Persönlichkeiten, charmant, dann wieder abstoßend, süß, narzisstisch, widerlich, aber nie langweilig. Dass speziell bei dieser Berlinale niemand mehr diese Filme so richtig mag, weder die deutschen noch die US-amerikanischen, kanadischen oder französischen, liegt daran, dass sie, anders als manche Vorgänger, die Seelen ihrer Protagonisten verabsolutieren. Sie haben kein Interesse an einer jenseits der Selbstäußerungen einer kulturellen Mittelschicht liegenden Wahrheit dieser Schicht. Sie wollen lieber offen davon erzählen.

Diese immer offener werdenden Erzählformen sind zwar der ästhetische Gewinn einer Ambiguitäts-verliebten Positions-Phobie. Zugleich sind sie aber eine Ausrede dafür, über Positionen und wenigstens versuchsweise formulierte Wahrheiten überhaupt noch nachzudenken (und so Gründe zu haben, diese zurückzuweisen). Es reicht die Wahrheit der bürgerlichen Individualität, wenn sie sich in ihresgleichen liebend spiegelt. Und genau an dieser Stelle setzt ein Film ein, der genau in dieses Genre gehört und es trotzdem in die richtige Richtung überwindet: "Alle anderen" von Maren Ade.

Wieder einmal lümmeln sich zwei Kreativdeutsche durch ihre Ferien, aber die liebende Neugier, die Gitti (Birgit Minichmeyer) ihrem süß verspielten Architektenfreund bei aller verliebten Ziellosigkeit Fragen stellen lässt, ermöglicht erstmals im Sommerhaus-Genre so etwas wie den Blick nicht nur auf ein paar Psychologien, sondern auf eine Klasse. Weil sie ihn so liebt, durchschaut sie ihren Freund. Noch wirft sie ihm seine Inkonsistenz nicht vor: Klar, er muss seinen mangelnden Erfolg als Kompromisslosigkeit ausgeben. Klar, er gibt seine Unabhängigkeit sofort auf, wenn er einer Autorität begegnet, die höher in der Kreativhackordnung steht. Das findet nur der Zuschauer erbärmlich, Gitti noch nicht. Ihre Position als Betreuerin von Rockbands liegt schließlich auch unter seiner.

Aber er versteht, dass die Seriosität ihrer Liebe sein Distinktionsprogramm zum Einsturz bringen wird. Er müsste viel ändern, um sich der Substanz ihrer Beobachtungen stellen zu können. Nach und nach wird die materielle Grundlage des Fühlens in Geschmackshierarchien und des absoluten Imperativs der Peinlichkeitsvermeidung herausgearbeitet. Diese Grundlagen sind nicht nur Jobs und Geldverdienenmüssen, es sind die fleischgewordenen Identifikationen mit Positionen der Geschmacksmacht, die gerade in dieser Welt, in der eigentlich alle alles formulieren können, latent bleiben muss. Um dies zu zeigen, muss die Regie den Blick einer Person favorisieren, ganz leicht, aber sie muss es tun. Diese punktuelle Schließung der Offenheit ist nötig, um die Offenheit selbst als Jargon einer Klasse hervortreten zu lassen - um dann, auch daran führt kein Weg vorbei, dieses Ergebnis in den letzten Minuten des Films doch noch einmal zu brechen. Natürlich ins Offene.

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